Die Aufarbeitung des NSU passiert nicht nur im Gerichtssaal in München oder in den Untersuchungsausschüssen. Auch kulturell wird daran gearbeitet. Unter anderem versuchen sich immer wieder Filmmacher*innen an der Geschichte. Das gelingt nicht immer. Ein Auszug aus der Broschüre „Le_rstellen im NSU-Komplex: Geschlecht, Rassismus, Antisemitismus“ der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus.
Von Charlie Kaufhold, Heike Radvan und Enrico Glaser
Noch bevor der Gerichtsprozess abgeschlossen war, gab es mehrere Versuche, den NSU-Komplex filmisch aufzubereiten. Aufarbeitung bedeutet v.a. die Perspektive der Opfer einzunehmen und diese zu stärken, den Täter*innen und ihren Motiven nachzugehen und nach gesellschaftlicher Verantwortung sowie Ursachenzusammenhängen zu fragen. Wie eine filmische Auseinandersetzung mit dem Problem Rechtsextremismus aus pädagogischer Sicht so gestaltet werden kann, dass eine solche mehrperspektivische Diskussion möglich wird, haben wir in der Broschüre »Film ab! Gegen Neonazis« gezeigt. Im Folgenden wollen wir Analyseansätze beziehen auf zwei Filme, die seit dem Bekanntwerden des NSU zur Täterinnenschaft Zschäpes gezeigt wurden. Dabei lauert in der Auseinandersetzung mit Täter*innenschaft eine Gefahr: Zu oft wird eine unkritische und von Faszination gegenüber Neonazi-Gewalt und Ideologie geprägte Perspektive eingenommen, die Suche nach Einstiegsmotiven in die rechte Szene verbleibt oberflächlich und konstruiert.
Mehrere Filme, wie die Dokumentationen »Der Kuaför aus der Keupstraße«, »8 Türken, ein Grieche und eine Polizistin« oder der Fernsehspielfilm »Die Opfer – Vergesst mich nicht« rücken die Betroffenenperspektive ins Zentrum. Daneben gibt es Versuche, dem Tema NSU mit der Frage nach Täter*innenschaft nachzugehen. Bereits 2016 haben die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF Spielfilme ausgestrahlt: Im Januar 2016 lief im ZDF »Die letzte Ausfahrt Gera – acht Stunden mit Beate Zschäpe« und im März und April 2016 – zwei Sendetermine lagen auf Jahrestagen von Morden des NSU – strahlte die ARD den Dreiteiler »Mitten in Deutschland: NSU« aus. Die ARD-Reihe besteht aus drei thematisch getrennten Filmen, die von unterschiedlichen Regisseuren umgesetzt wurden. Der – in der Reihenfolge der Ausstrahlung – erste Film ist »Die Täter – Heute ist nicht alle Tage« von Christian Schwochow, der sich der Entwicklung der Täter*innen bis 1998 widmet. Der zweite Film »Die Opfer – Vergesst mich nicht« (Regie: Züli Aladağ) basiert auf dem autobiografischen Roman »Schmerzliche Heimat. Deutschland und der Mord an meinem Vater« von Semiya Şimşek, der Tochter des vom NSU Ermordeten Enver Şimşek. Der dritte Film »Die Ermittler – Nur für den Dienstgebrauch« (Regie: Florian Cossen) bereitet das Versagen der Behörden bei der Fahndung nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe seit 1998 auf. Obwohl die Reihenfolge der Filme einer Chronologie folgt, erscheint sie gesellschaftlich paradigmatisch für den Umgang mit dem Temenkomplex NSU: Nicht die Perspektive und Narrative der Opfer und Opferangehörigen werden an die erste Stelle gesetzt, sondern die der Täter*innen.
Wenn wir im Folgenden den ersten Teil der Trilogie »Die Täter – Heute ist nicht alle Tage« und »Die letzte Ausfahrt Gera – acht Stunden mit Beate Zschäpe« – und damit Filme mit einer Fokussierung auf die Täter*innen genauer besprechen, sind damit Fragen nach bestimmten Qualitäten verbunden: Wie wird mit der Gefahr umgegangen, von den Täter*innen fasziniert zu sein? Wie wird die Einsozialisation in die rechten Szenen dargestellt, welche Ursachentheorien werden aufgerufen, wie plausibel erscheint dies und welche Leerstellen werden deutlich? Werden biografische Krisen beschrieben und geraten darüber die Bedeutung von Rassismus bzw. rechtsextremer Meinungen für Einstiege in rechte Gruppierungen – individuell, im Umfeld der Protagonist*innen oder in der Gesellschaft – und damit Verantwortliche aus dem Blick? Klären die Filme im besten Sinne über rechte Strukturen und ihre Inhalte auf? Werden die von rechter Gewalt Betroffenen und ihre Perspektive thematisiert?
»Die Täter – Heute ist nicht alle Tage«
Im ersten Film der ARD-Trilogie, »Die Täter – Heute ist nicht alle Tage«, steht das spätere Kerntrio des NSU, ihr Aufwachsen und ihre politische Sozialisation in Jena Winzerla im Zentrum. Der Film setzt kurz nach der Wende ein und endet 1998, als Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe anlässlich von Wohnungs- und Garagendurchsuchung Jena verlassen. Gerahmt wird diese Erzählung von filmischen Szenen des ersten Mordes des NSU an Enver Şimşek am 11. September 2000. Der Film wird aus der Sicht von Beate Zschäpe erzählt und ist dramaturgisch zweigeteilt: Zuerst wird der Frage nachgegangen, wie Zschäpe in Jena Winzerla zur Neonazistin wird, anschließend wird vertieft, wie sie sich als solche verhält.
Der Regisseur Christian Schwochow erläutert seine Herangehensweise in einem Interview: »Ich wollte tief in die Szene rein, ich wollte mich mit den Biografien, mit der Psychologie dieser drei Menschen auseinandersetzen, ich wollte sie ernst nehmen in ihren Sehnsüchten, in ihren Widersprüchlichkeiten, ihren geplatzten Hoffnungen, um irgendeine Art von Antwort zu finden: Warum? Warum passiert es, dass sie diese Gabelung des Weges nehmen und plötzlich anfangen, radikalste Gedanken zu leben?« In einem Statement zum Film führt er weiter aus:»Ich wollte mich ihnen mit diesem Film wie Klassenkameraden nähern, mit denen man jahrelang zusammen gespielt, gefeiert, gelebt hat – und das ganz unideologisch. Ich wollte ihr Handeln verstehen.«
Herauszufinden, warum sich Menschen wie Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe für eine menschenverachtende Ideologie entscheiden und diese gewalttätig umsetzen, ist eine gesellschaftspolitische und pädagogisch relevante Fragestellung. Basis hierfür ist eine Metaperspektive, mit der das Problem aus einer Reflexion ermöglichenden Distanz betrachtet wird. Das Zitat des Regisseurs lässt vermuten, dass die Motivation »ganz nah ranzugehen«, dies erschwert haben könnte. Denn hier verläuft der schmale Grad zwischen analytischem, ideologiekritischem Verstehen von Beweggründen und Zusammenhängen einerseits und Verständnis einer »unideologisch[en]« hineinversetzenden und mitfühlenden Annäherung andererseits. Auch deutet sich an: Der Regisseur ging davon aus, dass die Personen »geplatzte Hoffnungen« hatten und »plötzlich anfangen, radikalste Gedanken zu leben«. Mit einer Kenntnis von Einsozialisationsprozessen in rechtsterroristische Gruppierungen mutet diese Perspektive naiv an: So ist davon auszugehen, dass rassistische Täter*innen die politischen Einstellungen, die sie vertreten, nicht einfach so annehmen und sich »plötzlich« ändern. Vielmehr sind solche Biografien in sich konsistent und ergeben für die Subjekte »Sinn«: Neonazis, die sich in den 1990er Jahren an den Pogromen gegen ehemaligen Vertragsarbeiter*innen und Asylsuchende in den neuen Bundesländern beteiligten, beschrieben, dass sie im Wissen darüber aufwuchsen und handelten, dass ihre Eltern, Nachbarn und Mitschüler*innen die feindliche Haltung teilten. Insofern kam die Meinung nicht »plötzlich« »über sie«: Vielmehr fühlten sie sich als Ausführende der Wünsche ihrer Eltern und Großeltern – der Mehrheitsbevölkerung. Möglicherweise waren ihre »Hoffnungen« zu allererst hiervon geprägt: Sie wollten erfolgreich ihre rassistischen Vorstellungen umsetzen. Im gesamten ersten Teil fungiert Zschäpe als Protagonistin und kann durch die Art und Weise der Darstellung zur Sympathieträgerin werden. Dass Menschen, die morden, auch sympathisch wirken können, ist grundsätzlich wenig verblüffend und auch nicht neu. Erinnert sei an die Auseinandersetzung mit NS-Täter*innen, die als »freundliche Nachbar*innen«, als liebevoll von ihren Familien wahrgenommen wurden. Zuschauende lernen Zschäpe also als Jugendliche kennen, unaufmerksam in der Schule, kichernd mit ihrer Freundin Sandra im Supermarkt, mit ihrer Oma im Garten plaudernd, rotzig zu ihrer Mutter und selbstverständlich ist auch die erste Liebe Tema. Der Umstand, dass keine kritische Distanz zu den jugendlichen Neonazis und späteren Rechtsterrorist*innen eingehalten wird, wird in verschiedenen Rezensionen positiv hervorgehoben. So heißt es in einer Rezension in der Welt: »Die drei Protagonisten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begleitet er (der Regisseur, Anm. Verf.) durchaus mit Empathie. Sie kommen nicht von einem anderen Stern, sondern könnten Klassenkameraden gewesen sein.« Eine solche Annäherung ist filmisch zunächst unabdingbar. Aber: Wichtig und aufklärend in dem Zusammenhang wäre es, darauf hinzuweisen, dass diese scheinbare Normalität bereits zu problematisieren ist: »Aus ganz normalen« Jugendlichen als Teil einer mit rassistischen Stimmungen sympathisierenden oder diese tragende Bevölkerung hat sich der NSU gebildet. Kritisch betrachtet, könnte das also auch ein Fingerzeig auf das Potenzial rechten Terrors sein. Deutlich wird das in folgender Gesprächssituation während des Filmdrehs, »als einer der Komparsen Sebastian Urzendowsky anspricht: ›Hier, du spielst doch den Böhnhardt, oder?‹ Urzendowsky: ›Ja.‹ Komparse: ›Der hat mir früher mal auf die Fresse gehaun.‹« Denn auch was die 1990er Jahre in Jena angeht, gibt es eine Opfer- bzw. Betroffenenperspektive, d.h. eine Perspektive derjenigen, die von der Gewalt betroffen waren. Zwar werden – v.a. im zweiten Teil des Films – immer wieder Betroffene gezeigt, ihre Darstellung dient jedoch in erster Linie der Charakterisierung der Täter*innen – den Narrativen der Betroffenen wird kein Raum gegeben.
Wie erfüllt der Film nun den Anspruch des Regisseurs, die politischen Beweggründe und Motivationen für die Entwicklung hin zum NSU, insbesondere von Zschäpe, zu erklären? Als Hauptgrund für Zschäpes neonazistische Orientierung wird sehr klar die historische Situation benannt: das Ende der DDR. Die gesellschaftliche Situation wird als chaotisch dargestellt, die Eltern der Jugendlichen werden durchgängig als überfordert und unpolitisch dargestellt, die Jugendlichen als halt-, perspektiv- und orientierungslos. Hier scheint eine These aus der Sozialwissenschaft durch, derzufolge Desintegration durch einen politischen Umbruch zu Desorientierung und politisch rechter Sozialisation geführt habe. Allerdings wurde diese These als verkürzend und politisch verharmlosend kritisiert. Durch die gesellschaftliche Umbruchsituation allein lässt sich nicht erklären, warum Menschen rechtsextreme Meinungen vertreten und leben. Unsicherheit muss nicht zu rassistischer Abwertung und Ausschluss anderer Menschen führen. Auch sozialer Abstieg führt nicht zwangsläufig zu Täter*innenschaft – so haben bspw. andere Jugendliche zur selben Zeit ganz andere Schlüsse gezogen. Der Film legt hier eine primäre Sozialisation nahe, die geprägt war von Bindungslosigkeit, emotionaler Unzuverlässigkeit, einem eher autoritären, zugleich aber eher gleichgültigen Erziehungsstil.
Christel Hopf zeigt in ihren Studien zur damaligen Zeit: Dieser Erziehungsstil kann eher dazu führen, dass sich Heranwachsende in rechtsextreme Gruppierungen hinein orientieren. Zur dargestellten Halt- und Orientierungslosigkeit gehört auch, dass Zschäpe schlechte Noten in der Schule bekommt und sich deshalb – anders als ihre Freundin Sandra – nicht um ihre weitere schulische oder berufliche Laufbahn bemüht. Zschäpes und Sandras Lebenswege werden im Film immer wieder parallelisiert. Sandra tendiert – ähnlich wie es für Zschäpe nahegelegt wird – zuerst nach links, wendet sich aber später von allem Politischen ab, vom »Rechts-links-Kinderkram«, wie sie rückblickend sagt. Sie macht eine Ausbildung und gründet eine Familie, ihre politische Meinung wird ab da nicht mehr im Film verhandelt. Die komplexe Frage, warum ihre Lebenswege so unterschiedlich verlaufen, kann der Film nur ungenügend beantworten. Jedoch wird ein dominantes Motiv als Begründung eingeführt: die Partnerwahl der beiden Frauen. Als Einstieg in die rechte Szene wird das Flirten von Zschäpe mit Mundlos im »Winzerclub« dargestellt – ein stereotypes Erklärungsmodell für die Sozialisation von rechten Frauen. Ihre eigenen Überzeugungen scheinen dabei keine Rolle zu spielen.
Dass sich Zschäpe rechten Jugendlichen anschließt, wird im Film inhaltlich nicht nachvollzogen, dazu werden keine Tesen aufgestellt. Haben sich nahe Bezugspersonen z.B. rassistisch oder eher demokratisch geäußert? Wie wurde der Nationalsozialismus in der Schule aufgegriffen, welche Rolle spielte die Großmutter für das »Oma-Kind« Zschäpe? Im Gegenteil: Die politischen Entscheidungen der Jugendlichen werden als rein zufällig dargestellt. Die Nazis werden v.a. zu Beginn des Films als unpolitische Partyclique dargestellt. Die Ideologie, die politischen Einstellungen scheinen keine große Rolle zu spielen. Zschäpe wird als Jugendliche gezeichnet, die über die Stränge schlägt, klauen geht, feiern will, sich verliebt und mit Politik eigentlich nichts zu tun hat. Mit diesem filmischen Versuch, einen unpolitischen Alltag nachzuvollziehen und verstehbar zu machen, werden jedoch relevante Schritte der Politisierungsprozesse ausgeblendet.
Diese vermeintlich über die Stränge schlagenden Jugendlichen scheinen isoliert von der Mehrheitsgesellschaft zu sein. Es scheint keine Überschneidungen hinsichtlich rassistischer Einstellungen zu geben. Wenn der Film die rassistische Stimmung also Deutungsangebote für die Jugendlichen thematisiert, wie eine Neonazidemonstration im Neubaugebiet oder die Freude über die Übernahme asylfeindlicher Argumente der Neonazis durch die Politik, dann gelingt es ihm nur ansatzweise zu zeigen, wie diese sinnstiftend in das subjektive Weltbild der Jugendlichen übernommen wurden. Erst im zweiten Teil des Films – als Zschäpe Teil der rechtsextremen Szene ist – wird die menschenverachtende Ideologie der Szene deutlicher thematisiert.
Insbesondere die Rolle von Musik und Neonazi-Konzerten für die ideologische Ausrichtung werden hervorgehoben. Auch die »Turner Diaries« – ein rassistischer Roman, in dem das Konzept des »führerlosen Widerstands« propagiert wird – und der Anschlag von Timothy McVeigh in Oklahoma werden als Vorbilder des NSU eingeführt. Nicht gezeigt wird allerdings die weitreichende Organisierung der Jugendlichen, etwa anfangs in der »Kameradschaft Jena«. Trotz dieser Lücken wandelt sich nicht nur die Darstellungsweise der rechtsextremen Szene, sondern auch die Darstellungsweise von Zschäpe im zweiten Teil des Films. Sie wird nun – obwohl sie weiterhin fast durchgängig »Beatchen« genannt wird – als selbstbewusst und aktiv gewaltbefürwortend und -ausübend charakterisiert. Zwar wird Zschäpes Waffenbesitz nicht thematisiert; es wird jedoch gezeigt, dass sie eine alternative Jugendliche aus eigenem Antrieb auf der Straße zusammenschlägt. Uwe Mundlos freut sich in einer Szene angesichts der Eins- zu-eins-Übernahme durch den damaligen Innenminister Seiters nach dem Pogrom von Rostock Lichtenhagen: »Wir müssen handeln gegen den Missbrauch des Asylrechts, der dazu geführt hat, dass wir einen unkontrollierten Zustrom in unser Land haben«.
Eine Stärke des Films ist: Die damals angewendete »akzeptierende Jugendarbeit« (»Glatzenpflege auf Staatskosten«56) im »Winzerclub« in Jena-Winzerla wird prägnant gezeigt. Auch der Inlandsgeheimdienst und seine Unterstützung der Neonazi-Szenen durch das V-Leute-System werden kritisch betrachtet. Doch der Film wird dem formulierten Anspruch nicht gerecht, zu klären, warum die Mitglieder des NSU rechts wurden, warum sie »anfangen, radikalste Gedanken zu leben«. Der Übergang zu menschenverachtender Gewalt, insbesondere bei Zschäpe, wird nicht nachvollziehbar, obwohl es hierzu durchaus detaillierteres Wissen gibt. Diesen Prozess darstellen zu können, dazu hätte es einer distanzierteren und analytischeren Perspektive bedurft, die sich auch den erlebten Erziehungsstilen und Sozialisationskontexten zuwendet.
»Die letzte Ausfahrt Gera – acht Stunden mit Beate Zschäpe«
Der kammerspielartige Film interessiert sich weniger für Zschäpe nach 2011. Dafür geht der Film explorativ vor und versucht »eine Art Psychogramm, eine fragile Annäherung an den Charakter der Beate Zschäpe« zu zeichnen.58 Über den Anspruch des Films sagt Regisseur Raymond Ley, dass »das Bild einer meinungsstarken rassistischen Nationalistin« gezeichnet werden sollte, »die wusste, was sie tat, was sie ‚erduldete‘ und was sie damit mindestens beförderte: den Mord an
unschuldigen Menschen.«
Der Plot des Films basiert auf einem Protokoll der Polizei über eine Autofahrt mit Zschäpe. Etwa ein halbes Jahr, nachdem sie sich gestellt hat, reist sie unter Polizeibegleitung von der JVA Köln nach Türingen, um dort ihre Großmutter zu treffen. Auf der Reise wird Zschäpe von den Verhörspezialist*innen Troller und Dietrich begleitet, die versuchen, Vertrauen aufzubauen und hoffen, ihr auf der Autofahrt Informationen entlocken zu können. Die Szenen im Auto werden durch nachgespielte Szenen aus dem Gerichtssaal illustriert und kontrastiert.
Dabei werden Szenen aufgegriffen, in denen sich Opferangehörige Raum nehmen, um ihre Geschichte zu erzählen und vom Gericht respektlos gemaßregelt werden. Zudem kommen ein Nachbar und eine Urlaubsbekanntschaft von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sowie andere (auch ehemalige) Neonazis zu Wort. Zusätzlich werden Interviewausschnitte mit Opferangehörigen, Betroffenen des Keupstraßen-Anschlags, einem Neonazi, einer langjährigen Antifaschistin und Politikerin der Partei »Die Linke« sowie von Expert*innen eingespielt. Dadurch, dass der Film keine Positionierung und Wertung vornimmt, bleiben die Aussagen von Neonazis unkommentiert neben Aussagen von Betroffenen stehen.
Im Zentrum steht Zschäpe, deren Psychologie und Charakter ausgeleuchtet werden sollen. Dabei steigt der Film mit einer stereotypen und sexualisierten Perspektive auf Beate Zschäpe ein, die häufig den medialen und polizeilichen Umgang mit ihr und anderen rechtsextremen Frauen kennzeichnet:
Herr Troller: »Ich vergess die Namen immer wieder.«
Frau Dietrich: »Lilly und Heidi.«
Herr Troller: »Welche ist Heidi?«
Frau Dietrich: »Rechts.«
Herr Troller: »Die Katzen hat sie noch gerettet, bevor die Wohnung in die Luft flog.«
Frau Dietrich: »Eine ältere Dame und zwei Handwerker in Lebensgefahr.«
Herr Troller: »Da kommt sie so schnell nicht raus.«
Frau Dietrich: »Dreifacher Mordversuch.«
Herr Troller: »Na, noch gilt die Unschuldsvermutung. Sagen Se mal, finden Sie sie eigentlich
hübsch?« (zeigt ein Foto von Zschäpe)
Frau Dietrich: »Eines frage ich mich ja immer wieder. Hat die mit beiden Uwes geschlafen?«
Herr Troller: »Alles möglich. Bring mir den Kopf des Johannes und ich liebe Dich.«
Frau Dietrich: »Salome.«
Herr Troller: »Ich hab die Bibel noch gelesen.«
Hier finden wir einen Pol der medialen Darstellungsweise von Zschäpe wieder: Zschäpe wird gekennzeichnet als von der Norm abweichend, sie wird sexualisiert und dämonisiert, als besonders grausam gezeichnet. Beim Versuch, das Bild der aktiv handelnden, selbstbewusst auftretenden Frau zu zeichnen, verfängt sich der Film in Dämonisierungen. Zschäpe wird immer wieder als besonders aggressiv, kalkulierend, kalt und grausam dargestellt. Das wird direkt aus ihrer Persönlichkeit abgeleitet, dabei jedoch in keiner Weise in Zusammenhang mit ihren politischen Einstellungen gestellt. So lautet ein späterer Dialog zwischen zwei Polizistinnen: »Der trau’ ich alles zu. Ham Sie die Augen gesehen?« – »Ja, die Augen zählen aber nicht. Der Hass dahinter schon.« Eine solche Charakterisierung von Täterinnen »als quasi von Natur aus bösen Psychopathinnen«, so Kathrin Kompisch in ihren Untersuchungen zu Frauen im Nationalsozialismus, »ließ eine Auseinandersetzung mit ihren Handlungsspielräumen und Motiven obsolet erscheinen«.
Auch das andere Narrativ bietet der Film an: Die »alltägliche« Zschäpe wird beim Sport im Hof gezeigt, beim Durchblättern einer Frauenzeitschrift, beim Rauchen, scheinbar endlose Szenen des Small Talks mit Polizist*innen reihen sich aneinander. Das schlechte Verhältnis zu ihrer Mutter und das innige Verhältnis zu ihrer Großmutter werden thematisiert. Beim Besuch im Gefängnis wird Zschäpe emotional und begrüßt ihre Großmutter, von der sie durch eine Glasscheibe getrennt ist, traurig mit den Worten: »Ich würd, Dich so gern umarmen«. Sie erkundigt sich nach ihrer Gesundheit und antwortet auf die Frage der Großmutter, ob sie genug esse, fast weinend: »Ich würd, so gern hierher verlegt werden, nicht so weit weg, essen wie zuhause«. Diese verharmlosenden Darstellungen entfalten Wirkung. In einer Rezension schreibt Renate Meinhof in Bezug auf Zschäpes Aussage vom Dezember 2015, die sie nach Abschluss der Dreharbeiten verlesen ließ: »Das Bild, das die Angeklagte heute von sich zeichnet,
legt sich klar und bruchlos über die Bilder des Films. Es scheint zu passen: Da ist die liebende Frau, die einsame Hintergrundfrau, zwischen leeren Sektflaschen schwankend, voller Angst vorm Gefängnis – und kraftlos.« Damit übernimmt die Autorin nicht nur die Narration des Films, sondern geht auch der Aussagestrategie von Zschäpe auf den Leim. Zschäpe gibt sich im Dezember 2015 unter Bezugnahme auf ihr Frau-Sein als emotional abhängig von Mundlos und Böhnhardt, als alkoholkrank und in jedem Fall juristisch unschuldig – ohne Reue und Aussagen, die zu einer Aufklärung beitragen. Letztlich pendelt der Film zwischen zwei Lesarten. Problematisch ist: Die Zuschauer*innen können sich im Versuch, die Persönlichkeit Zschäpes zu entschlüsseln, verlieren – dadurch geraten Fragen zur Aufklärung ihrer Taten, nach politischen Motivationen u und Verantwortung sowie gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den Hintergrund.
Fazit: Umgang mit diesen Filmen
Wir haben zwei Filme über den NSU-Komplex genauer betrachtet, die Täter*innen, insbesondere Beate Zschäpe, in den Mittelpunkt stellen. Filme, die sich den Täter*innen, ihren Motiven und Taten zuwenden, müssen sich der Frage nach der Verantwortung stellen: Rechtsextremismus ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das verschiedenste Ursachen und zu allererst Auswirkungen auf diejenigen Menschen hat, die von rechter Gewalt betroffen sind. Nicht die Täter*innenfokussierung einzelner Filme ist das Problem, sondern die Dethematisierung von Verantwortung, von Bedingungsfaktoren rechtsextremen Terrors, von der Begünstigung durch rassistische Strukturen und Einstellungen. Für eine Auseinandersetzung mit rechtsextremem Terror und dem NSU-Komplex sind filmische Darstellungen geeignet, die Aufklärung leisten über diese Zusammenhänge, die rechte Szene, ihre Inhalte sowie deren Eingebundensein in die Bevölkerung. Die Bedeutung rechtsextremer Stimmungen für Einstiege in rechte Gruppierungen – individuell und im Umfeld der Protagonist*innen – darf nicht aus dem Blick geraten.
Besondere Aufmerksamkeit verlangt die Vermeidung stereotyper und entpolitisierender Darstellungen der rechtsextremen Täter*innen. Obwohl beide Filme in einigen Momenten Beate Zschäpe als selbstbewusste, aktiv handelnde rechtsextreme Person zeigen, bieten die Filme auch problematische Deutungen, etwa die Hinwendung zur rechtsextremen Szene aus Liebe. Durch eine unkritische und distanzlose Fokussierung auf eine Täterin und durch das ,Bedienen von Geschlechterstereotypen besteht die Gefahr einer Pathologisierung und Psychologisierung ,statt einer deutlichen Benennung der rassistischen Tatmotivation.
Wesentlich, so schreiben Heike Radvan und Julia Stegmann in der Broschüre »Film ab! Gegen Nazis«, bleiben für die Auseinandersetzung in pädagogischen Kontexten die von rechter Gewalt Betroffenen und ihre Perspektive: »Aus der daraus resultierenden Fokussierung auf die Täter ergeben sich für die pädagogische Arbeit verschiedene Probleme, die sich mit den Worten »Identifikationsfalle« und »mangelnder Perspektivwechsel« zusammenfassend beschreiben lassen. [...] Für die pädagogische Arbeit wäre es jedoch sinnvoller, und u.E. unabdingbar, verschiedene Personen ,zu portraitieren und als Identifikationsfiguren anzubieten. Solcherart Darstellungen ermöglichen Perspektivwechsel, beispielsweise durch die Darstellung der von rechter Gewalt Betroffenen und ihren Unterstützer_innen, alternativer Jugendlicher, die sich für eine vielfältige Kultur in ihrem
Ort einsetzen und sich mit Betroffenen rechter Gewalt solidarisieren.«
Die vorgestellten Filme genügen dieser Mehrperspektivität nur unzureichend. Zwar werden die Auswirkungen des Terrors sowie die brutale rechtsextreme Gewalt dargestellt, aber andere Perspektiven sind den Perspektiven der Täter*innen untergeordnet, Identifikationsfiguren abseits der eigentlichen Täter*innen werden nicht auf- und ausgebaut. Abschließend sei noch auf eine grundsätzliche Problematik der filmischen Aufarbeitung hingewiesen: Leider sind in den Darstellungen Fakten und Fiktionen nicht unterscheidbar. Das stellt Zuschauende ohne vertiefte Kenntnisse vor große Herausforderungen und wirft die Frage auf, was diese über den NSU lernen – bleiben Filmplot und Fiktion oder reale Fakten im Gedächtnis? Auch den Wechsel realer Zeitzeug*innen mit professionellen Darsteller*innen in »Letzte Ausfahrt Gera« ist mangels Kennzeichnung für Uneingeweihte kaum nachvollziehbar.
Ein Auszug aus der BROSCHÜRE:
Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus der
„Le_rstellen im NSU-Komplex: Geschlecht, Rassismus, Antisemitismus“.
Hrsg.: Amadeu Antonio Stiftung
Berlin 2018
Als PDF zum Download hier:
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