21.09.2012 ... Presseschau

Nach den Rechten sehen: Neue Rechtsextremismus-Datei: Keine Wunderwaffe +++ BGH-Urteil: Post muss NPD-Mitteilungen ausliefern +++ Weiter Chaos: NSU-Kontaktmann war offenbar Verfassungsschutz-V-Mann.

Die tägliche Presseschau von netz-gegen-nazis.de

Neue Rechtsextremismus-Datei: Keine Wunderwaffe

Als Konsequenz aus den zahlreichen Ermittlungspannen rund um die rechtsextreme Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CDU) am Mittwoch die neue Rechtsextremismus-Datei in Betrieb genommen. In ihr werden Informationen über Rechtsextreme gespeichert, Zugriff haben Polizei und Geheimdienste. Informationen über V-Leute fehlen allerdings in dem Zentralregister, das die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden verbessern soll. Vorbild ist die Anti-Terror-Datei, in der Polizeibehörden und Geheimdienste schon seit Jahren ihre Erkenntnisse über mutmaßlich gefährliche Islamisten teilen. In der neuen Datei sammeln 36 deutsche Sicherheitsbehörden aus Bund und Ländern ihre Informationen über gewaltbereite Rechtsextremisten und deren Hintermänner. Beteiligt sind das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter, die Bundespolizei, der Militärische Abschirmdienst sowie die Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern (Tagesschau.de, Stern.de, FR Online).
Während Innenminister Friedrich von einem "Meilenstein im Kampf gegen den Rechtsextremismus" sprach, wird bereits Kritik an dem neuen Instrument laut. So geht es der Gewerkschaft der Polizei nicht weit genug (Zeit Online). Auch Oppositionspolitiker*innen kritisierten überzogene Erwartungen an das Zentralregister. Die Einrichtung sei überfällig gewesen, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Michael Hartmann, reiche allerdings allein nicht aus. Linken-Politikerin Petra Pau sagte, die Datei klinge besser als sie sei. Im Fall NSU hätte sie nichts genützt: "Denn die Ermittler hatte alle Welt im Visier, nur die Nazi-Szene nicht." (Die Welt, Spiegel Online).

BGH-Urteil: Post muss NDP-Mitteilungen ausliefern

Die Deutsche Post muss eine Publikation der NPD ausliefern. Das entschied der Bundesgerichtshof (BHG) am Donnerstag in Karlsruhe. Die Post hatte sich geweigert, eine Zeitschrift der rechtsextremen Partei in Leipzig auszutragen und argumentiert, dass es sich bei dem NPD-Blatt um eine nicht adressierte Postwurfsendung handele. Solche Sendungen seien nicht als Zeitschrift zu bewerten, so dass die Post einer EU-Richtlinie zufolge nicht zu deren Verteilung verpflichtet sei. Die NPD-Landtagsfraktion könne sich auch nicht auf die Pressefreiheit berufen, denn dieses Grundrecht gelte für Verlage. Der BGH widersprach dem nun: Die NPD-Zeitschrift „Klartext“ sei eine periodisch erscheinende Druckschrift, die die Öffentlichkeit "über Tagesereignisse, Zeit- oder Fachfragen durch presseübliche Berichterstattung" unterrichten wolle. Nach der Postdienstleistungsverordnung sei die Post zur Austragung verpflichtet und könne sich nur weigern, wenn mit den Publikationen gegen das Strafrecht verstoßen oder rassendiskriminierendes Gedankengut verteilt werde. Damit hob das BGH die beiden vorinstanzlichen Entscheidungen des Landgerichts Leipzig und des Oberlandesgerichts Dresden zugunsten der Post auf (Spiegel Online, Rheinische Post).

Weiter Chaos: NSU-Kontaktmann war offenbar Verfassungsschutz-V-Mann

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat offenbar jahrelang einen V-Mann aus dem Umfeld der rechtsextremen Terrorzelle NSU geführt. Wie die "taz" berichtet, soll der Neonazi Thomas R. aus Sachsen-Anhalt von 1997 bis 2007 als Quelle geführt worden sein – Deckname: Corelli. R.s Verbindung zu Uwe Mundlos reicht in die 1990er Jahre zurück. Seine Kontaktdaten finden sich auf einer Adressliste, die die Ermittler 1998 nach dem Abtauchen der drei Jenaer Neonazis sicherstellten. Auf dieser Liste stehen viele der mutmaßlichen NSU-Helfer (taz). Unterdessen sorgt die Beschäftigung von V-Männern im Umfeld der NSU für Aufregung. So soll V-Mann Thomas S. der Berliner Polizei bereits 2002 Hinweise auf den Verbleib der untergetauchten NSU-Mitglieder gegeben haben (Stern.de). Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) gerät über die Affäre zunehmend unter Druck (FAZ , Stern.de-Video, FR-Online, Stern.de, Berliner Zeitung). Über den Einsatz von V-Leuten im Allgemeinen schreibt die Berliner Zeitung.

Gedenkstein für Halit Yozgat: Kassel benennt Platz nach NSU-Opfer

In Kassel wird am 1. Oktober ein Platz nach dem im Jahr 2006 ermordeten Neonazi-Opfer Halit Yozgat benannt. Am künftigen Halitplatz soll auch ein Gedenkstein mit einer Inschrift aufgestellt werden. Yozgat war am 6. April 2006 in seinem Kasseler Internetcafé mutmaßlich von den Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) erschossen worden (FAZ).

Eberswalde ringt um Gedenken für Amadeu Antonio

In Eberswalde wird weiter darüber diskutiert, wie des 1990 ermordeten Amadeu Antonio gedacht werden soll. Seit Monaten gibt es Streit darüber, ob eine Straße nach ihm benannt wird. Bürgermeister Friedhelm Boginski (FDP) erklärte nun, dass in einem zweiteiligen Workshop derzeit Vorschläge für die Stadtverordnetenversammlung erarbeitet würden. Im ersten Teil des Workshops, der Anfang der Woche stattfand, habe Einigkeit darüber bestanden, dass "die Mordtat ein wichtiger Teil der Stadtgeschichte" sei und dass sich die Stadt durch die Tat und die Auseinandersetzung damit "nachhaltig verändert" habe (Berliner Zeitung). Mehr zur Geschichte Amadeu Antonios gibt es hier zu lesen.

Trotz Nazi-Freund-Skandal: Deutscher Ruderverband hält an Nadja Drygalla fest

Nadja Drygalla hat gute Chancen, wieder in den Sportbetrieb aufgenommen zu werden. So teilte der Deutsche Ruderverband mit, dass Drygalla weiterhin Mitglieder der Ruder-Nationalmannschaft bleibe. Unterdessen wird weiter geprüft, ob die Ruderin in das Sportförderprogramm der Bundeswehr aufgenommen wird. Das Verteidigungsministerium schließt nicht aus, dass Drygalla schon bald Sportsoldatin wird (ZEIT Online). Bei den Olympischen Spielen im Sommer dieses Jahres in London war bekannt geworden, dass Drygalla eine Beziehung zu dem früheren NPD-Landtagskandidaten Michael Fischer unterhält. Die Sportlerin war daraufhin vorzeitig von den Spielen abgereist. Mehr zum Fall Drygalla gibt es hier.

Alexandra Nightline: Die Kummerkasten-Tante der NPD

"Afrikanisches Leben in der Nachbarwohnung", "Nazi-Kinder, die ständig von ihren Mitschülern mit Migrationshintergrund in die Schulhoftonne gesteckt werden" – nur zwei der "lebensnahen Probleme", mit denen sich Leser*innen der rechtsextremen "Deutschen Stimme" an die Redaktion wenden. Für diese Fälle hat das NPD-Parteiorgan nun tatsächlich eine Kummerkasten-Rubrik eingerichtet: Alexandra Nightline wird sich im Sinne einer "Dr. Sommer von der NPD" um solche Fragen kümmern (Endstation Rechts).

Dortmund: Verbotene Nazi-Gruppe will jetzt eine Partei sein

Am Wochenende haben führende Mitglieder des verbotenen "Nationalen Widerstands Dortmund" (NWDO) in Dortmund-Dorstfeld den "Landesverband NRW" der rechtsextremen Partei "Die Rechte" gegründet. Nach dem Verbot des NWDO durch den nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger war die Neuorganisation erwartet worden. Juristen prüfen nun, ob der Aufbau eines Landesverbands für "Die Rechte" durch den "NWDO"-Kader Dennis G. als eine ebenfalls verbotene "Ersatzorganisation" zu bewerten sei (Marler Zeitung).
Unterdessen klagte die "Kameradschaft Aachener Land" (KAL) vor dem Verwaltungsgericht Münster gegen das auch von Jäger ausgesprochene Verbot gegen sie. Laut dem nordrhein-westfälischen Innenminister ist das Verbot der KAL allerdings gerichtsfest. Dazu sagte Jäger gegenüber den Aachener Nachrichten: "Ich bin davon überzeugt, dass das Verbot des rechtsextremistischen Vereins bestehen bleibt." Und weiter: Die Sicherheitsbehörden hätten "eindeutig nachgewiesen, dass die Neonazis in Aachen die Menschen mit martialischem Auftreten und Gewalttaten eingeschüchtert haben" (Aachener Nachrichten).

Sachbuch: Islamfeindliche Propaganda in Europa

Unter dem Titel "Das Geschäft mit der Angst" stellt das Kölner NS-Dokumentationszentrum ein neues Buch über islamfeindliche Propaganda in Europa vor. Zu der Publikation erklärte Herausgeber Hans-Peter Killguss, dass rechtsextreme Bewegungen zunehmend versuchten, Auseinandersetzungen wie die um das muslimfeindliche Schmähvideo "Die Unschuld der Muslime" für ihre Zwecke zu nutzen (Die Welt, zum Thema Islamfeindlichkeit auch ZEIT Online). Unterdessen kommentiert ZEIT Online-Redakteur Kai Biermann die Sperrung des umstrittenen Mohammed-Videos in einigen Ländern. Da das Video mit den YouTube-Regeln konform sei, sollte Google seiner Ansicht nach solche Ausnahmen nicht machen (ZEIT Online). In Pakistan sperrte die Regierung derweil gleich die gesamte YouTube-Plattform. Vorausgegangen waren der Sperrung gewaltsame Proteste mit mindestens zwei Toten gegen den Film (Der Tagesspiegel).

1.200 Seiten Beweismaterial gegen die NPD

Laut Medienberichtet hat das Bundesinnenministerium etwa 1.200 Seiten Beweismaterial für ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD gesammelt. Nach einem Bericht des "Spiegels" enthält das noch unter Verschluss gehaltene Dossier nur 65 Seiten mit Material, das mit Hilfe von V-Leuten zusammengetragen wurde. Die restlichen mehr als 1.100 Seiten entstammten offen zugänglichen Quellen. Wie Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) betonte, sei damit aber noch keine Vorentscheidung über ein neues Verbotsverfahren gefallen (Sueddeutsche.de).

Bundesinnenministerium stoppt umstrittene Kampagne

Die von muslimischen Verbänden kritisierte Plakatkampagne des Innenministeriums gegen eine islamistische Radikalisierung Jugendlicher wurde kurzfristig gestoppt. Derzeit sei die Kampagne zu gefährlich, meint das Bundeskriminalamt. Die Plakate erinnern an Vermisstenanzeigen. Der Text auf ihnen lautet etwa: "Das ist unser Sohn. Wir vermissen ihn, denn wir erkennen ihn nicht wieder. Wir haben Angst, ihn ganz zu verlieren an religiöse Fanatiker und Terrorgruppen." Nach der Vorstellung der Kampagne kündigten vier muslimische Verbände die Zusammenarbeit mit dem Innenministerium in der sogenannten Sicherheitspartnerschaft auf. Sie warfen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich vor, die Plakate stellten Muslime unter Generalverdacht (taz.de).

Anti-Nazi-Demonstranten gestärkt: Blockieren darf geübt werden

Öffentliche Blockadetrainings im Vorfeld von Neonazi-Demonstrationen sind zulässig. Das entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster und stärkte mit dem Urteil die Rechte von Bürger*innen gegen rechtsextreme Aufmärsche. Die Polizei dürfe dies nicht verbieten. Damit war das Verbot eines öffentlichen Blockadetrainings im nordrhein-westfälischen Stolberg im Februar 2011 unzulässig, so das OVG. Jenes Training war als Versammlung mit etwa 100 Teilnehmern angemeldet gewesen. Die Polizei hatte allerdings das Üben von Blockadetechniken verboten und die Personalien der Trainer, Ordner oder Redner vorab eingefordert (taz).

Stadt Dortmund zahlt Neonazi 10.000 Euro, um Mietvertrag vorzeitig aufzulösen

Gezerre um ein Ladenlokal der Rechtsextremen in Dortmund-Dorstfeld: Die Stadt Dortmund wollte die berüchtigte "Braune Zelle" an der Rheinischen Straße 135 auflösen – und kündigte als neue Eigentümerin alle sieben Mietverträge im Haus. Der Mieter des Ladenlokals, Michael Brück, frischgebackener Stellvertreter der neuen Partei "Die Rechte", legte Widerspruch ein. Nun hat ihm die Stadt im Rahmen eines Auflösungsvertrages 10.000 Euro gezahlt, damit er vorzeitig aus der Immobilie auszieht. Die Zahlung einer solchen Summe an einen Nazi hat Diskussionen ausgelöst. Dazu erklärte Stadtsprecher Udo Bullerdieck: "Wir mussten abwägen: Zahlen wir oder ertragen wir dieses braune Nest noch zwei Jahre lang." (Der Westen)

Sieben Jahre nach seiner Flucht: Neonazi Ittner ausgeliefert

Sieben Jahre war Gerhard Ittner auf der Flucht, nun wurde er nach Deutschland ausgeliefert: 2005 war der Neonazi in Nürnberg unter anderem wegen Volksverhetzung und schwerer Verunglimpfung des Staates verurteilt worden. Er galt als führender Kopf der rechtsextremen Szene Nordbayerns, hatte zahlreiche Schriften volksverhetzenden Inhalts ins Netz gestellt und gibt als Beruf "Sachverwalter des Deutschen Reiches" an. Im April war der 54-Jährige, der mit internationalem Haftbefehl gesucht wurde, Fahndern in Portugal ins Netz gegangen. Nun befindet er sich in einer bayerischen Haftanstalt (Sueddeutsche.de, Mittelbayerische Zeitung).

Nazi-Provokationen in Erfurt und Gießen

Mit einem Marsch von Würzburg nach Berlin wollen Flüchtlinge und ihre Unterstützer*innen auf ihre unmenschliche Lage in Deutschland aufmerksam machen. Bei ihrer Station in Erfurt sind sie dabei nun von Neonazis gestört worden. Vor dem Thüringer Landtag tauchte eine Gruppe Männer mit NPD-Plakaten auf. Einige Flüchtlinge entrissen den Rechtsextremen daraufhin die Plakate, Sprechchöre mit "Nazis raus!" waren zu hören. Die NDP-Männer zogen schließlich ab, flankiert  von der Polizei (Thüringer Allgemeine, mehr zur Situation von Flüchtlingen in Deutschland zeigt die rbb-Reportage "Vier Wochen Asyl - Ein Selbstversuch mit Rückkehrrecht", ARD Mediathek).
Einen anderen Vorfall gab es unterdessen im mittelhessischen Gießen: Hier trauten Besucher*innen eines Wochenmarktes ihren Augen kaum, als eine Kundin durch das Treiben flanierte, die ein schwarzes T-Shirt mit Nazi-Symbolen trug. Auf der Vorderseite prangte eine Abbildung von Adolf Hitler, darunter war der Spruch zu lesen: "Seit 60 Jahren vermisst. Wir brauchen Dich". Auf der Rückseite des Shirts war ein Hakenkreuz abgebildet. Herbeigerufene Polizisten fertigten eine Strafanzeige (Wetterauer Zeitung).

Ankündigung: INACH – Hass im Netz gemeinsam entgegentreten

Immer mehr Nazis verbreiten ihre rechtsextreme Propaganda in den sozialen Netzwerken. Das erfordert neue Lösungen. INACH, das internationale Netzwerk gegen Hass im Netz, veranstaltet dazu am kommenden Montag eine Konferenz, bei der länderübergreifende Gegenstrategien präsentiert und eine neue Charta für mehr soziale Verantwortung im Netz vorgestellt werden sollen (Endstation Rechts). Belltower.news wird über die Konferenz berichten.

Dortmund: Verprügelt wegen eines Anti-Nazi-Aufnähers

Im Dortmunder Hauptbahnhof wurden in der Nacht zu Sonntag eine 15-Jährige und ein 17-Jähriger von einer Gruppe attackiert, nachdem diese einen Anti-Nazi-Aufnäher an der Jacke des Mädchens entdeckt hatten. Eine 17-Jährige aus der Gruppe der Täter riss der 15-Jährigen zunächst den Aufnäher herunter, schlug sie und trat schließlich auf sie ein, als das Opfer am Boden lag. Als der 17-Jährige Bekannte des Mädchens helfen wollte, wurde er von zwei weiteren Mitgliedern der Gruppe mit Schlägen und Tritten angegriffen. Gegen die Schläger läuft nun ein Ermittlungsverfahren wegen schwerer Körperverletzung, außerdem hat sich der Staatsschutz eingeschaltet (Dattelner Morgenpost).

Ein Klopapierdieb im Visier des Staatsschutzes

Eine interessante Prioritätensetzung hat das Thüringer Landeskriminalamt bewiesen: Mehr als ein gutes Jahr wurde im Fall eines internen Klopapierdiebstahls ermittelt, wochenlang wurden Mitarbeiter*innen mit einer verdeckten Kamera überwacht. Für die Auswertung der Bänder wurde mindestens ein Beamter des Staatsschutzes abgestellt. Mittlerweile wurden die Untersuchungen eingestellt – und das ohne Erfolg (MDR Thüringen).

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