Derzeit wird die Berichterstattung über Rechtsextremismus in Deutschland vor allem vom anstehenden NSU-Prozess bestimmt. Im Fokus steht dabei Beate Zschäpe – nicht nur, weil sie die einzige Überlebende des NSU-Trios ist, sondern auch, weil in der öffentlichen und medialen Wahrnehmung ein Bild von der extremen Rechten überwiegt, das sich insbesondere durch ein Merkmal auszeichnet: Männlichkeit. Eine neue Broschüre des MBT Hamburg wirft daher einen Blick auf "Mädchen und Frauen in der extremen Rechten".
Von Alice Lanzke
Fünf bis zehn Prozent aller rechtsextrem motivierten Straftaten werden von Frauen verübt. In rechtsextremen Parteien beträgt der Frauenanteil 20 Prozent. In rechtsextremen Organisationen, Cliquen und Kameradschaften sind zehn bis 33 Prozent der Mitglieder weiblich. Die Wählerschaft rechtsextremer Parteien besteht zu einem Drittel konstant aus Frauen. Und beim rechtsextremen Einstellungspotenzial unterscheiden sich Männer und Frauen nicht. Es sind Zahlen wie diese, mit der die neue Broschüre "Mädchen und Frauen in der extremen Rechten" vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus Hamburg (MBT Hamburg) deutlich macht, wie falsch das Bild vom ausschließlich männlichen Neonazi ist. Ein Klischee, das Gefahren birgt: Denn wenn Mädchen und Frauen nicht als aktiver Teil der extremen Rechten wahrgenommen werden, dann fällt auch die Bedrohung aus dem Fokus, die von weiblichen Neonazis ausgeht, so dass diese unbehelligt politisch agitieren können.
Umso wichtiger ist ein genauer Blick darauf, welche Organisationsformen und optischen Erscheinungen heute bei rechtsextremen Frauen und Mädchen vorherrschen. Die Broschüre des MBT Hamburg zeichnet hier unter der Überschrift "Von Bauernzöpfen und Erntedank bis Hello Kitty und Straßenkampf" ein differenziertes Bild. Optisch mache die Szene einen stark aufgefächerten Eindruck. Jahrelang dominierte in der Öffentlichkeit zwei unterschiedliche Erscheinungsbilder: das des Skingirls und das der Frauen aus dem völkischen Spektrum. Doch so einfach ist es schon lange nicht mehr. Doch obwohl Mädchen und Frauen zumindest optisch in vielfältiger Weise in der rechtsextremen Szene auftauchen, wirkt das Frauenbild der extremen Rechte konstant: Hier wird oft das Bild der treu sorgenden, deutschen Mutter gezeichnet – ein Bild, das allerdings in der Praxis oft ganz anders aussieht, wie die Broschüre betont.
Warum wenden sich Frauen der extremen Rechten zu?
In der Folge geht es um Frauengruppen in der extremen Rechten, wobei vor allem die "Gemeinschaft Deutscher Frauen" und der "Ring nationaler Frauen" aktuell von bundesweiter Bedeutung sind. Doch warum wenden sich Mädchen und Frauen der extremen Rechten zu? Hier wirft die Broschüre einen Blick in die wissenschaftliche Auseinandersetzung und findet mehrere Faktoren: Zum einen wirken unbearbeitete familiengeschichtliche Themen in Bezug auf die nationalsozialistische Vergangenheit oder eine unsichere Eltern-Kind-Beziehung darauf ein, ebenso wie außerfamiliale Rahmenbedingungen.
Unter der Überschrift "Face it" geht es schließlich um rechte Aktivistinnen in Hamburg, von Inge Nottelmann aus der freien Kameradschaftsszene bis hin zu Gisela Pahl, eine Rechtsanwältin für die extreme Rechte. Abgeschlossen wird die Broschüre durch ein Kapitel mit methodisch-didaktischen Zugängen zum Thema "Frauen und Rechtsextremismus".
Vom Rand in den Fokus
Alles in allem bietet die Broschüre "Mädchen und Frauen in der extremen Rechten" so einen guten Einstieg in das Thema mit verschiedenen inhaltlichen Zugängen. Vor allem aber ist sie ein weiterer Impuls, rechtsextreme Frauen vom Rand der Wahrnehmung in den Fokus zu stellen.
Service
Die Broschüre kann am Ende dieses Beitrags als PDF geladen werden.
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