Am vergangenen Freitag besuchte Bundeskanzlerin Angela Merkel Chemnitz, um sich selbst ein Bild von der Stadt zu machen in der es seit dem Tod von Daniel H. zu rassistischen Demonstrationen kommt. Dabei besuchte sie das lokale Basketballteam und traf sich mit Leser*innen der lokalen Zeitung. Gegen den Besuch organisierten rechte Gruppen Demonstrationen, konnten damit aber nicht an die Mobilisierungserfolge aus der Anfangszeit anknüpfen.
Von Tim Mönch
Während die Wagenkolonne der Bundeskanzlerin am Freitagabend aus der Richard-Hartmann-Halle rollte, standen die Teilnehmer*innen des rechten Protestes zwar nur wenige Meter entfernt, doch waren sie so sehr mit den verschiedenen Redner*innen beschäftigt, dass niemand die Abreise mitbekam. Den Aufrufen der extrem rechten „Bürgerbewegung Pro Chemnitz“ und des Neonazis Sven Liebich aus Halle waren etwa 1000 Teilnehmer gefolgt. Darunter Neonazis, Verschwörungstheoretiker*innen und „besorgte Bürger“ von rechten Heimatvereinen aus dem gesamten Bundesgebiet. Die befürchteten Massen, die Anfang September nach dem Tod von Daniel H. am Rande des Chemnitzer Stadtfestes durch die Straßen zogen, blieben diesmal aber aus. Und das obwohl „Pro Chemnitz“ im Vorfeld bundesweit mobilisiert hatte. Besonders rechte Heimatvereine und rassistische Bürgerinitiativen hatten für die Veranstaltung geworben. So trat bei der Kundgebung neben den regelmäßigen Rednern Martin Kohlmann (Pro Chemnitz) und Thomas Witte (Heimattreue Niederdorf) auch Hans-Christoph Bernd vom rassistischen Bündnis „Zukunft Heimat“ aus Cottbus auf. Außerdem zeigten sich auch einzelne Gruppen wie „Flöha sagt Nein“ oder „Roßwein wehrt sich“, die sich im Rahmen der rassistischen Proteste gegen die Unterbringung von Geflüchteten gegründet hatten. Mit besonders menschenverachtenden Verschwörungstheorien fiel eine Rednerin aus Tschechien auf, die Angela Merkel als die Nachfolgerin Adolf Hitlers bezeichnete.
Extrem rechte Satireshow
Ähnliche Ansichten zeigten auch die Teilnehmer*innen der bereits am Nachmittag vor dem Chemnitzer Hauptbahnhof gestarteten Demonstration um den Neonazi Sven Liebich. Dieser hatte zur pseudosatirischen Veranstaltung „Merkel Jugend“ aufgerufen, bei der Symbole aus der NS-Zeit in auf Merkel abgeänderte Weise dargestellt werden und ein vermeintlicher Führerkult um die Bundeskanzlerin herbeifantasiert wird. T-Shirts die an die Hakenkreuzfahnen angelehnt waren, wobei das Hakenkreuz durch die „Merkelraute“ ersetzt wurde und mit dem Motto „Geil Merkel“ versehen waren, wurden jedoch von der Polizei konfisziert. Neben Liebich, der auf seiner Website T-Shirts und Flyer mit rechten Parolen verkauft, trat auch der Münchner Verschwörungstheoretiker Hendra Kremzow als Redner auf. Wobei jedoch nicht alle Teilnehmer*innen die „satirischen“ Reden verstand.
Merkel spricht mit Chemnitzer Bürger*innen
Während auf der Straße die rechten Demonstrationen liefen, sprach Angela Merkel in der Chemnitzer Hartmannfabrik mit Leser*innen der Lokalzeitung „Freie Presse“, über deren alltägliche Probleme und ihre Sicht auf die Geschehnisse in Chemnitz. Erwartbar oft kam dabei auch das Thema Flüchtlinge zur Sprache. Bereits am Vormittag hatte die Kanzlerin im Rahmen eines durchgetakteten PR-Termins zwei Jugendmannschaften der Basketballer „Chemnitz 99ers“ besucht. Mit den Spielern und Trainern des Vorzeigebeispiels gelungener Integration wurden Gespräche geführt, nachdem sich Merkel einen Eindruck des Trainings verschafft hatte.
Quelle: Tim Mönch
Neben den rechten Veranstaltungen und dem Besuch der Kanzlerin gab es zwei weitere Kundgebungen. Das Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ hatte am Rande des „Merkeljugend“-Aufmarschs eine Mahnwache gegen die rassistischen Zustände in der Stadt organisiert. Zudem fand die Aktion „Tatort Rassismus“ statt, bei der Bilder von Orten rassistischer Gewalt in Chemnitz gezeigt wurden. Das breite Bündnis, das die Kundgebung organisiert hatte, wollte damit auf die lange Historie rechter Gewalt in Chemnitz hinweisen und eigene Inhalte vermitteln, statt sich an den langanhaltenden rechten Aufmärschen abzuarbeiten.
Wie sich diese in Chemnitz weiter entwickeln bleibt spannend zu beobachten. Zwar gehen jeden Freitag immer noch mehrere hundert Menschen bei den Demonstrationen von „Pro Chemnitz“ auf die Straße, doch „nur“ 1.000 Teilnehmer an einem Tag, an dem der in ihren Augen Grund allen Übels in der Stadt ist, könnte ein Zeichen der nachlassenden Mobilisierungsfähigkeit sein.