Das ist der erste Teil eines zweiteiligen Artikels über Antisemitismus in der AfD. Den zweiten Teil lesen Sie hier.
Im Juli 2016 verließ Wolfgang Gedeon im Zuge einer Debatte über seinen Antisemitismus die baden-württembergische AfD-Fraktion. Der Fall Gedeon gilt parteiintern als Betriebsunfall und nicht als Beleg für einen mannigfaltigen Antisemitismus in der Partei. Antisemitismus sei ausschließlich ein Problem von Muslim_innen und Linken, so der vorherrschende Tenor. Die Spitze der Bundes-AfD verkündet jüngst gar selbstbewusst, die AfD sei "in Deutschland das einzig große Bollwerk gegen Antisemitismus". Ein Jahr nach der Gedeon-Debatte stellt sich also die Frage, ist Antisemitismus eine Ausnahmeerscheinung in der AfD oder doch ein wesentlicher Bestandteil in ihrer politischen Agenda?
Von Jan Riebe
Kurzer Rückblick: Als erstes Medium thematisierten wir im Mai 2016 detaillierter die antisemitischen Positionen von Wolfgang Gedeon. Andere Medien griffen das Thema kurze Zeit später auf und zwangen so die AfD sich mit Gedeon und dessen Antisemitismus zu beschäftigen. Streitpunkt waren schon etwas ältere Schriften Gedeons, in den er seine antisemitische Sicht der Welt dargelegt hatte: Eines der – wenn nicht das –wirksmächtigste Werke des Antisemitismus, die "Protokolle der Weisen von Zion " bezeichnet Gedeon darin als intellektuell "hochwertig, ja genial ". Des Weiteren lamentierte er über die "Zionisierung der westlichen Politik ", benannte die Shoa als "Zivilreligion des Westens ", meinte die Hauptschuld am Zweiten Weltkrieg der Hitler-Regierung zuzuschreiben, sei eine "im Wesentlichen vom Zionismus diktierte Version ", bezeichnete Holocaustleugner wie Horst Mahler als "Dissidenten " und erläuterte, dass das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin der Erinnerung an "gewisse Schandtaten " diene. Diese und weitere Äußerungen lassen nicht viel Zweifel daran, dass Gedeon in einem nahezu geschlossenen antisemitischen Weltbild verhaftet ist. Seine partiellen politischen Rückzug kommentiert Gedeons Kreisverband auf deren Internetpräsenz sehr eindeutig: "Um zu lernen, wer über dich herrscht, finde einfach heraus, wen du nicht kritisieren darfst ". Nicht nur dieser Spruch belegt: Gedeon steht in der AfD nicht alleine. Im letzten Sommer waren nicht die antisemitischen Äußerungen Gedeons der eigentliche Skandal, sondern der Umgang seiner Partei damit.
Wohl einmalig in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte war, dass sich fast die Hälfte einer Landtagsfraktion mit einem Antisemiten solidarisierte und es so zu einer Spaltung der AfD-Fraktion kam. Fortan stand nicht der Antisemitismus von Gedeon im Mittelpunkt, sondern der parteiinterne Machtkampf. Frauke Petry bagatellisierte den Antisemitismus von Gedeon massiv, indem sie es für normal erklärte, wenn in einer jungen Partei "jemand über die diskursiven Stränge schlägt ". Jörg Meuthen, der laut Presseberichten und Aussagen Gedeons schon lange vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg die antisemitischen Positionen Gedeons kannte und tolerierte instrumentalisierte den Fall um sich gegen Petry zu positionieren. Letztendlich wurde der Fall Gedeon zum innerparteilich Betriebsunfall erklärt, der völlig untypisch für die AfD sei. Die Rolle als fraktionsloser ´Querdenker` genießt Gedeon seither: "Ich kann sagen, was andere in der Partei nur denken " . Dass dem so ist, zeigt sich auch an Beifallsbekundungen seiner ehemaligen Fraktion, wenn er im Landtag Reden hält. Im März dieses Jahres durfte er gar als Delegierter am AfD-Bundesparteitag teilnehmen. Im Vorfeld veröffentlichte er erneut Pamphlete, die offenbaren, dass er seiner antisemitischen Gesinnung treu geblieben ist. Auch tritt Gedeon weiter für die AfD öffentlich auf. Die AfD Pforzheim lud ihn im Juni 2017 als Referenten zum Thema Geopolitik ein und verteidigt dies damit, dass Gedeon einer der "profundesten Kenner und Analytiker der Schriften der amerikanischen Strategen " sei. Seine gefragte profunden Analysen amerikanischer Strategien lauten z.B. so: "Judaismus in seiner säkular-zionistischen Form " ist "zu einem entscheidenden Wirk- und Machtfaktor " US-amerikanischer Politik geworden, so Gedeon. Der Umgang mit dem Fall Gedeon zeigt, selbst überzeugte Antisemiten dürfen in der AfD weiter eine Rolle spielen.
Antisemitische "Einzelfälle " seit Gedeon-Debatte
Zu vermuten wäre gewesen, dass der Fall Gedeon zumindest für mehr Sensibilität in der Partei in Bezug auf Antisemitismus sorgen würde. Die Vorfälle seit der Gedeon-Debatte sprechen jedoch eine andere Sprache: Davon zeugen diverse Vorfälle seit Sommer 2016. Eine unvollständige Auflistung:
- Bei der Landtagswahl in Berlin Mitte September 2016 wurde Bernd Pachal für die AfD in das Berliner Regionalparlament, die Bezirksversammlung von Marzahn-Hellersdorf, gewählt. Pachal vertritt verschwörungsideologische Positionen. So ist er etwa der Meinung, dass die USA hinter der Terrororganisation "Islamischer Staat " stecke. Und auch seinen Antisemitismus vertritt er offen. Ende September 2016 schrieb er auf Facebook: "Die Sterne in der EU-Flagge symbolisieren ja auch nicht die Mitgliedsländer, sondern die 12 Stämme Israels. Hat sich das immer noch nicht herumgesprochen? " Damit knüpft er an antisemitische Verschwörungstheorien an, nachdem die Europäische Union ein Projekt einer angeblichen geheimen jüdischen Weltverschwörung sei, mit dem Ziel den europäischen Nationen ihre Souveränität zu nehmen. Ende Oktober, also einen Monat später, wurde Pachal in den Vorstand des AfD Marzahn-Hellersdorf gewählt. Kurz darauf lobte der neue AfD-Fraktionsvize in Berlin-Marzahn öffentlich die "die kluge Politik des Reichsprotektors Reinhard Heydrich. " Heydrich ging in die Geschichte als ´Schlächter von Prag` ein und war Organisator der Wannsee-Konferenz zur ´Endlösung der Judenfrage`. Politische Konsequenzen für Pachal für das Lob: bis heute keine.
- Der im Kasseler Kreistag sitzende Gottfried Klasen schreibt auf Facebook zum Beispiel, dass der Zentralrat der Juden die "politische Meinungsbildungshoheit sowie die politische Kontrolle über Deutschland " hat und alle Parteien, auch die AfD, infiltriere um die Kontrolle über sie zu behalten. Klasen trat zurück "um Schaden von der Partei abzuhalten, blieb aber Mitglied und wurde alsDelegierter auf den Bundesparteitag entsendet. Nachdem Klasen in stetiger Regelmäßigkeit rechtsextreme und antisemitische Postings veröffentlichte soll sich jetzt das AfD-Schiedsgericht befassen. Bislang ist noch kein Fall bekannt, in dem das AfD Schiedsgericht eine Person ausgeschlossen hat.
- "Adolf, bitte melde dich! Deutschland braucht dich! Das Deutsche Volk! " Garniert mit diesem Zusatz hat die Nürnberger AfD-Funktionärin Elena Roon in einer Chatgruppe der Partei ein Hitler-Bild verbreitet. In einer anderen von Roon geteilten Montage wird dem Diktator – wohl mit Blick auf den NS-Massenmord – folgende Aussage in den Mund gelegt: "Islamisten….die habe ich vergessen ". Zudem wurde auf einem ihr zugerechneten Account in einem russischen sozialen Netzwerk ein Video der notorischen Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel gepostet, in dem diese Russlanddeutsche dazu aufrief, die AfD zu wählen. Die AfD sah Roon "vollständig entlastet ", da sie "unerfahren " sei und als Russlanddeutsche weder "perfekte Sprachkenntnisse " und die Bilder ohne die "in Deutschland üblichen Alarmglocken " gepostet habe. Nach öffentlichem Druck trat sie dann doch von allen Parteiämtern zurück.
- Bei den Kommunalwahlen in Niedersachsen am 11.09.2016 treten gleich mehrere Kandidaten für die AfD erfolgreich an, die Verbindung zur Holocaustleugnungs-Szene pflegen oder pflegten: In den Rat der Stadt Springe bei Hannover zog Wolfram Bednarski ein. Laut der Rechtsextremismusexpertin Andrea Röpke trat Bednarski 2004 dem Verein "Bauernhilfe e.V. " bei, der aus dem Kreis der Holocaust-Leugner_innen um Ursula Haverbeck und Horst Mahler gegründet wurde. Im Jahr 2008 wurde die "Bauernhilfe " vom Bundesminister des Inneren verboten. Der Verein war laut Innenministerium ein "Sammelbecken organisierter Holocaust-Leugner " und steht auf der "Unvereinbarkeitsliste " der AfD. Im niedersächsischen Diepholz zog als Nachrücker Anfang April 2017 der Vorsitzende der AfD im Landkreis Diepholz, Andreas Dieter Iloff in den Kreistag. Iloff wird vom niedersächsischen Verfassungsschutz beobachtet. Er ist in diversen rechtsextremen Gruppierungen aktiv gewesen und pflegte Umgang u.a. mit der antisemitischen "Europäische Aktion " des Schweizer Holocaustleugners Bernhard Schaub. An einem Treffen der "Europäischen Aktion " nahm er auf dem Anwesen des bekannten NPD-Funktionärs Thorsten Heise in Fretterode teil. Die Vorwürfe gegen Beide sind lange bekannt. Das hielt die AfD jedoch nicht davon ab, sie für die niedersächsische Kommunalwahl aufzustellen und uneingeschränkt an ihnen festzuhalten.
- Der Vorsitzende der AfD in Niedersachsen, Armin Paul Hampe, war Ende 2016 Hauptredner bei einer Veranstaltung des rechtsextremen Verein "Arbeitskreis für deutsche Politik e.V. " (AfdP). Früher hatten beim AfdP schon bekannte Rechtsextremisten und Antisemiten geredet, wie die Holocaustleugner Horst Mahler und Rigolf Henning oder der NPD-Funktionär Udo Pastörs. Hampe will davon nichts gewusst haben.
- Auch die AfD Baden-Württemberg offenbart, dass Gedeon hier wohl nicht falsch ist: Am 23. Januar 2017 bringt die Fraktion einen Antrag ins Landesparlament ein, in dem vorgeschlagen wird, die finanziellen Mittel zur Förderung der NS-Gedenkstätte Gurs in Frankreich zu streichen. Nach Gurs wurden am 22. Oktober 1940 6.500 Jüdinnen und Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland deportiert. Insgesamt wurden 17.000 Jüdinnen und Juden festgehalten, von denen mehrere tausend später in verschiedene Vernichtungslager, hauptsächlich Auschwitz, deportiert wurden. Die Gedenkstätte wird jährlich mit 120.000 Euro gefördert. Außerdem forderte die AfD keine Fahrten von Schüler_innen in NS-Gedenkstätten mehr zu veranstalten, sondern nur noch zu "bedeutsamen Stätten der deutschen Geschichte ". Begründet wird dies mit der Haushaltskonsolidierung und damit, dass Migrant_innen ein positives Bild von Deutschland vermittelt werden müsse. Nachdem dies bundesweit thematisiert wurde reagierte die AfD auf ihre gewohnte Art: Parteichef Meuthen bezeichnet den Antrag als "Irrtum ", da er auf "fehlerhaften Annahmen " beruht habe. Die AfD zog den Antrag zurück, aber nicht ohne den anderen Parteien vorzuwerfen "mal wieder völlig unbegründet die Antisemitismus- und Rassismuskeule " geschwungen zu haben.
- Die AfD Baden-Württemberg postet in sozialen Netzwerken ein Meme, das zwei schwarze Juden an der Klagemauer zeigte. Darüber stand "Invasion. Aus Afrika kommen bald so viele Flüchtlinge wie nie ". Nach Protesten löscht die AfD ihren rassistischen und antisemitischen Tweet und behauptet er sei nicht autorisiert worden.
- Stefan Räpple, AfD-Abgeordnete im Landtag von Baden Württemberg weigert sich bis heute die Präambel zur Abgrenzung von Antisemitismus und Rassismus der AfD zu unterzeichnen. In der Öffentlichkeit hatte Meuthen erklärt, alle Abgeordneten hatten die Präambel unterschrieben, da dies die Voraussetzung für die Vereinigung der gespaltenen Fraktion nach dem Gedeon-Skandal gewesen sei.
- Der stellvertretende Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion in Schwerin, Ralph Weber, fordert "Wir, Biodeutsche' mit zwei deutschen Eltern und vier deutschen Großeltern” müssen dafür einsetzen, dass "unsere Heimat auch in 30 Jahren noch von einer deutschen Leitkultur geprägt und geformt wird”. Diese Forderung des national-völkische AfDler kling sehr stark nach einer Forderung des "kleinen Ariernachweises” der Nationalsozialisten, mit der die Ausgrenzung der "Nichtarier” begann und die schließlich zur Aberkennung der Bürgerrechte bis hin zur Deportation führte.
- "Das ist Stürmer-Niveau " urteilte Alexander Gauland über ein 2014 vom uckermärkische AfD-Kreisvorsitzende Jan Ulrich Weiß gepostete antisemitisches Facebook-Bild. Hatte die brandenburgische Landtagsfraktion und der brandenburgische Parteivorstand noch 2015 für den Ausschluss von Weiß votiert (was das AfD-Schiedsgericht ablehnte), wird er 2017 Nachrücker von Gauland im Brandenburger Landtag, wenn dieser in den Bundestag einzieht. Gauland, der 2014 Weiß noch "Stürmer-Niveau " vorwarf machte klar, dass er selbst Weiß persönlich nicht kritisch sehe.
- Parteisprecherin Frauke Petry trifft sich im Februar 2017 bei einer Russland-Reise auch mit dem russischem Rechtsextremisten und Antisemiten Wladimir Schirinowski. Dieser behauptet, Juden würden die Welt regieren und Al Kaida hätte nie existiert .
Die AfD ignoriert solche Vorfälle teils willentlich. Alexander Gauland sagt jüngst in einen Interview auf die vielen antisemitischen Vorfälle angesprochen: "Ich weiß nicht, was Mitglieder posten. Ich bin wenig im Internet unterwegs ". Generell geht man einer Auseinandersetzung aus dem Weg. Vielfach wird nicht anerkannt, dass es sich bei den Vorfällen um Antisemitismus handelt oder sie werden als untypische, kleine Aurutscher von Hinterbänklern abgetan. Ein Antisemitismusproblem negiert die AfD, ein Teil der Partei inszeniert sich sogar als "Bollwerk gegen Antisemitismus ".
Bollwerk gegen Antisemitismus?
Parteisprecherin Frauke Petry erklärte, die AfD sei "einer der wenigen politischen Garanten jüdischen Lebens auch in Zeiten illegaler antisemitischer Migration nach Deutschland. " Der Berliner AfD-Landesvorsitzende Georg Pazderski spitzte dies trotz des Wissens um die benannten antisemitischen Vorfälle in seinem Landesverband auf die Formulierung zu: "Die AfD ist in Deutschland das einzig große Bollwerk gegen Antisemitismus ". Beide Formulierungen fielen in Reaktion auf den Antisemitismus arabischer und türkischer Jugendlicher an einer Berliner Schule. Dass Antisemitismus überall zu verorten sei, insbesondere bei Muslim_innen und Linken, aber nie bei der AfD ist Grundkonsens in der Partei, auch bei Wolfgang Gedeon. In seiner Verteidigungsrede zu den Antisemitismusvorwürfen im Landtag von Baden-Württemberg erklärte Gedeon, er sei kein Antisemit (u.a. weil er eine Uhr eines jüdischen Geschäftsfreundes seines Vaters trage), und die Vorwürfe gegen ihn würden den Antisemitismus-Begriff verschleißen, der aber noch gebraucht würde, denn ein neuer Antisemitismus dringe "durch die muslimische Zuwanderung in unsere Gesellschaft ein ".
Positionierung zum Judentum
Die Äußerung Petrys und Gedeons folgen einem Muster: Antisemitismus wird in der Partei nur benannt, um ihn gegen andere in Stellung zu bringen. Antisemitismus ist (nicht nur) bei der AfD immer der Antisemitismus der anderen. Aber auch mit dem Thema Judentum pflegt die AfD solch einen taktischen Umgang, ja eine Instrumentalisierung.
Als ein Beleg, dass die Partei nicht antisemitisch sei, wird von AfD-Seite immer wieder auf eine Passage aus dem Grundsatzprogramm verwiesen. Dort heißt es: "Einer islamischen Glaubenspraxis, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung, unsere Gesetze und gegen die jüdisch christlichen und humanistischen Grundlagen unserer Kultur richtet, tritt die AfD klar entgegen. " ( Vgl. Programm für Deutschland. Das Grundsatzprogramm der Alternativen für Deutschland, S. 48) Interessant ist in dieser Passage zweifellos die Formulierung "jüdisch-christlichen Grundlagen unserer Kultur ". Die Formulierung "jüdisch-christlich " taucht in dem 74-seitigem Grundsatzprogramm genau einmal auf, nämlich in der zitierten Passage, wenn sie gegen den Islam in Anschlag gebracht wird. Sonst ist dort nur von der "religiösen Überlieferung des Christentums ", als Quelle für die deutsche Leitkultur und Aussagen über "unsere abendländische christliche Kultur " oder "der wissenschaftlich-humanistischen Tradition " die Rede. Diese Instrumentalisierung findet sich auch im AfD-Bundestagswahlprogramm. Das Judentum erwähnt man in der AfD anscheinend nur, wenn man es taktisch in Stellung bringen kann.
Das ist der erste Teil eines zweiteiligen Artikels über Antisemitismus in der AfD. Hier geht es zui Teil 2.