Berlin: Seit 10 Jahren gut beraten gegen Rechtsextremismus

Als die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) im Jahr 2001 ihre Arbeit begann, war es noch ein Novum, AnsprechpartnerInnen zu haben, die beraten, helfen und vernetzen konnten, wenn Menschen in ihrem Kiez mit Rechtsextremismus in Berührung kamen. Heute ist das Netzwerk der MBR dicht gespannt - und trifft sich zum 10-jährigen Jubiläum am Mittwoch, den 08. Juni 2011, zum Feiern. Ein Interview mit MBR-Mitbegründerin und Leiterin Bianca Klose über Erfolge und zukünftige Herausforderungen.

Was waren die größten Erfolge der MBR?

Der größte Erfolg ist die Stärkung der Berliner Zivilgesellschaft und unsere eigene Verankerung darin. Über die Jahre hat sich in Berlin ein breites Netzwerk etabliert, das konsequent auf das Vordringen des Rechtsextremismus in den öffentlichen Raum reagiert. Wenn Rechtsextreme eine Demonstration oder Kundgebungen angemeldet haben, wurden Gegendemonstrationen und –Kundgebungen organisiert. Als die NPD in die Bezirksverordneten-Versammlungen eingezogen ist, konnten sich die demokratischen Parteien auf einen gemeinsamen Umgang einigen und wir haben zahlreiche und nachhaltige Handlungsstrategien entwickelt. Wenn Rechtsextreme in bestimmten Stadteilen durch Läden, Kneipen und Ähnlichem eine Infrastruktur aufbauen wollten, konnten wir vor Ort mit Gewerbetreibenden, Kommunalpolitikern, aber auch mit den Anwohner/innen Kampagnen inszenieren.

Welche Maßnahmen sehen Sie im Nachhinein als besonders erfolgreich an?

Aber natürlich gibt es herausragende „Einzelerfolge“. So hat sich etwa der von uns entworfene Antirassistische Raumnutzungsvertrag nicht nur in Berlin durchgesetzt. Er ermöglicht es Vermieter/innen, sich vor dem Missbrauch öffentlicher oder auch privater Einrichtungen durch Rechtsextreme zu schützen. Ein ähnliches Instrument zum Schutz vor Rechtsextremen wurde für die diversen Sportanlagen entwickelt, also für den Sport- und Freizeitbereich.

Auch die – aus der Beratungspraxis heraus entwickelten - verschiedenen Broschüren und Handreichungen der MBR, etwa zur Jugendarbeit oder zum Umgang mit der rechtsextremen Wortergreifungsstrategie, sind solche „einzelnen“ Erfolge. Die Handreichung zur Jugendarbeit wurde von der AGJ im Rahmen des
Kinder- u. Jugendhilfepreises sogar 2008 mit einer Anerkennung ausgezeichnet. Auch der „Schattenbericht“, in dem die MBR in Zusammenarbeit mit dem Antifaschistischen Pressearchiv apabiz seit 2006 jährlich die „Berliner Zustände“, also die aktuelle Entwicklung des Rechtsextremismus und Rassismus, darstellt, ist gerade mit dem „Alternativen Medienpreis 2011“ ausgezeichnet worden.

Und welche Aktionen sind Ihnen in Erinnerung geblieben?

Toll waren etwa die Container vor dem „Thor Steinar“-Laden in Mitte. Damals ist es einem Aktionsbündnis aus Anwohner/innen, Ladenbesitzer/innen und Vertreter/innen verschiedener Organisationen und Parteien gelungen, enormen öffentlichen Druck aufzubauen. Letztendlich musste der Laden auch aufgrund dieses Engagements schließen – unterstützt durch entsprechende Urteile der Gerichte.

Der Erfolg unserer Arbeit zeigt sich nicht zuletzt auch in der Breite unserer Partner/innen und Beratungsnehmenden: Dieses Spektrum reicht von Kirchenvertreter/innen oder bezirklichen Antifagruppen über Vertreter/innen der Presse, Politik und Verwaltung bis hin zu Organisationen wie dem Berliner Fußballverband oder dem Handelsverband Berlin Brandenburg.

In Erinnerung bleiben wird mir auch die Verhinderung des rechtsextremen Aufmarsches am 1. Mai 2010. Da ist es gelungen, das zentrale rechtsextreme Ereignis des Jahres zu einem Desaster werden zu lassen. Und warum? Weil Tausende Berlinerinnen und Berliner unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Überzeugungen und Glaubensrichtungen und mit unterschiedlichen Mitteln den Aufmarsch haben scheitern lassen. Eine derartige Breite und Entschlossenheit stärkt das zivilgesellschaftliche Engagement weit über den Tag hinaus – und übrigens auch das Bewusststein dafür, dass manchmal Mittel des zivilen Ungehorsams nötig sind - friedliche Blockaden haben mittlerweile bundesweit als zentrale Aktionsform gegen Neonazi-Aufmärsche durchgesetzt.

Wo beraten Sie und was macht den Erfolg Ihrer Beratung aus?

Unsere Beratungsfelder sind so vielfältig wie Rechtsextremismus und Rassismus facettenreich sind: es gibt kaum einen Bereich, in dem wir bislang nicht tätig waren. Und leider auch kaum welche, in denen dies nicht vonnöten wäre.

Das Format der Mobilen Beratung, wie wir es in den letzten zehn Jahren in Berlin etablieren konnten, ist meiner Meinung nach auch deshalb so ein großer Erfolg, weil es uns gelungen ist, eine Schnittstelle zwischen zivilgesellschaftlich Engagierten und Vertreter/innen aus Politik und Verwaltung zu bilden.

Es ist wichtig und befriedigend zu vermitteln, dass die Menschen gemeinsam und vor Ort in der Lage sind, ihre Umwelt zu verändern, dass sie dafür eine Verantwortung haben und dass Demokratie letztlich dort am stabilsten ist, wo sie von den Menschen als ihre eigene und alltägliche Angelegenheit erlebt wird.

Was sind die größten Probleme, die Ihr Engagement und das der Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus schwer machen?

Zunächst die Veränderungen innerhalb des Rechtsextremismus selbst. Die rechtsextreme Szene entwirft immer neue Strategien und muss andererseits auf Druck vonseiten der Zivilgesellschaft und staatlicher Organe reagieren und sich auf veränderte Bedingungen einstellen. So haben sich Erscheinungsbild und Auftreten des Berliner Rechtsextremismus verändert: Der kahl rasierte Skinhead ist weitgehend dem Outfit der „Autonomen Nationalisten“ gewichen. Das betrifft aber nicht nur das subkulturelle Outfit, also Kleidung, Tattoos, Piercings – auch auch entsprechende rechtsextreme Erlebniswelten haben sich entwickelt.

Eine beunruhigende Entwicklung hängt allerdings auch mit den Erfolgen der Zivilgesellschaft zusammen. Die zunehmende Schwächung der rechtsextremen Szene hat zu einer Radikalisierung auf Seiten der Rechtsextremen geführt. Nachdem sie sowohl mit öffentlichen Aufmärschen als auch in den Kommunalparlamenten regelmäßig auf Gegenwehr der Zivilgesellschaft und der demokratischen Parteien gestoßen sind, hat sich ein Teil der rechtsextremen Szene auf gewaltsame Aktionen und Bedrohungen gegenüber Engagierten verlagert. In Kreuzberg, Neukölln und Friedrichshain sind mittlerweile häufig nachts koordinierte Aktionen gegen Läden und Wohnungen durchgeführt worden, mehrfach sogar mit Brandstiftungen.

Welche weiteren Herausforderungen sehen sie?

Ein weiteres Arbeitsfeld der Zukunft liegt da, wo es in weiten Teilen der Bevölkerung gar nicht wahrgenommen wird: beim Rechtspopulismus. Während in Berlin im Bereich des Rechtsextremismus eine echte und breite Sensibilisierung gelungen ist, ist für den Rechtspopulismus noch keine vergleichbare Sensibilität vorhanden, wie zuletzt die große Zustimmung für Sarrazins Thesen gezeigt hat. Dabei gibt es gerade im Rechtspopulismus ein sehr viel größeres Wählerpotenzial als etwa für die NPD, andererseits wird seine Bedeutung unterschätzt, obwohl Rechtspopulisten mittlerweile in fast allen Ländern Europas an Einfluss gewonnen haben. Entsprechend schwer ist es in diesem Feld zu arbeiten. Hier muss tatsächlich zunächst einmal ein Problembewusstsein geschaffen werden.

Gibt es weitere Probleme, die Ihre Arbeit erschweren?

Am Ärgerlichsten und Unnötigsten ist es, wenn eine erfolgreiche und vollkommen akzeptierte Arbeit durch Maßnahmen wie die Extremismus-Debatte und die so genannten „Demokratie-Erklärung“ torpediert wird. Passiert das vielleicht gar wegen ihres Erfolgs und ihrer Akzeptanz? Jedenfalls ist zivilgesellschaftliche Arbeit unter der Schwarz-Gelben-Regierung schwieriger geworden. Nicht nur für uns, sondern allgemein haben sich die Bedingungen zivilgesellschaftlichen Engagements eindeutig verschlechtert. Die neue Bundesregierung versucht, durch bestimmte Strategien nicht nur linke und rechte Gewalt gleichzusetzen, sie gefährdet dadurch auch bereits erreichte Standards. Dieser öffentliche Diskurs ist allerdings nur die eine Seite. Weitgehend unbemerkt findet auch ein Vordringen der staatlichen Überwachungs- und Sicherheitsorgane in Bereiche statt, die nicht nur nicht zu ihren Aufgaben gehören, sondern wo eigentlich zivilgesellschaftliche Akteure zuständig wären: Lehrer/innen, NGOs, die Beratungsprojekte und Inititiativen, genau jene also, die mit Maßnahmen wie der Extremismusklausel unter Druck gesetzt werden und denen die Gelder gestrichen werden.

Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft - für die MBR, die Politik oder für die Gesellschaft insgesamt?

Keine Verunsicherung der zivilgesellschaftlichen Akteure durch die Politik. Die so genannte "Demokratieerklärung“, die niemandem bei seiner Arbeit hilft, ist für nichts gut ist und dient nur der Überwachung, Verunsicherung und Spaltung - sie muss schlicht weg.

An die Stelle des darin ausgedrückten tiefen Misstrauens gegenüber nicht-staatlichem Engagement sollte eine breite Anerkennung treten. Anerkennung für die Menschen, die sich meist namenlos und unbezahlt, dafür aber oft unter hohem Einsatz gegen Rechtsextremismus und für Demokratie engagieren.

Statt einer zwangsweisen Demokratieerklärung würde ich mir mehr gelebte Demokratie wünschen. Schließlich zeigt der Erfolg der Thesen Sarrazins einen alarmierenden Pegelstand der Demokratie an. Rechtsextremismus kann nur so stark sein, wie es die Demokratie zulässt. Das heißt aber auch: es gibt nur so viel Demokratie, wie wir sie in unserem Alltag auch bereit sind zu vertreten und zu verteidigen. Auch wenn man sich damit hin und wieder in eine unbequeme Position bringt.

Party!

Am Mittwoch, den 08. Juni 2011, feiert die MBR ihren 10. Geburtstag.

19.00 Uhr: Lido, Cuvrystraße 7, Kreuzberg // Feier 10 Jahre MBR
Wir feiern mit all den Berlinerinnen und Berliner, die sich seit vielen Jahren mit der MBR für eine lebendige menschenrechtsorientierte demokratische Kultur einsetzen. Auf der Veranstaltung wird erstmals der Imagefilm der MBR gezeigt sowie die Photo-Kampagne „berlin gegen nazis“ vorgestellt, sowie ein Spendenaufruf für die MBR gestartet.

Bühnenprogramm:
Maik Martschinkowsky // Poetryslammer, Lesedüne Berlin
Ahne // ...spricht mit Gott
Christiane Rösinger feat. Andreas Spechtl // Piano & Gesang
Cherilyn MacNeil // Dear Reader, alternative Pop Songs
Washington // Indie, Tromsø/Berlin

DJ Lineup:
City Slang // Dj Team
iaac- // stromperlen, /:about blank
u-lee // kotti-crew, paloma bar

Und Spendenaufruf!

Weil die MBR die "Extremismus-Klausel" des Bundesfamilienministeriums nicht unterschreibt, fehlen derzeit 20.000 Euro im Budget. So bittet die mobile Beratung alle Bürgerinnen und Bürger um eine Spende, die ein Zeichen gegen Nazis und für eine menschenrechtsorientierte Demokratie in dieser Stadt setzen sowie die Arbeit der mbr würdigen wollen. Spendenportal:
| www.berlin-gegen-nazis.de

Mehr im Internet:

| www.mbr-berlin.de

| www.taz.de

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