Nazi-Demo in Berlin
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TV-Tipp: Terror im Kiez – Neonazis in Berlin

NPD-Werbung im Briefkasten? Nicht für Christiane Schott: Die Neuköllnerin wehrt sich gegen die rechtsextreme Post – und wird seither Opfer von Bedrohungen und Anschlägen. Ihre Geschichte ist der Aufhänger für die sehenswerte rbb-Dokumentation "Terror im Kiez – Neonazis in Berlin".

Von Alice Lanzke

Am Anfang steht ein kleiner Akt von Zivilcourage: Christiane Schott arbeitet in ihrem Garten in der Berliner Hufeisensiedlung als ihr drei NPD-Aktivisten Wahlwerbung in den Briefkasten werfen wollen. Die Sozialarbeiterin verwahrt sich gegen die rechtsextreme Post – und wird seither von Neonazis bedroht. Mehrfach werden ihr die Scheiben eingeworfen, die Haustür beschädigt, einmal sogar der Briefkasten gesprengt. Eine schleichende Angst macht sich bei der Familie breit, die Töchter bitten zwischenzeitlich sogar darum, umzuziehen.

Doch mit der Angst wächst auch die Empörung und Wut von Christiane Schott – und die Bereitschaft, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. So wird sie zur Protagonistin der rbb Dokumentation " Terror im Kiez – Neonazis in Berlin", im Laufe der Doku entscheidet sie, nicht mehr anonymisiert aufzutreten: Aus Christiane S. wird Christiane Schott, aus Hilflosigkeit Entschlossenheit.

Ein Muster der Gewalt

Die Doku zeigt auch, dass Familie Schott bei weitem nicht das einzige Opfer rechtsextremer Gewalt ist. Nico Schmolke, stellvertretender Juso-Vorsitzender in Berlin, werden die Scheiben eingeworfen und der Briefkasten gesprengt – Schmolke engagiert sich offen gegen Rechtsextremismus. Linken-Politiker Hans Erxleben wird das Ziel ähnlicher Anschläge. Mirjam Blumenthal vom Anton-Schmaus-Haus der SPD-nahen Falken, bekommt anonyme Anrufe mit Aussagen wie "So was wie dich hätten wir früher vergast."

Sebastian Schmidtke (Quelle: rbb/privat)

Sebastian Schmidtke (Quelle: rbb/privat)

Es ist ein Muster rechtsextremer Gewalt und Einschüchterungsversuche, das die Doku aufzeigt, um dann die Frage zu stellen: Hat die NPD mit alldem wirklich nichts zu tun? Mit den Anschlägen auf politisch engagierte Bürgerinnen und Bürger, auf Flüchtlingsunterkünfte, Jugendclubs und Parteibüros? Diese Fragen haben die beiden rbb-Journalisten Jo Groll und Torsten Mandalka monatelang recherchiert. Immer wieder trafen sie bei ihren Recherchen auf den Berliner NPD-Vorsitzenden Sebastian Schmidtke. Schmidtke verfügt über gute Kontakte zur freien Szene, gibt sich in der Öffentlichkeit aber als seriöser Kümmerer. Die NPD sei gegen Gewalt, so Schmidtke im Interview, und zur Internetseite NW-Berlin habe er keine Kontakte. Immer wieder war der Schriftzug im Zusammenhang mit den Anschlägen und rechtsextremen Schmierereien gefunden worden. Doch Schmidtke will damit nichts zu tun haben – obwohl er auf einem Flyer von "NW Berlin" als Verantwortlicher im Sinne des Presserechts genannt wird.

Anderen Menschen Mut machen

Nach anfänglichem Zögern positionieren sich immer mehr Menschen in der Hufeisensiedlung gegen den rechtsextremen Terror, eine Anwohnerinitiative gründet sich. Kurz vor Weihnachten bilden 500 Menschen eine Lichterkette durch die Anlage. Für Christiane Schott sind solche Entwicklungen ein Zeichen dafür, dass ihr Schritt in die Öffentlichkeit richtig war: "Ich will anderen Menschen Mut machen und andere Opfer motivieren, Anzeige zu erstatten", sagt sie im Pressegespräch. Schott selbst zeigt in der Doku Mut und konfrontiert Sebastian Schmidtke mit den Anschlägen gegen sie. Doch Schmidtke weicht aus, weist jede Verantwortung von sich: Die NPD sei gegen Gewalt, jeder sei mal schlecht drauf – als Zuschauer kann man die Aussagen des Berliner NPD-Vorsitzenden kaum fassen.

Genauso wenig fassen lassen sich die Aussagen von Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkoswky (SPD): In einer offenen Fragestunde wird eine geplante NPD-Veranstaltung in der Gropiusstadt diskutiert. Angesprochen auf geplante Gegenproteste antwortet Buschkoswky, er habe ein grundsätzliches Problem damit, stünde man bei einer solchen Gegendemo doch zwischen Leuten, die den Molotow-Cocktail schon in der Hand hätten, und dem Schwarzen Block– eine kaum zu glaubende Diskreditierung der Proteste gegen Nazis.

Der parlamentarische Arm der militanten rechten Szene

Diese Aussage bleibt auch Grünen-Politiker Wolfgang Wieland im Gedächtnis. Nachdem er die Doku gesehen hat, betont er, sie komme genau zur richtigen Zeit, unterstreiche sie doch die Wichtigkeit eines NPD-Verbots. "Hier zeigt der Film, dass die NPD der parlamentarische Arm der militanten rechten Szene ist", so Wieland, in der Person Sebastian Schmidtkes drücke sich das Zusammenwachsen von NPD und freier Szene aus. Für rbb-Autor Jo Groll ist Schmidtke, "eine tickende Zeitbombe und der Staat schaut zu, während er sich einen grinst".

Das wahre Gesicht Schmidtkes werde nur sichtbar, wenn man kurz zur Seite schaue – tatsächlich zeigt die Doku am Ende dieses wahre Gesicht: Ortswechsel. Niedersachsen. Lingen. Eine Wahlkampfveranstaltung der NPD. Zwischen einem NPD-Ordner und einem Nazi-Gegner kommt es zu einer verbalen Auseinandersetzung, plötzlich drischt Schmidtke mit einem Regenschirm auf den Demonstranten ein – ein eindrucksvoller Beweis für Golls Aussage, dass Schmidtke "brandgefährlich" sei.

Zur besten Sendezeit

Insgesamt zeichnet die Doku "Terror im Kiez – Neonazis in Berlin" so ein umfassendes Bild über einen Ausschnitt der rechtsextremen Szene in Berlin. Zwar bietet der Film keine wirklich neuen Fakten, sein Verdienst ist es allerdings, die bekannten Puzzlestücke zu einem Ganzen zusammenzubinden. Noch erfreulicher ist allerdings, dass der rbb die Dokumentation zur besten Sendezeit bringt und nicht im Nachtprogramm versteckt. Denn eines hat der Film in jedem Fall deutlich gemacht: Der Druck, der durch mehr Öffentlichkeit entsteht, ist nicht zu unterschätzen – seit der verstärkten Berichterstattung ist Christiane Schott jedenfalls nicht mehr zum Ziel eines Anschlags geworden.

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