Screenshot der "Extrablatt"-Titelseite.
Screenshot, 27.04.2017

Extrablatt: Wie ein Verein das Parteispendengesetz aushebelt

In den nächsten Tagen werden 400.000 Haushalte in Schleswig-Holstein und 2,6 Millionen in Nordrhein-Westfalen das "Extrablatt" erhalten. Vor den jeweiligen Landtagswahlen wirbt die "Zeitung" explizit für die AfD. Allerdings ohne, dass sie von der AfD herausgegeben wird.
 

Von Stefan Lauer

Im "Extrablatt" finden sich Überschriften wie "So zocken uns Flüchtlinge ab" oder "So wird der Bürger gerupft: Deutschland – die EU-Melkkuh", in den Texten sind die wichtigsten Passagen bereits leserfreundlich farblich unterlegt: "Wer Merkel oder SPD wählt, bekommt Islamisierung im Turbo-Gang", Geflüchtete "leben auf unsere Kosten, auf Kosten unserer Rentner und Sozialversicherten". Im "großen Parteien-Check" wird gefragt: "Wer nimmt die Sorgen der Bevölkerung wirklich ernst?". Positionen von CDU, SPD, Grünen, Die Linke, FDP und AfD zur EU, Grenzen, Asyl und Zuwanderung, dem Islam und Bargeld werden verglichen. Alle fallen durch. Außer die AfD. "Empfehlung: Wählen!" ist das Fazit des "Extrablatts".
 

Herausgegeben wird das "Extrablatt" vom "Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten" mit Sitz in Stuttgart. Vorsitzender ist David Bendels.  Auf dem privaten Facebookprofil sind zahlreiche Fotos von Bendels mit hochrangigen AfD-Politikern zu sehen: David Bendels mit Alexander Gauland, Alice Weidel , Beatrix von Storch oder Nicolaus Fest. Auch bei einer homo- und transfeindlichen "Demo für Alle" in Stuttgart im Oktober 2015 war David Bendels in der ersten Reihe dabei, wie Fotos der Veranstaltung zeigen.
 

 

David Bendels (rechts) bei der Frühjahrstagung des "Vereins zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten" mit Karl Albrecht Schachtschneider (Präsidium Studienzentrum Weickersheim), Thilo Sarrazin und Alice Weidel (AfD). Screenshot von David Bendels Facebookseite.

 

In einem "Grußwort des Vorsitzenden" auf der Website des Vereins betont Bendels allerdings die eigene angebliche Überparteilichkeit: "Der Verein ist nach seinem Selbstverständnis bewusst parteipolitisch ungebunden. Es geht ihm nicht um Personen, Posten und Pfründe, sondern um Werte, Inhalte und die Zukunft unseres Landes. Basierend auf diesen Werten erlaubt sich der Verein, bei Wahlen Empfehlungen abzugeben (…)." Die Nähe zu AfD-Positionen lässt sich trotzdem nur sehr schwer abstreiten. Für die Partei könnte sich das noch zu einem handfesten Skandal entwickeln.
 

Recherchen der FAZ lassen einen eher dubiosen Hintergrund der Werbeaktion vermuten. Wie sich der Verein finanziert, wer also die Millionenauflage des "Extrablatts" und die Plakatkampagnen, die auf Länderebende ebenfalls zur Wahl der AfD aufrufen, bezahlt, bleibt im Dunklen. Dem NDR sagte David Bendels im Herbst 2016, dass der Verein von 8.000 Menschen in ganz Deutschland unterstützt werde: "Wir bekommen von vielen dieser Unterstützer Einzelspenden, das fängt bei einem Euro an, und natürlich gibt es auch Spender aus dem Bereich der mittelständischen Wirtschaft, aus dem Bereich der Industrie".
 

Das dieses Geld aber wirklich ausreicht, um die Aktivitäten des Vereins zu zahlen, scheint fraglich. Das "Extrablatt" wurde bisher vor fünf Landtagswahlen in hoher Auflage verteilt. Zusätzlich wurden Plakatflächen für Hunderttausende Euro gemietet. Und selbst kleinere Aktionen des Vereins dürften ins Geld gehen. Auf der Website werden immerhin zehn iPhones unter den Einsendern eines Fotowettbewerbs verlost, bei dem Nutzer dazu aufgerufen werden, Fotos ihrer "Extrablatt"-Ausgabe einzusenden.
 

Die tatsächlichen Geldgeber bleiben im Hintergrund. Die Stuttgarter Adresse des Vereins gehört zu einer Firma namens "office management stuttgart", die gegen Gebühr Geschäftsadressen anbietet. Post, die an den Verein geht, wird laut FAZ dann direkt an "ein Postfach in der Schweiz, in Andelfingen" weitergeleitet. Ein Postfach in Andelfingen nutzt auch die Schweizer PR-Agentur Goal AG, die mit Geschäftsführer Alexander Segert mehrere Kampagnen für die Schweizer Rechtspopulisten der SVP verantwortet hat. Der FAZ liegen Hinweise vor, dass Segert an einem Treffen zwischen Vertretern des Vereins und dem rechten Thinktank "Studienzentrum Weickersheim" in der Berliner "Bibliothek des Konservatismus" teilgenommen hat. Segert selbst äußert sich weder dazu, noch zu möglichen Verbindungen zum Verein.
 

Rein zufällig vetreibt aber auch die SVP ein Gratiszeitung an Schweizer Haushalte. Der Titel: "Extrablatt". Laut Impressum verantwortlich für "Gestaltung und Grafiken": Die Goal AG. 
 

Recherchen von Florian Wagner, der das Blog "Crumbling Walls" betreibt, zeigen ein internationales Netzwerk von europäischen Rechtspopulist_innen, zu denen auch der "Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten" gehört. Unterschiedliche Domains, die mit der "Bewegung für ein Europa der Nationen und der Freiheit", in der unter anderem der Front National und die FPÖ organisiert sind und in deren Fraktion Marcus Pretzell (AfD) im EU-Parlament sitzt, hängen damit zusammen. Immer wieder tauchen dabei Hinweise auf die Goal AG und Alexander Segert auf. Ob der Verein direkt über die Bewegung oder Segert finanziert wird, bleibt dabei offen. Vertreter der Bewegung äußerten sich gegenüber der FAZ nicht.
 

Die Partei selbst weiß offiziell von nichts. Bernhard Noack, Schatzmeister der AfD in Schleswig-Holstein, sagt dem NDR: "Es ist nichts abgesprochen. Ich wusste von der Aktion nichts und deshalb ist es auch keine Spende." Wären die Plakate und das "Extrablatt" aber tatsächlich mit der Partei abgesprochen, würde es sich um eine Sachspende handeln und Spenden an Parteien unterliegen in Deutschland festen Regeln. Spenden ab 10.001 Euro müssen inklusive der Namen der Spender öffentlich gemacht werden. Wird allerdings an einen parteiunabhängigen Verein gespendet, gelten diese Regeln nicht. Wenn der Verein dann Wahlwerbung mit der oder den Spenden betreibt, müssen keine Spendernamen mehr veröffentlicht werden. Sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass die Rechtspopulist_innen und David Bendels Verein doch zusammen gearbeitet haben, könnte es auf eine saftige Strafe für die AfD herauslaufen.
 

Ulrich Müller, ein Mitarbeiter der unabhängigen Organisation "LobbyControl" glaubt nicht an die Überparteilichkeit des Vereins:  "Die AfD könnte gegen die verdeckte Wahlwerbung aktiv werden. Dies hat sie nach unserem Wissen bislang nicht gemacht. Im Gegenteil: Sie lädt den Vorsitzenden des Vereins auch noch zu AfD-Veranstaltungen als Redner ein. Das zeigt, dass sie überhaupt kein Problem mit dieser intransparenten Einflussnahme hat.“
 

AfD-Schatzmeister Bernhard Noack will derweil "beantragen, eine einstweilige Verfügung gegen diesen Verein zu veranlassen, damit der schnellstens diese Plakate wieder abnimmt." Die nächste Vorstandssitzung soll nach Informationen des NDR allerdings erst kurz vor der Wahl am 07. Mai stattfinden.

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