Im Zuge des G20-Gipfels kam es in Hamburg zu Ausschreitungen.
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"Das Problem in der Debatte ist die parallelisierende Gegenüberstellung"

Im Zuge des G20-Gipfels kam es in Hamburg zu schweren Ausschreitungen. Nun werden Debatten über die Gewalttäter geführt, über ihre politische Verortung und Motivation. Ein Aspekt: Der Vergleich von Linksextremismus und Rechtsextremismus. Ist das ein sinnvoller Ansatz? Wir haben mit Matthias Quent, Leiter des „Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft“, über die derzeit beliebte Gleichsetzung gesprochen.

 

Belltower.News: Nach den Krawallen von Hamburg werden Links- und Rechtsextremismus oft in einem Atemzug genannt. Was sagen Sie dazu?

Matthias Quent: Das war vorhersagbar und ist gleichzeitig ein Rückschritt in der öffentlichen Debatte. Vielleicht war das sogar ein intendierter Nebeneffekt der Durchführung des G20-Gipfels in Hamburg, Gewalt in Kauf zu nehmen, um eine Diskussion um innere Sicherheit in den Bundestagswahlkampf zu tragen? Zumindest lenkt die Debatte von Fehlern in der sogenannten Flüchtlingskrise, von den Problemen Europas sowie von der hausgemachten rechten Gewalt ab. Zugleich können kapitalismuskritische Bewegungen als „linksextrem“ und gewalttätig stigmatisieren werden. Immerhin wird aber in den meisten Medien zurecht differenziert zwischen den zehntausenden Demonstranten und einigen Hundert Gewalttätern.

 

Was halten Sie von den Begriffen in der Diskussion? Was beschreiben Linksextremismus und Rechtsextremismus?

Wissenschaftlich sind beide Begriffe umstritten. Beim Rechtsextremismus sind sich Wissenschaftler_innen allerdings zumindest im Prinzip soweit einig, dass diesem die Vorstellung einer prinzipiellen Ungleichwertigkeit von Menschen zugrunde liegt. Dies widerspricht den demokratischen Prinzipien und dem Grundgesetz.  Zum Linksextremismus-Begriffs gibt es kein gemeinsames Verständnis und viele Sozialforscherinnen und -forscher lehnen den Begriff ab.  Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Begriffe nutzen, geben sie zuvor konkrete Definitionen an. Aber in der öffentlichen Debatte werden die Worte meist als politische Kampfbegriffe ohne einen klar abgrenzbaren Gegenstand genutzt. Ich halte den "Linksextremismus"-Begriff für irreführend und überflüssig, auch in Hinblick auf die Gewalt von Hamburg. Wenn man über linke oder anarchistische Gewalt redet, sollte man sie auch so benennen, statt unscharfe Containerbegriffe zu nutzen.
 

Wird linksextreme Gewalt in Deutschland verharmlost?

Sicher wird man in sozialen Netzwerken auch verharmlosende Äußerungen zu linken Gewalttaten finden können, auch in Hinblick auf die Krawalle in Hamburg. Gerade unter Jugendlichen scheint es Genugtuung hervorzurufen, wenn – umgangssprachlich gesprochen - die Polizei etwas auf den Deckel kriegt. Woran liegt das? Das ist eine wichtige Forschungsfrage. Aber es ist eine andere Frage als die, warum Menschen andere Menschen zum Beispiel auf Grund ihrer Hautfarbe oder Religion verfolgt und angegriffen werden und andere diese Gewalt begrüßen.

Das Problem ist aber die parallelisierende Gegenüberstellung. Der Vorwurf der Verharmlosung linker Gewalt wird im politischen Alltagsgeschäft instrumentell gegen Menschen und Projekte erhoben, die sich gegen Rassismus und andere Erscheinungen richtet, die häufig unter dem Schirmbegriff des Rechtsextremismus subsumiert werden. Das ist völlig irreführend und ein Schlag ins Gesicht der vielen Menschen, die sich für Grund- und Menschenrechte engagieren. Sowohl rechte als auch linke Gewalt müssen betrachtet und auf der Grundlage vernünftiger Analysen behandelt werden. Allerdings jedes Phänomen für sich, mit den eigenen Prämissen und Motivationen. 

Ich finde die These der Verharmlosung zudem insgesamt nicht belegt, etwa in Hinblick auf die Kriminalitätsstatistiken, in denen zum Teil gewaltfreie Sitzblockaden gegen Neonazi-Veranstaltungen als linke Gewalttaten registriert werden. Gewalt-Eskalationen linker Protestereignisse wie in Hamburg oder am 1. Mai sind die Ausnahme.

 

Warum ist es sinnvoll, rechte und linke Gewalt nicht gleichzusetzen? 

Weil wir dann nicht dazu kommen, die Ursachen des jeweiligen Handelns zu verstehen. Wenn man aber nichts weiß über die jeweiligen begünstigenden Faktoren, Narrative, Dynamiken und Mechanismen von Gewalt kann man keine problemadäquaten Umgangsformen damit finden - außer nach mehr Repression zu rufen.

Die Gleichsetzung von rechts und links läuft häufig darauf hinaus, die beiden politischen Richtungen als gleichsam undemokratisch, gefährlich und irregeleitet im politischen Diskurs zu isolieren und so zu tun, als wären die Argumente und Ziele in gleicher Weise falsch. Dass die rassistische Ideologie der extremen Rechten jenseits des demokratischen Konsensraumes liegt, ist offensichtlich und weitgehend anerkannt. Das trifft auf linke und auch auf radikale linke Kritik nicht zu, weil sie eine lange demokratische und intellektuelle Tradition auch in der Sozialdemokratie und in sozialen Bewegungen hat – denken Sie an die Arbeiter-, Frauen- oder auch Umweltbewegung. Es wird also versucht, Bewegungen und Akteure links der politischen „Mitte“ mit denen rechts der politischen „Mitte“ gleichzusetzen, die nichts miteinander gemeinsam haben müssen, außer dass sie nicht zur Mitte gezählt werden, um somit völlig unterschiedliche politische Konzepte undifferenziert zu stigmatisieren, als ideelle und politische Konkurrenten auszugrenzen und als Feindbild zu konstruieren. Wenn sich die politischen Bewegungen dann in antidemokratischen Methoden ähneln, etwa in dem durch Gewaltanwendung der Rechtsstaat zurückgewiesen und angegriffen wird, ist es natürlich sehr leicht, pauschalisierend auch die politischen Vorstellungen und Ziele gleichzusetzen.

Soweit zur öffentlichen Einordnung, aber lassen Sie mich noch ein Wort zur rechtsstaatlichen Perspektive sagen: Aus Sicht politisch zu Recht neutraler Polizei und Gerichte muss es tatsächlich auch gleichbehandelt werden, wenn etwa ein Polizeibeamter angegriffen wurde, egal ob von „Rechten“ oder „Linken“.

Allerdings gibt es bei vielen „rechten“ Gewalttaten einen wesentlichen empirischen Unterschied zu „linken“ Gewalttaten, der durch die Gleichsetzung nach dem Extremismus-Konzept ausgeblendet wird, nämlich der des Minderheitenschutzes bei Hassverbrechen.

 

In einem früheren Interview ist uns aufgefallen, dass Sie statt von „Extremismus“ lieber von Hass sprechen. Warum?

Genau genommen sind auch die Begriffe des Hasses bzw. der Hassverbrechen irreführend. Es geht eigentlich um vorurteilsgeleitete Verbrechen, also Handlungen, die sich gegen bestimmte Minderheiten richten. Menschen, die auf Grund von tatsächlichen oder zugeschrieben Gruppenzugehörigkeiten zum Opfer von Straf- und Gewalttaten werden leiden darunter stärker als „normale“ Kriminalitätsopfer. Wer auf Grund seiner Hautfarbe diskriminiert und angegriffen wird, hat ständig vor einer erneuten Schädigung Angst, anders etwa als ein Polizeibeamter, der seine Uniform nach Feierabend ablegen kann. Das hat nichts zu tun mit links oder rechts, sondern es geht um den gesellschaftlichen Schutz vor Diskriminierung und von Menschenrechten. Vorurteilsgeleitete Taten („hate crimes“) sollten härter bestraft werden, weil sie mehr Schaden bei den Betroffenen, ihren Gruppen und dem demokratischen Gleichwertigkeitsprinzip verursachen. Hassverbrechen können Menschen mit oder ohne politischen Motivationen verüben. Zum Beispiel werden Jüdinnen und Juden oder auch Obdachlose sowohl von Deutschen mit und ohne Migrationsgeschichte, von Christen und Muslimen, von Rechten und Linken diskriminiert und angegriffen. Allerdings sind die absolute Mehrzahl der Fälle im rechten Spektrum zu finden, eben weil die Ungleichwertigkeit von Menschen, die sich etwa in Antisemitismus oder Rassismus äußert, den zentralen Kern darstellt.

 

Kanzleramtsminister Peter Altmaier schreibt auf Twitter: “Linksextremer Terror in Hamburg war widerwärtig und so schlimm wie Terror von Rechtsextremen  und Islamisten.” Wie schätzen Sie das ein?

Analytisch ist diese urbane Massenmilitanz von Hamburg etwas anders als der konspirative Terror von Kleingruppen und Netzwerken, wie wir es von Rechtsextremen und Islamisten sehen. Von der falschen Einordnung abgesehen halte ich persönlich diese Äußerung für zynisch gegenüber den Angehörigen und Opfern des rechtsextremen und islamistischen Terrorismus. Seit 1990 sind in Deutschland – je nach Zählung – zwischen 75 und 180 Menschen durch rechte Gewalt ums Leben gekommen und durch islamistische Gewalt 14 Menschen. Durch linke Gewalt gab es dagegen keine Todesopfer.

 

Politiker_innen und Medienmacher_innen wünschen sich nun zivilgeselschaftliche Initiativen gegen Linksextremismus. Wie ordnen sie solche Forderungen ein?

Zum einen ist das Wahlkampf und die bereits beschriebene Gleichsetzung. Aber es zeigt auf der anderen Seite auch eine gewisse Ohnmacht und Phantasielosigkeit der Politik und eine naive Vorstellung der Übertragbarkeit von Konzepten und symbolischen Aktivitäten auf völlig unterschiedliche Sachverhalte. Es braucht keinen Wettbewerb des verbalen Aktionismus, sondern eine Analyse der Ursachen von Gewalt-Eskalationen und von Gewalt-Neigungen: Wie kommen Menschen dazu Polizisten anzugreifen, Selfies vor brennenden Barrikaden zu schießen oder einen sozial engagierten Drogeriemarkt zu plündern und sich dann als links zu bezeichnen, sofern sie das überhaupt tun? Ich wünsche mir, dass ein Minister oder eine Ministerin einmal zuerst eine vernünftige Studie und erst danach evidenzbasierte Maßnahmen fordert.

 

Wie sollte die Debatte um “Linksextremismus” geführt werden? Welche Fragen müssen aus Ihrer Sicht beantwortet werden?

Klare Begriffe sind wichtig. Wenn wir über Gewalt bei linken Protesten, über linke Gewalt, Riots oder gewaltsame Unruhen statt von „Linksextremismus“ sprechen würden, wäre für einen differenzierten Umgang in der inhaltlich gebotenen Sachlichkeit schon viel gewonnen.

 

Matthias Quent ist der Leiter des "Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft" in Jena, einer Thüringer Dokumentations- und Forschungsstelle gegen Menschenfeindlichkeit, die sich als eine Konsequenz des NSU-Untersuchungsausschusses gegründet hat. 

Titelbild: Flickr / Andreas Lehner /CC BY-NY-ND 2.0

 
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