Nie hat sich die rechtsextreme Szene moderner präsentiert als heute: Ihre menschenverachtenden Botschaften werden geschickt mit den Stilmitteln zeitgenössischer Jugendkulturen getarnt – passend zur anvisierten Zielgruppe. Die Neuauflage von "Erlebniswelt Rechtsextremismus" deckt die Strategien auf und stellt neue Methoden und Ansätze für die Bildungsarbeit mit Jugendlichen vor.
Von Alice Lanzke
Ewiggestrig, rückwärtsgewandt, fortschrittsfeindlich: Die Attribute, mit denen Rechtsextreme gemeinhin belegt werden, widersprechen der Beobachtung, dass sich die Szene mittlerweile grundlegend gewandelt und vor allem modernisiert hat. Im Gegensatz zu den brutalen und rassistischen Morden des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) versuchen viele Rechtsextreme heutzutage, sich anschlussfähig zu präsentieren und vor allem Jugendliche zu erreichen. Umso wichtiger wird in diesem Zusammenhang Aufklärung, denn die Tarn- und Versteckstrategien sind in vielen Fällen nur schwer zu entschlüsseln.
Einen Versuch dazu unternimmt die Neuauflage des Bandes "Erlebniswelt Rechtsextremismus. Menschenverachtung mit Unterhaltungswert" (Wochenschau Verlag 2013). Sie richtet sich in erster Linie an Akteure der politischen Bildungsarbeit – die spezifische Zielgruppe erklärt auch den Aufbau des Buches. So werden im ersten Teil Hintergründe und Facetten der Erlebniswelt Rechtsextremismus vorgestellt, während es im zweiten Teil um konkrete Projektskizzen aus der Praxis geht. Diese Rezension konzentriert sich auf den ersten Teil des Bandes, der Praxisteil wird bei "Mut gegen rechte Gewalt" unter die Lupe genommen.
Die Diskussion um den Begriff Rechtsextremismus
Den Anfang des theoretischen Unterbaus für den Band macht Thomas Grumke mit dem Aufsatz "Rechtsextremismus in Deutschland. Begriff – Ideologie – Struktur". Darin stellt er einen Wandel des Rechtsextremismus' vor, der nicht mehr von Parteien dominiert werde, sondern mittlerweile einen stark bewegungsförmigen Flügel habe, der vor allem als jung, männlich und gewaltbereit charakterisiert werden könne. Insgesamt bietet der Text eine gute Zusammenfassung der Diskussion über den Begriff des Rechtsextremismus, setzt aber hier wirklich bei den Grundlagen an. Menschen, die sich bereits mit der Debatte beschäftigt haben, erfahren nichts Neues.
Es folgt der Aufsatz "Menschenverachtung mit Unterhaltungswert" von Thomas Pfeiffer, der sich vor allem mit der Bedeutung von Musik und Internet bei der Ansprache Jugendlicher durch Neonazis beschäftigt. Pfeiffer betont darin noch einmal, dass Jugendliche und junge Erwachsene zur wichtigsten Zielgruppe der Rechtsextremen geworden sind – entsprechend bemühen sich diese, Elemente ihrer Lebenswelt aufzugreifen und hier Anknüpfungspunkte zu schaffen. So werden Symbole und Codes als Tarnung für äußerst problematische Inhalte benutzt, Pfeiffer liefert dazu anschaulich eine ganze Reihe von Beispielen. Das Problem bei der Aufklärung über solche Symbole und Codes sei, dass dabei auch nicht-rechte Anhänger verprellt würden. Insgesamt bietet Pfeiffer so eine gute Zusammenfassung der Gefahr, die von den neuen rechtsextremen Strategien ausgeht.
"Patchwork aus Vorurteilen, Abwertungen und Ausgrenzungen"
Grundsätzlicher wird es wieder beim Beitrag "Von hohem Ausgrenzungswert" von Andreas Zick und Beate Küpper. Die Basis für den Aufsatz sind Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit", in dessen Rahmen an der Universität Bielefeld zehn Jahre lang repräsentative Befragungen über Ausmaß und Bedingungen der Abwertung von Gruppen in der Mitte der deutschen Gesellschaft durchgeführt wurden. Eine zentrale Aussage der beiden Autoren ist, dass sich der Rechtsextremismus heute als ein "Patchwork aus Vorurteilen, Abwertungen und Ausgrenzungen" präsentiert. Unterfüttert wird diese These durch die zahlreichen Statistiken, die im Laufe des Forschungsprojekts angefallen sind – eine wichtige Ergänzung der Ausführungen zuvor.
Der theoretische Teil des Buches wird dann auf den Rechtsextremismus im Internet fokussiert. Dazu liefert Thomas Günter eine Erläuterung dazu, warum das Internet entgegen landläufiger Meinung eben kein rechtsfreier Raum sei: Grundsätzlich gelte in der Online-Welt das gleiche Recht wie offline. Anhand verschiedener Tatbestände wie etwa "Volksverhetzung" oder "Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" gibt der Autor eine gute und knappe Übersicht, bei der Beispiele die aufgeführten Gesetze und Urteile veranschaulichen. Dazu klärt Günter auch über die rechtlichen Verfahren und Sanktionsmöglichkeiten auf und verweist auf die besonderen Fälle der Verlinken und Gästebücher im Netz.
Das perfekte Werbe- und Mobilisierungsinstrument
Die besondere Bedeutung des Web 2.0 betonen Stefan Glaser, Thomas Pfeiffer und Christiane Schneider im Aufsatz "Von Textwüsten zur Propaganda 2.0". Darin klärt ein geschichtlicher Abriss auf, wie Vorreiter der rechtsextremen Szene in den USA Datennetzwerke für sich entdeckten und wie die NPD schon im Juni 1991 einen Arbeitskreis "Neue Medien und Techniken" einsetzte. Inzwischen hätten sich das Internet und dabei vor allem die Sozialen Netzwerke zum perfekten Werbe- und Mobilisierungsinstrument für Rechtsextreme entwickelt. Die gesteigerte Professionalität, mit der Nazis das Netz für sich nutzten, habe auch die Attraktivität für Jugendliche erhöht. Zentral seien hier etwa Videoclips, die das Aktionspotenzial von und für Jugendliche zeigten und auf virale Effekte setzten. Umso wichtiger sei es, sich in den Sozialen Netzwerken mit den Opfern zu solidarisieren und die Propaganda zu entlarven: "Denn das Internet und vor allem das Social Web sind auch das, was jede einzelne Nutzerin und jeder einzelne Nutzer daraus machen."
Im letzten Teil des theoretischen Abschnitts widmet sich Michael Wörner-Schnappert der Frage "Was macht Hass-Seiten attraktiv?" Als Fallbeispiel dient ihm dabei Musik als virtuelle Propagandawaffe. So bediene sich die rechtsextreme Szene ganz unterschiedlicher Musikstile als niedrigschwelliger Einstiegsmöglichkeit für Jugendliche. Für diese bestehe der Reiz rechtsextremer Musik im Spiel mit gesellschaftlichen Tabus, dem Nimbus des Verpönten und Verbotenen und der Möglichkeit, Protest und Provokation auszudrücken. Insgesamt fördere entsprechende Musik rechtsgerichtete Orientierungen und Aktivitäten und trage zur Stabilisierung der Szenezugehörigkeit bei. Sie deswegen als "Einstiegsdroge" zu bezeichnen, lehnt Wörner-Schnappert allerdings ab: Sie wirke eher als Katalysator bereits vorhandener Einstellungen und als Kitt der rechtsextremen Szene. Umso wichtiger sei die intensive Auseinandersetzung mit ihr.
Fazit
Insgesamt bietet der erste Teil des Bandes "Erlebniswelt Rechtsextremismus" einige gut aufbereitete Grundlagentexte zum Rechtsextremismus unter besonderer Berücksichtigung der Facetten Internet und Musik. Insbesondere die zahlreichen Beispiele ergänzen die Aufsätze auf informative Art und Weise. Menschen, die sich schon länger mit der Thematik beschäftigen, werden darin allerdings nicht viel Neues finden, sondern verständliche Zusammenfassungen. Diese Art der Aufbereitung passt allerdings auch zur Zielgruppe des Buches, das sich in erster Linie an Akteure der politischen Bildungsarbeit richtet. Entsprechend folgen auf den theoretischen Basisteil Praxisskizzen für die Arbeit mit Jugendlichen, eine CD-ROM ergänzt die Beispiele. Mit diesem Teil des Bandes beschäftigt sich die Rezension bei Mut-gegen-rechte-Gewalt.