Im Berliner Ortsteil Niederschöneweide will der stadtbekannte Neonazi Sebastian Schmidtke einen Laden eröffnen, unweit der rechtsextremen Kneipe "Zum Henker". Antifaschist/innen und Bürger/innen befürchten, eine weitere Verfestigung der rechtsextremen Szene im Kiez. Am vergangenen Freitag demonstrierte deshalb ein breites Bündnis unter dem Motto "Schöneweide ist unser Kiez! Nazistrukturen aufdecken und bekämpfen!" in Treptow-Köpenick.
Von Ulla Scharfenberg
Etwa 800 Teilnehmer/innen waren dem Aufruf der lokalen Antifa und dem Bündnis für Demokratie und Toleranz Treptow-Köpenick gefolgt und versammelten sich am S-Bahnhof im Süd-Osten Berlins. Kurzfristig hatten auch SPD, LINKE und GRÜNE zur Demonstration mobilisiert. Der Aufmarsch war entsprechend buntgemischt durch alle Altersklassen: Gewerkschaftler/innen, Studierende der nahegelegenen Hochschule für Technik & Wirtschaft, Bürger/innen im Rentenalter bis zu jungen Antifaschist/innen im klassischen Schwarz.
Braune Kulisse
Nach einigen Redebeiträgen zum Thema setzt sich der Demozug gegen 19 Uhr in Bewegung. Anwohner/innen werden durch laute Sprechchöre aufmerksam gemacht und mit Infomaterial versorgt. Die Demonstration kommt kurz zum Stehen, als zwei Neonazis aus den Fenstern eines Hauses in der Spreestraße die Teilnehmer/innen provozieren. Mit einer Deutschlandfahne vermummt filmt einer der beiden die „politischen Gegner“. Dass sich vergleichsweise wenig Schöneweider Bürgerinnen und Bürger am Protest gegen die Neonazi-Strukturen im Kiez beteiligen, enttäuscht zwar, überrascht aber auch nicht wirklich. Die Route der Demonstrierenden führt vorbei an unzähligen Graffiti und Schmierereien rechtsextremen Inhalts. Es ist leicht zu erkennen, dass sich die vielen Hakenkreuze und „NS Jetzt!“ Schriftzüge schon eine Weile an den Mauern befinden. Es scheint fast, als hätten sich viele Menschen hier mit ihren braunen Nachbarn abgefunden. „Egal was sie anhatten, sie waren immer nett“ beschreibt eine Passantin die Neonazis. Die lautstarke Demonstration könne sie hingegen nicht so recht verstehen, mit den Rechtsextremen hätte sie noch keine Probleme gehabt. Diese Dame störte sich auch sicher nicht am großen Banner mit der Aufschrift „Lieber tot als rot“, dass die Neonazis gut sichtbar am alten Brauereigebäude befestigt hatten. Auf dem Kühlturm flatterte die Reichskriegsflagge.
„Soziale Anlaufstelle für nationale Deutsche“
Als der Demonstrationszug die Brückenstraße erreicht, wird es spürbar lauter. Schon Stunden zuvor parkte die Polizei zum Schutz des Lokals mehrere Fahrzeuge vor dem Eingang der berühmten rechtsextremen Szenekneipe „Zum Henker“, die seit dem Frühjahr 2009 als überregional bekannter Neonazi-Treffpunkt fungiert. Hinter den Fenstern zeigten sich vereinzelt Neonazis, die ebenfalls damit beschäftigt waren, Videos der Demonstrierenden anzufertigen. Die Nazi-Gegner/innen ließen sich nicht provozieren und bekamen weitere Redebeiträge zu hören.
Logo des Bündnisses Schöner Weiden ohne Nazis
Im Berliner Verfassungsschutzbericht für 2010 wird zwar ein Rückgang der Popularität des „Henkers“ festgestellt, der Szenekneipe jedoch eine unvermindert hohe Symbolkraft zugeschrieben. So stuft das Landesamt „Zum Henker“ als „wichtigsten rechtsextremistischen Treffort in Berlin“ ein. Udo Voigt, NPD-Parteichef und gleichzeitig NPD-Fraktionsvorsitzender im Bezirk Treptow-Köpenick, forderte im August 2010 die Bezirksverordnetenversammlung auf, „froh darüber“ zu sein, „daß ein Kiezlokal (…) für viele junge nationale Deutsche eine soziale Anlaufstelle ist“. Tatsächlich steht das Lokal des bekannten Neonazis Paul Barrington, im Zentrum neonazistischer Aktivitäten im Bezirk. Auf der Homepage bewirbt Henker-Betreiber Barrington seine Getränke-Angebote: „Odin-Trunk“ ist zu haben, oder auch „Himla“, Rum mit Himbeergeschmack und Limo. Dienstags von 17 – 20 Uhr ist „Happy Hour“. Das Logo der Aktion „Schöner Weiden ohne Nazis“ fungiert als Hintergrundbild, allerdings haben es die Neonazis entscheidend verändert: Ein glatzköpfiger Mann in Armeekleidung erschießt mit einem Scharfschützengewehr die Kühe.
„Sprengstoffe müssen entschärft werden“
Nur wenige Meter weiter macht die Demonstration erneut Halt. Hier, in der Brückenstraße 9, soll in Kürze der Laden „Hexogen“ eröffnet werden. Sebastian Schmidtke, Berlins NPD-Vize, möchte nach eigenen Angaben „Alles für den Aktivisten“ anbieten. Neben Militär- und Sicherheitsdienstbedarf sollen hier also szenetypische Materialien, CDs, Kleidung, Infomaterial und NS-Memorabilia zu haben sein. Schmidtke ist alles andere als ein unbeschriebenes Blatt: In den letzten Jahren avancierte der 27-jährige zu einem der führenden Neonazis der Stadt, kandidiert für die NPD um einen Sitz in der Bezirksverordnetenversammlung Treptow-Köpenick sowie im Berliner Abgeordnetenhaus und zeichnet sich als Anmelder zahlreicher Neonazi-Demonstrationen verantwortlich, u. a. des „Wahrheit macht frei“ Aufmarsches im Mai in Kreuzberg, wo Rechtsextremisten brutal auf Gegendemonstrant/innen und Zivilist/innen losgingen. Auch der Name seines Geschäfts ist nicht zufällig gewählt. „Hexogen“ ist die Bezeichnung eines in Berlin entwickelten, hochgiftigen Sprengstoffs, den die Deutschen im Zweiten Weltkrieg herstellten und einsetzten. Hans Erxleben, Sprecher des lokalen Bündnisses für Demokratie und Toleranz richtete sich in seiner Rede direkt an Schmidtke, der in den vergangenen Tagen jeden Tag in seinem Laden gewesen sei und möglicherweise auch jetzt zuhöre. Er forderte Schmidtke auf, seine Geschäftsidee noch einmal zu überdenken, mit „ungebetenen Gästen“ müsse er jetzt häufiger rechnen. Auf den Namen „Hexogen“ anspielend schloss Erxleben seine Rede mit den Worten „Sprengstoffe müssen entschärft werden“.
Vereinzelt ließen sich Neonazis am Rande der Demonstration blicken, es kam jedoch zu, Glück zu keinen größeren Zwischenfällen. Die angeblich 50 Rechtsextremen, die sich in Adlershof zu einem Aufmarsch zusammenfanden konnten von der Polizei vom S-Bahnhof Schöneweide ferngehalten werden.
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