Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke hat ein neues Buch geschrieben: „Gefährlich verankert – Rechtsextreme Graswurzelarbeit, Strategien und neue Netzwerke in Mecklenburg-Vorpommern“. Die rechtsextreme Szene verfügt über breite Netzwerke im Bundesland, die weit über die NPD hinausgehen. Sie reichen von der Rockerszene, über Hooligans und das Rotlichtmilieu bis hin zu den Siedlungsbewegungen, wie der rechtsextremen Artgemeinschaft oder der antisemitischen Ludendorff-Bewegung.
Von Janna Petersen, Lola für für Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern
„Neonazis zu erkennen wird schwieriger. Organisierte Menschen mit rassistischen Weltbild tarnen sich durch Normalität innerhalb einer Gesellschaft voller Alltagsressentiments.“, so Röpke. Auch beobachtet Röpke ein Erstarken der rechtextremen Frauen in Mecklenburg-Vorpommern. Familienministerin Schwesig wies bei der Pressekonferenz zur Buchveröffentlichung auf die Bedrohungssituationen vor Ort hin: Sie habe „selbst erlebt, was es bedeutet, wenn Rechtsextreme ganze Dörfer tyrannisieren und im Landtag gegen Flüchtlinge hetzen.“ Gerade darum dürfe man keinen Fußbreit vor den Rechtsextremen zurückweichen.
Rechte Parallelwelten in strukturschwachen Regionen
Durch die frühe Ansiedlung ist es laut Röpke möglich gewesen, dass „weiße Flecken“ wie etwa Nordwest-Mecklenburg stark durch Rechtsextreme angegangen wurden. Dort, aber auch an anderen Orten, haben sich inzwischen rechte „Parallelwelten“ mit eigenen Wirtschaftsnetzwerken gebildet – diese reichen aber auch weit in die Alltagswelt vor Ort hinein. So sind solidarische Landwirtschaftsgemeinschaften konfrontiert mit zugezogenen Ökolandwirt_innen, die der antisemitischen „Ludendorff“-Bewegung angehören. Auch der Tourismusverband Güstrow hat seit Jahren kein Problem damit, in dem Flyer der dortigen „Kunst-Offen“ Tage auch die rechtsextremen Siedler_innen der Region mit zu bewerben, die dort als Handwerker_innen oder Künstler_innen versuchen, gesellschaftlich Anschluss zu finden.
Mecklenburg-Vorpommern unterscheidet sich zu anderen Bundesländern in der Präsenz der rechtextremen Szene. Ein Beispiel dafür ist das Thinghaus in Grevesmühlen– als feste Instanz und wichtiger Ort für die Vernetzung der rechtsextremen Szene thront es seit mehreren Jahren inmitten eines Industriegebietes. Ganz selbstverständlich gehen Familien und Jugendliche aus dem Ort dort zu den wöchentlichen Kneipenabenden.
Szene auch unabhängig von der NPD autonom handlungsfähig
Die Rolle der NPD sollte in Mecklenburg-Vorpommern allerdings nicht überbewertet werden, so Röpke. Denn dadurch geraten rechtsextreme Netzwerke außerhalb der Partei aus dem Blick. In der Bedeutung der NPD gibt es bedeutende regionale Unterschiede: Während in Lübtheen oder Ludwigslust die NPD noch eine wichtige Rolle spielt und keine Entwicklungen der Szene an ihr vorbeigehen, haben sich in Wismar oder Rostock weitgehend autonome Strukturen entwickelt, die auch ohne die NPD handlungsfähig sind.
NSU in Mecklenburg-Vorpommern noch nicht aufgearbeitet
Es sei kein Zufall, dass der Mord an Mehmet Turgut in Rostock der einzige NSU Mord in den neuen Bundesländern war, so Röpke. Die drei bekannten NSU Täter_innen hätten bereits den nächsten Urlaub im Bundesland gebucht. Zu wenig sind bisher die Kontakte der Kerngruppe in Richtung Anklam und Rostock ausgeleuchtet worden. Die Einrichtung eines NSU-Untersuchungsausschusses wäre eine sinnvolle Ergänzung zu dem Prozess und den laufenden Ermittlungen.
Das Buch „Gefährlich verankert – Rechtsextreme Graswurzelarbeit, Strategien und neue Netzwerke in Mecklenburg-Vorpommern“ wurde im Auftrag der SPD Mecklenburg-Vorpommern geschrieben und kann kostenlos angefordert werden unter:
Der Verein „Lola für Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern“ initiiert, fördert und unterstützt geschlechterreflektierende Projekte für demokratische Vielfalt und gegen biologistische Zuschreibungen von Männer- und Frauenrollen in Mecklenburg-Vorpommern.