Am Montag wurde in Berlin an die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma gedacht. Doch es war nicht nur eine Erinnerung an einen fast vergessenen Völkermord. Angesichts der aktuellen Diskriminierung und Verfolgung von Sinti und Roma und des Erstarken rechter Kräfte ist es auch eine Mahnung für Gegenwart und Zukunft.
Von Franziska Rocholl
Insgesamt wurden 500.000 Sinti und Roma Opfer des systematisch geplanten Völkermords der Nationalsozialisten. Zum Anlass des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus fand am Montag, dem 29. Januar, am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin eine Gedenkveranstaltung zu Ehren der ermordeten Sinti und Roma statt. Fünf Redner_innen sprachen in eindrucksvollen Reden.
Einer der Redner an diesem regnerischen Montag war Oswald Marschall, der stellvertretenden Vorsitzenden des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma. Eine spontan zum Besten gegebene Geschichte zeigt das Kernproblem auf, mit dem Sinti und Roma in Deutschland und in anderen Europäischen Ländern noch immer leben: 1971, als Marschall, der Schlagersängerin Marianne Rosenberg auf einer offiziellen Veranstaltung die Hand gab, ihre Eltern waren miteinander bekannt, reagierte sie sehr distanziert. Der damalige Boxer wusste nicht was er verbrochen hatte, um diese Abweisung zu erfahren. Später wurde ihm berichtet, Marianne Rosenberg hielt ihre Identität als Sintiza geheim. Zu jener Zeit gab ein anderer Schlagersänger bekannt, dass er Sinto sei und wurde seitdem nicht mehr in die “Hitparade” eingeladen. So ist es nicht verwunderlich, dass gerade erfolgreiche Sinti oder Roma über ihre Identität oft nur noch "situativ" Auskunft geben. Aber nicht nur bekannte Persönlichkeiten leiden unter dieser Belastung. Viele Sinti und Roma sind davon betroffen. Zu groß ist auch heute noch die berechtigte Angst vor Benachteiligung und Diskriminierung. Besonders junge Sinti und Roma müssen empowert werden. Denn das Bekenntnis zur Minderheit darf keine Nachteile mit sich bringen. Das hier die Gesellschaft tätig wird, ist besonders wichtig, da Maßnahmen der deutschen Regierung, die Diskriminierung von Sinti und Roma nicht genügend berücksichtigen, so Petra Rosenberg, die Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg e.V..
Oswald Marschall Quelle: KA
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Neben dem Gedenken an die sechs Millionen ermordeten Deutschen jüdischen Glaubens, ist auch das Gedenken an die ermordeten Sinti und Roma wichtig. Denn nach wie vor ist vielen Deutschen gar nicht bewusst, dass auch Sinti und Roma in den Arbeitslagern und Konzentrationslagern der Nazis systematisch umgebracht wurden. Petra Pau verweist darauf, dass das Gedenken auch als Verantwortung begriffen werden muss, dafür, dass es sich nicht wiederholt. Deswegen ist die Gedenkveranstaltung nicht nur ein Gedenken an die Vergangenheit, sondern steht auch im Zeichen der Mahnung für Gegenwart und Zukunft. Auch Michael Roth,Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt,verweist darauf, dass das Denkmal nicht nur ein Mahnmal gegen das Vergessen, sondern auch ein Grundstein ist, der Mut machen soll für eine Gesellschaft der Vielfalt und des Respekts zu arbeiten. Deswegen sei ein Gedenken an Verstorbene, nicht nur an Gedenktagen, sondern an jedem Tag wichtig, erklärt Claudia Roth, damit solche Gräueltaten sich nicht wiederholen. Dabei appellierte sie an die Mehrheitsgesellschaft, ihren Teil von Aufgeschlossenheit gegenüber einer offenen, demokratischen und diskriminierungsfreien Gesellschaft beizutragen, um den Antiziganismus nachhaltig auszuhebeln. Michael Roth fügt hinzu, dass besonders junge Menschen, ihre eigene Form des Erinnerns brauchen und regte an, neue Formen des Gedenkens zu überlegen, um so junge Menschen in das Gedenken einzuschließen.
Claudia Roth Quelle: KA
All diese Reden zeigen, wie stark der Antiziganismus in der deutschen Gesellschaft immer noch präsent ist, obwohl der Holocaust nun schon über siebzig Jahre vergangen ist und wie stark seine Auswirkungen auf die Angehörigen der Minderheit sind. Doch sie zeigen auch Mut und Motivation sich dem entgegen zu stellen.
Nach einer Gedenkminute wurden Blumen niedergelegt Quelle: KA
Im Anschluss an die Gedenkveranstaltung fand im Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma die Eröffnung der Ausstellung „Die nationalsozialistische Verfolgung der Sinti und Roma in Berlin“des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg e.V. statt.
Auch hier sprach Petra Rosenberg und stellte die persönlichen Lebenswege und Schicksale der Sinti und Roma Zeitzeugen, der in der Ausstellung präsentierten Sinti und Roma Persönlichkeiten dar. Sie haben die NS-Zeit überlebt und sich im Kampf gegen den Antiziganismus engagierten. Matthäus Weiß, Vorsitzender des Verbands Deutscher Sinti und Roma Schleswig-Holstein ehrte die dargestellten Persönlichkeiten, indem er darauf hinwies, dass nur auf Grund ihres Engagements, trotz der erlebten Schrecklichkeiten, die jetzige Arbeit möglich ist. Anschließend trug Josephine Ulbricht einen Auszug aus ihrer Dissertation „Verwaltet und verwerten. Der Umgang der NS-Behörden mit dem vermögen deportierter Sinti und Roma.“ vor. Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung von Oana Chitu und Dejan Jovanovic.