Mecklenburg-Vorpommern: Die jugendliche Anhängerschaft der NPD wächst

Bevölkerungsschwund, Perspektivlosigkeit, bedenkliche Jugendkultur und die netten Nachbarn von der NPD – was ist nur los in Mecklenburg-Vorpommern? Der Rechtsruck in der Bevölkerung macht sich immer stärker auch bei Jugendlichen bemerkbar. Leider sind die Nazi-AnhängerInnen meist keine NichtwählerInnen.

Von Bea Marer

Die jugendliche Anhängerschaft der NPD wächst

„Die U18-Wahlen sind nur Stimmungsbilder, nicht repräsentativ“, urteilt die Initiative des Projekts U18 selbst. Seit einigen Jahren können Jugendliche Unter 18 an ihren Schulen parallel zu den „richtigen“ Wahlen ihre Stimme abgeben, so auch in Mecklenburg-Vorpommern. Dabei gehe es vordergründig nicht um die Wahlergebnisse, als vielmehr um das Erfahren von politischer Partizipation. Die Schüler sollen sich mit den Parteiprogrammen auseinandersetzen.
Aussagen für zukünftige „echte“ Wahlergebnisse seien nicht voraussagbar.

Gut, dann nur Stimmungsbilder, nichts Repräsentatives von Gewicht. Doch macht das einen Stimmenanteil von bis zu 70 Prozent für die NPD in einer 8. Klasse weniger erschreckend? Denn „das kommt durchaus schon mal vor, gerade hier in Ost-Vorpommern“, so Heiko Pult. Als Mitarbeiter des Regionalzentrum für demokratische Kultur(mbt) führt er an Schulen Workshops zum Thema Rechtsextremismus durch. Er informiert, geht Vorurteilen nach und gibt Impulse zur Gegenwehr. Dabei falle ihm oft auf, wie leichtfertig Jugendliche unreflektiert mit Begriffen umgingen. Außerdem sei der „Unterschied zwischen Wahrnehmung und Realität sehr krass“. Ein Beispiel: „Schon die Jugendlichen haben Vorbehalte gegenüber Ausländern“, immerhin seien das laut den Schülern „mindestens 40, wenn nicht sogar 60 Prozent in Vorpommern!“ Der Erfolg der NPD im Grenzgebiet mit speziell polenfeindlichen Parolen wird hier deutlich. Heiko Pult klärt auf: real sind es nur zwei Prozent.

Aus Erfahrung ist bekannt, dass die Feindlichkeit gegenüber „Ausländern“ immer dort am größten ist, wo deren realer Anteil am geringsten ist. Denn so können Ängste und Vorurteile besonders gut geschürt werden, da es den Menschen an persönlichen Erfahrungen fehlt. Übrigens: Schon von „Ausländerfeindlichkeit“ zu sprechen ist meist inkorrekt. Rechtsextremisten fragen nicht erst nach den Pass, bevor sie „nicht typisch deutsch“ aussehende Menschen angreifen. Ihre Motive sind ganz klar rassistische.

Auch LehrerInnen müssen lernen

Der deutlich steigende Stimmengewinn der NPD bei Jugendlichen hat viele Gründe. Zum einen kümmert sich die rechtsextreme Partei scheinbar um die regionalen Probleme. Sie versendet beispielsweise harmlos aufgemachte Zeitschriften, bei denen die rechtsextremistische Ideologie Ungeschulten nicht auffällt. „Der Einfluss dieses Blattes ist angesichts mangelnder Alternativen enorm“, schätzt Pult die Lage ein. „Lehrer erkennen die rechten Inhalte dieser Zusendungen oft nicht“.

Auch Lehrer und Lehrerinnen müssten sich mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandersetzten. Das ist oft schwierig, viele weisen – wenn auch nicht offen – selbst rassistische Denkmuster auf. Was sollen Schüler und Schülerinnen lernen, wenn ihr Lehrer selbst Begriffe wie „Zecke“ bedenkenlos nutzt?

„Es fehlt ganz klar das Problembewusstsein“, kritisiert Günther Hoffmann. Er ist Rechtsextremismusexperte in Mecklenburg-Vorpommern und erlebt die rechte Szene jeden Tag vor der eigenen Haustür. Die Lehrkräfte seien massiv überaltert, „da kann kein frischer Wind aufwehen“. Lehrer und Lehrerinnen erlaubten sich keine politische Meinung mehr und „verhalten sich neutral“, so Hoffmann, „das sind Nachwehen der Wende“. Damals wurde in Mecklenburg-Vorpommern fast ein Drittel des Kollegiums wegen Stasimitarbeit entlassen.

Das heikle Thema Rechtsextremismus ist im Unterricht unbeliebt. Es werde immer nur von externen Personen behandelt, Leuten wie Heiko Pult und Günther Hoffmann. Doch es an fehle Vor- und Nachbereitung. Dabei gehört die Auseinandersetzung nicht nur in den Geschichtsunterricht. Im Musikunterricht könnte die neue Schulhof-CD der NPD analysiert werden. Stattdessen wird sie höchstens tabuisiert und konfisziert. Keine Lösung. Das Verbotene reizt die Jugendlichen und die laden sich die CD zu Hause im Internet runter. Das Lehrkollegium atmet auf, das fällt nicht mehr in ihren Verantwortungsbereich. Darum brauchen sie sich nicht zu kümmern.

Jugendmode: Braun ist das neue Schwarz

Die rechte Szene habe sich zur Jugendkultur entwickelt, die „teilweise noch die einzige Jugendkultur ist, die Angebote macht“, sagt Heiko Pult von der Reginalzentrum für demokratische Kultur. Wo sich die demokratischen Parteien nicht einsetzen, füllt die NPD allzu erfolgreich die Lücken. In einigen Gebieten Mecklenburg-Vorpommerns sei es normal, dass jede/r Jugendliche Bekannte aus der rechten Szene habe, mit rechten Bands verkehre oder zumindest deren Musik kenne und oft auch höre.

Außerdem befinden sich die U18-Wähler und –Wählerinnen in der Pubertät. Da haben sie Lust auf Aktionismus und sind für extreme Ansichten eher offen. Besonders, wenn der Freundeskreis auch schon drin steckt. Die meisten wohnen in Dörfern, wo es kaum Alternativen zu der rechten Jugendclique gibt. Nicht rechts sein bedeutet daher auch soziale Ausgrenzung – für Teenager das Schlimmste. Erst beim Älterwerden entscheidet sich, ob sie wieder den „normalen“ Weg einschlagen oder in der Szene bleiben.

Letzteres ist besonders in den verlasseneren Gegenden der Fall – und davon gibt es in Mecklenburg-Vorpommern sehr viele. Immer mehr junge und gebildete Menschen ziehen fort, insgesamt 219.000 seit 1990. Sogar offizielle Studien, wie die des „Berlin-Instituts für Entwicklung und Bevölkerung“ empfehlen eine Förderung dieser „verlorenen Räume“ zu unterlassen, da diese „verlorener Aufwand” sei (Jungle World, Nr. 32, 2009). Was bleibt, sind die Frustrierten. Sie sind von der Politik enttäuscht und glauben an eine Verbesserung ihrer Lage durch die NPD. Und sie bekommen Kinder. Kein Wunder, dass der Nachwuchs bei den U18-Wahlen höchst bedenklich oft rechts sein Kreuzchen setzt. Aber, das sind ja nur „Stimmungsbilder“…

Alle Parteien rufen die Bevölkerung auf, zur Wahl zu gehen. Ein besonderes Anliegen sind ihnen die Erst- und Jungwähler und -Wählerinnen. Doch was heißt das in Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern? Fast möchte man sie davon abhalten. Ist es nicht wünschenswert, wenn rechte Noch-nicht-Wähler und –Wählerinnen auch Nichtwähler- und Wählerinnen bleiben?

Letzte Wahlergebnisse der NPD

Die NPD konnte bei den Kommunalwahlen 2004 nur 0,4 Prozent der Stimmen erhalten. Bei den Kommunalwahlen im Juni 2009 sind aus den 0,4 Prozent schon 3,2 geworden. Dabei hatte die NPD in 37 Gemeinden einen zweistelligen Prozentsatz, in zweien sogar über 20 Prozent. Danach kommt nach Abstand Thüringen, mit zehn Gemeinden im zweistelligen Bereich.

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