Sie tarnen sich als besorgte Bürgerinnen und Bürger, werfen mit pseudowissenschaftlichen Argumenten um sich, posten offen rassistische Parolen oder verstecken ihre Hetze unter dem Deckmantel des Humors: Neonazis versuchen mithilfe ganz bestimmter Kommunikationsstrategien im Internet zu mobilisieren, zu rekrutieren und ihren Hass zu verbreiten. Eine neue Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung klärt auf und gibt Tipps für Gegenstrategien.
Von Alice Lanzke und Johannes Baldauf
Auf knapp 40 Facebook-Seiten entlädt sich in den letzten Monaten die geballte Menschenverachtung gegen Flüchtlinge in Deutschland – unter Titeln wie "Nein zum Heim" oder "Asylflut stoppen" finden sich zahlreiche Gruppen und Seiten, auf denen gegen Flüchtlingsunterkünfte gehetzt wird. Die Diskussionen scheinen einem Muster zu folgen: Nachdem bekannt wird, dass im sächsischen Schneeberg Flüchtlinge in einer ehemaligen Kaserne untergebracht werden, gründet sich die Facebook-Gruppe „Schneeberg wehrt sich“, in der gegen die verfolgten und oft traumatisierten Menschen gehetzt wird. Wenig später ruft die NPD zu Demonstrationen auf, der sich mehrere Tausend Bürgerinnen und Bürger anschließen.
Was auf den ersten Blick wie eine willkürliche Ansammlung von Protestseiten wirkt, deutet bei genauerem Hinsehen auf eine abgestimmte Strategie hin. NPD-Kader diskutieren an vorderster Front mit, die Parolen der vermeintlichen Bürgerinitiativen sind identisch mit NPD-Slogans. Auch deshalb hat der Berliner Verfassungsschutz die Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf ins Visier genommen und spricht von engen Verbindungen zur NPD. Die Rolle der NPD in der Flüchtlingsdiskussion zeigt, dass Rechtsextreme die sozialen Netzwerke hochprofessionell nutzen, um ihre Propaganda zu verbreiten.
Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, erklärt: "Die NPD hat das Potential der Asyldebatte entdeckt, um die Sorgen der Bürger für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Dass hinter den meisten Bürgerinitiativen organisierte Rechtsextreme stecken, ist für den normalen Nutzer kaum zu erkennen."
Gezielte Wortergreifungsstrategien
Diese und andere Taktiken stehen im Fokus der neuen Broschüre "Viraler Hass. Rechtsextreme Wortergreifungsstrategien im Web 2.0". Über ganz bestimmte Themen versuchen Neonazis Anschluss zu nicht-rechten Nutzerinnen und Nutzern zu finden. Das kann in einer vermeintlich harmlosen Internet-Diskussion über Tierschutz ebenso passieren wie über eine Online-Kampagne zum Thema Kindesmissbrauch. Mithilfe gezielter Strategien der Wortergreifung streuen sie ihre menschenverachtende Propaganda professionell in die Debatte ein.
Die Strategien zur Ansprache sind dabei ganz unterschiedlich: Mal lassen sie Diskussionen eskalieren, wie im Fall der Bürgerinitiativen. Dann wieder gerieren sie sich als Kümmerer, was etwa bei der Hochwasserkatastrophe im Sommer diesen Jahres zu beobachten war.
Anetta Kahane erklärt dazu: "Wer diese Strategien nicht kennt, wird schnell Opfer der subtilen Hetze. Umso wichtiger ist es, die rechtsextremen Taktiken erkennen und erwidern zu können."
Per Mausklick zur Menschenverachtung
Nicht alle rechtsextremen Argumente im Netz haben eine Tarnkappe auf: Nicht selten posten Neonazis offen rassistische Parolen, hetzen munter gegen Sinti und Roma oder posten unverhohlen islamfeindliche Bilder. Auch solche drastischen Inhalte können Teil einer rechten Kommunikationsstrategie sein. Und ebenso wichtig ist es, hier zu widersprechen: Ohne Gegenwind haben Neonazis das Gefühl, eine stille Unterstützerschaft hinter sich zu wissen, verbreiten auch online ein Gefühl der Angst und bringen nicht-rechte Stimmen zum Verschweigen.
Gerade in den sozialen Netzwerken ist Gegenwind wichtig, haben sich Facebook, Twitter und Co. doch als ideale Kanäle für rechtsextreme Propaganda erwiesen: Innerhalb von Sekunden kann potenziell ein breites Publikum erreicht werden. Kein Wunder also, dass Rechtsextreme das Web 2.0 intensiv und geschickt nutzen. Mit Demo-Ankündigungen, Live-Tweets oder Online-Chats versuchen sie, ihre Internet-Öffentlichkeit zu stärken und eine rechte Meinungsführerschaft aufzubauen. Durch Verlinkungen und Weiterleitungen klicken sich unbedarfte Userinnen und User schnell immer tiefer in das Netz aus rechter Menschenverachtung.
Hilfe fürs gemeinsame Engagement
Beim Kampf gegen solchen Online-Hass ist diese Broschüre eine Handreichung. Sie benennt und beschreibt die unterschiedlichen rechtsextremen Kommunikationsstrategien deutlich anhand verschiedener Beispiele und gibt Tipps im Umgang mit der menschenverachtenden Propaganda. Weiterführende Informationen sind per QR-Code verlinkt, dazu kommt ein Anhang mit rechtsextremen Codes und Erkennungszeichen.
Anetta Kahane dazu: "Klar ist: Nur mit dem gemeinsamen Engagement nicht-rechter Nutzer kann das Internet ein demokratischer Ort ohne Hass und Menschenverachtung sein – dabei soll diese Broschüre helfen."
Service
Die Broschüre kann gegen Erstattung der Portokosten per Email an netz@amadeu-antonio-stiftung.de bestellt werden. Zudem steht sie hier als PDF zum Download bereit - oder einfach auf das Bild klicken!
Aus dem Inhalt
- Per Mausklick zur Menschenverachtung: Wie Neonazis soziale Netzwerke nutzen
- Öl ins Feuer gießen: Wie Rechtsextreme Diskussionen anheizen und eskalieren
- Ideologie mit Tarnmantel: Über die Verschleierung rechtsextremer Inhalte
- Zerstören, verdrehen, verwirren: Ein kleiner Ausflug in rechte Rhetorik
- "Das ist wissenschaftlich bewiesen!": Falsche Statistiken und fragwürdige Quellen
- Ist ja nur Spaß ...? Humor als rechtsextreme Strategie
- Rechte Erkennungszeichen: Codes und Symbole richtig deuten
Presseberichte zur Broschüre
- Viraler Hass - Europas Rechte im Web 2.0: Interview (Radio Dreyeckland)
- Lese-Tipp: "Viraler Hass – Rechtsextreme Kommunikationsstrategien im Web 2.0" (Störungsmelder)
- Rechtsextreme Gewalt: Angriffe auf Flüchtlingsheime verdoppelt (n-tv)
- Stiftung beklagt rechte Propaganda bei Facebook (Welt Online)
- Rechtsextreme Gruppen hetzen gezielt auf Facebook (Focus Online)
- So nutzen Neonazis das Netz für rechte Propaganda (krone.at)
- Bei Nazi-Propaganda im Netz eingreifen (Mitteldeutsche Zeitung, Focus Online)