Im April 2017 verließ ein jüdischer Schüler in Berlin Friedenau die Schule. Dort wurde er mehrfach wegen seiner Religionszugehörigkeit diskriminiert. Kein Einzelfall. Eine Studie des "American Jewish Committee (AJC)" stellt nun zunehmende antisemitische und diskriminierende Tendenzen im Berliner Schulalltag fest.
Von Alina Darmstadt
Schon bevor der Friedenauer Schüler mit dem Satz "Juden sind alle Mörder" beleidigt wurde, startete das "American Jewish Committee“ damit, 27 Lehrer_innen aus 21 Berliner Schulen zu ihren Erfahrungen mit Antisemitismus in der Schule zu befragen.
Im Zeitraum Herbst 2015 bis Frühjahr 2016 führte es mehrstündige qualitative Interviews zu Erfahrungen und Beobachtung demokratiefeindlicher Einstellungen, religiöser Identifikation und antisemitische Stereotype im Schulalltag durch.
Die Autor_innen betonen dabei, dass es sich nicht um eine repräsentative Untersuchung der Gesamtsituation handele, sondern um eine Annäherung und Einblick in ein wachsendes Problem. Denn das Ergebnis der Studie ist besorgniserregend: gerade antisemitische Beschimpfungen und Feindbilder etablieren sich zunehmend im Schulalltag und sind gängige sprachliche Gegenwart.
Zunahme der religiösen Identifikation und Demokratiefeindlichkeit
Antisemitismus sei als "Phänomen längst nicht mehr nur im klassischen rechtsradikalen Spektrum zu verorten". Auch in manchen Gruppen muslimischer Fundamentalisten, zum Beispiel im Salafismus, seien antisemitische Feindbilder etabliert.
Die befragten Lehrer_innen gaben an, dass beispielsweise bei Kindern und Jugendlichen aus diesem religiösen Kontext, die Identifikation immer weniger über die ethnische Zugehörigkeit, sondern vielmehr über die Religion stattfinde.
Damit einher gehe auch eine starke Ablehnung anderer Religionen. Leidtragende der Begleiterscheinungen radikal religiöser Auffassungen, Intoleranz und Demokratiefeindlichkeit, seien in der Schule vor allem moderate oder säkulare Muslime und Musliminnen, welche von ihren Mitschüler_innen unter Druck gesetzt würden.
„Du Jude“ ist gängiges Schimpfwort
Die Studie legt auch offen, dass antisemitische Stereotype in der Schule wieder wachsen und gehäuft auftreten.
Neben traditionellen antismenitischen Narrativen treten gehäuft auch modernere Formen des Antisemitismus auf. Dabei seien sowohl antisemitische verschwörungstheoretische Elemente als auch ein Hass auf Israel Komponenten im breiten Spektrum. Laut Aussagen einiger Lehrer_innen werde Israel in Atlanten durchgestrichen oder geschwärzt. Besonders im Zusammenhang mit Israel, würden Juden und Jüdinnen "als Kollektiv dämonisiert und als Zentrum einer weltweiten Verschwörung dargestellt".
Aber auch bei Schüler_innen ohne familiären Bezug zur Nahostregion sei die Beleidigung, "Du Jude" im fest im Sprachgebrauch der Schüler_innen etabliert.
Lehrkräfte fühlen sich unzureichend unterstützt
Viele der interviewten Lehrer_innen schildern zwar, dass sie im Unterricht Zugang und Sensibilisierung über den Holocaust generieren könnten, dennoch werde vor allem religiöser Antisemitismus vielfach überhört.
Viele Lehrer_innen würden mittlerweile "schwierige" Unterrichtsthemen wie den Nahostkonflikt auslassen. "Man wolle die Büchse der Pandora nicht öffnen […] wenn man das ernsthaft anpieken würde [...] würden da so viele Sachen lossprudeln, die man möglicherweise auch gar nicht mehr handeln könnte.“
Ein beträchtlicher Teil der Lehrkräfte fühle sich im Umgang mit "Islamismus und spezifischen Antisemitismus in Teilen der muslimischen Gemeinschaft überfordert, unzulänglich vorbereitet und unterstützt". Es mangele sowohl an Wissen, Material, Konzepten und außerschulischer Unterstützung.
Ebenso kritisieren viele der Befragten, es fehle an leicht zugänglichen Fortbildungsmöglichkeiten und Ansprechpartnern, die die Lehrkräfte im prinzipiell vorhandenen Interesse, dem Problem entgegenzuwirken, unterstützen.
Die komplette Dokumentation des "American Jewish Comitee“ : hier
Bild oben: Flickr, fileccia, CC BY-NC 2.0