18.07.2012 ... Presseschau

Nach den Rechten sehen: Verfassungsschutz-Vize aus Thüringen: "Wir waren blind, was die Neonazi-Szene angeht" +++ Bundes-Verfassungsschutz warnt vor NSU-Nachahmern +++ Bückeburg: „Unsterbliche“ stören massiv Malaktion gegen Nazis an der der Herderschule.

Die tägliche Presseschau von netz-gegen-nazis.de

Verfassungsschutz-Vize: "Wir waren blind, was die Neonazi-Szene angeht"

Kaum V-Leute, ein selbstgerechter Chef, fachfremde Referatsleiter: Der Thüringer Verfassungsschutz war in den Neunzigern eine Chaostruppe. Peter Nocken, stellvertretender Chef des Amts, offenbarte vor dem Neonazi-Untersuchungsausschuss die blanke Ahnungslosigkeit der Beamten - und redet sich um Kopf und Kragen (Spiegel online). Mitglieder des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses erhielten am Dienstag zudem Einblick in geheime Akten, die auch Klarnamen von V-Leuten enthielten (mdr.de). Das Aufklärungs-Chaos in Thüringen verärgert die Politiker*innen: Erst am Wochenende waren neue Polizei-Akten zum "Thüringer Heimatschutz" anscheinend "plötzlich" aufgetaucht (Berliner Zeitung).

Verfassungsschutz warnt vor NSU-Nachahmern

Heute wird der bundesweite Verfassungsschutzbericht 2011 in Berlin vorgestellt.  ZEIT online berichtet vorab, dass die Verfassungsschützer*innen nun - NSU sei Dank? - der Meinung sind, dass die Zahl gewaltbereiter Rechtsextremer steige - von 9.500 auf 9.800. Die Zahl rechtsextremer Demonstrationen habe mit 260 im Jahr 2011 einen Höchststand erreicht. In den letzten Jahren hatte der Verfassungsschutz die rechtsextreme Szene stets unter "ferner liefen" behandelt. 2011 war etwas "Linksextremismus" das Top-Thema - nachzulesen noch einmal hier auf netz-gegen-nazis.de

Verfassungsschutzbericht Thüringen: 900 Rechtsextreme aktiv

Als letzter Länder-Verfassungsschutzbericht wurde gestern der von Thüringen der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Fakten: In Thüringen gab es 2011 rund 900 organisierte Rechtsextreme. Damit ist die rechte Szene im Freistaat leicht geschrumpft (2010: 1030 Anhänger). Deutlich abgenommen habe auch die Zahl rechter Konzerte. Sie sank von 13 im Jahr zuvor auf 5. Die Zunahme rechtsextremer Straftaten im Freistaat führte Geibert auf die höhere Zahl von Propagandadelikten zurück, die zwei Drittel der 1043 Delikte ausmachten (insuedthueringen.de).

Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht über die schwierigen Ermittlungen in der Affäre um den rechtsextremen NSU

Im Streit über die Neuaufstellung des Verfassungsschutzes stellt sich Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) auf die Seite von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die den Inlandsgeheimdienst nach der Affäre um die Morde der rechtsextremen Zwickauer Terrorzelle NSU erheblich verkleinern will. Im Interview mit der Berliner Morgenpost erläutert sie, warum sie dabei aber an Landesämtern für Verfassungsschutz festhalten möchte, auch wenn sie Möglichkeiten sieht, kleinere Ämter zusammenzuschließen. Reformiert werden soll der Geheimdienst allerdings grundlegend (CentralFM). Bundesinnenminister Friedrich (CDU) will den Verfassungsschutz derzeit weder verkleinern noch fusinonieren (FAZ).

Bückeburg: „Unsterbliche“ stören massiv Malaktion gegen Nazis an der der Herderschule

„Mit bunten Farben gegen braune Parolen“, so der Titel der Aktion, wollten Schülerinnen und Schüler einer neunten Klasse der Herderschule gestern Morgen gegen rechtsextreme Schmierereien an den Außenwänden ihrer Schule vorgehen. Als die Schüler*innen ihre Farben auspackten, wurde die Malaktion von rechtsextremen Aktivist*innen mit den weißen Masken der "Unsterblichen"-Kampagne gestört. Zunächst sei eine junge Frau aufgetaucht, die die Aktion fotografieren wollte. Sie gab sich als Antifa-Mitglied aus, wurde aber von Schüler*innen als Rechtsextreme erkannt. Als sie aufgefordert wurde, das Fotografieren zu stoppen und sich im Schulsekretariat zu melden, kam ein polizeibekannter Rechtsextremist aus dem Mindener Raum, ebenfalls mit einem Fotoapparat. Dessen Interesse habe jedoch vor allem dem Auftritt von vier Gesinnungsgenossen gegolten, die inzwischen aufgetaucht seien. Die mit weißen Masken vermummten Neonazis hielten ein vorbereitetes Spruchband hoch. Inzwischen wurde die Polizei alarmiert – von einer Schülerin. Ein Polizeibeamter in Zivil, der die Malaktion beobachtet habe, hatte nämlich kein funktionierendes Handy dabei. Der Polizeibeamte sei dann in ein Handgemenge mit dem „Fotografen“ geraten. Als mehrere Polizeifahrzeuge eintroffen seien, hätten die jungen Neonazis bereits die Flucht ergriffen. Ihr Spruchband habe eine Schülerin an sich gerissen, die unter ihren Klassenkameraden für ihre rechtextremen Ansichten bekannt sei. Diese sei in ein wartendes Auto gestiegen, so die Zeugen. Verletzt wurde bei dem Vorfall niemand, der Auftritt der Neonazis sorgte aber bei den Teilnehmer*innen des Workshops für Bestürzung, Angst und Verunsicherung. Trotzdem führten sie ihre Aktion zu Ende und übermalten rechte Sprüche an der Fassade. Aus „Unsere Farbe lässt sich entfernen, unsere Idee nicht“ (übrigens der gleiche Spruch wie auf dem Transparent) wurde „Unsere bunten Farben lassen unseren Ideen Flügel wachsen“. Eindrucksvoll auch das Bekenntnis: „Wir lassen uns nicht entmutigen!“ (landes-zeitung.de)

Nirgendwo willkommen, trotzdem unterwegs: Die NPD

Mit einem Bus tourt die NPD derzeit durch Deutschland - was niemand interessiert außer den Gegendemonstrant*innen, die den Neonazis bisher in jeder Stadt deutlich zeigten, wie unwillkommen sie sind (bisher in Wolfburg, Lüneburg, Hannover, Rostock (Endstation rechts), Schwerin, Neumünster (shz.de) und sicher auch heute um 11 und 15 Uhr in Hamburg). Am Freitag werden die NPDler*innen in Münster erwartet (Waltroper Zeitung). Auch in Kassel wollen die Nazis vorbeischauen, Ort und Zeit sind aber noch unklar (hna.de).

 

Bayern: Polizei lässt Neonazi-Bands gewähren

In Bayern sind laut Verfassungsschutz zwölf rechtsextreme Bands aktiv. International bekannt sind "Faustrecht" aus Mindelheim in Schwaben und "Sturmtrupp" aus Oberbayern. Neonazis-Bands fühlen sich in Bayern wohl, weil die Polizei sie angeblich selten stört. So werden hier etwas besonders wenige Neonazi-Konzerte aufgelöst - sei es, weil die Beamten die verfassungsfeindlichen Lieder nicht erkennen, sei es, weil sie die Konfrontation mit gewalttätigen, betrunkenen Nazikonzertbesucher*innen scheuen (BR).

Gute Idee: Berliner Verfassungsschutz sucht Expert*innen für Rechtsextremismus

Der Berliner Verfassungsschutz schafft in den kommenden Tagen fünf neue Vollzeitstellen - und sucht nun kompetente Mitarbeiter*innen (Tagesspiegel).

Chaos Computer Club trennt sich von befreundetem Verein Attraktor - wegen Neonazi-Website-Hosting

Der Chaos Computer Club e.V. (CCC) hat auf seiner Website bekannt gegeben, dass er sich vom Hamburger Verein Attraktor distanzieren will. Grund: Dem CCC ist das mutmaßliche frühere Wirken im rechtsradikalen Umfeld eines Vorstandsmitglieds von Attraktor unvereinbar für eine Zusammenarbeit. Laut taz liefen über einen von diesem betriebenen Hosting-Account bis 2011 die Registrierung und Bezahlung von rund 50 Domains mit neonazistischen Inhalten (Wienerzeitung.at).

Aufregung um Nazi-Konten auf Twitter

Deutschsprachige Twitteria beklagt Tweets im Namen bekannter Nazi-Größen des Dritten Reichs und ruft zur Spam-Meldung der entsprechenden Konten auf. Erst kürzlich meldete eine Jugendschutzorganisation den Anstieg rechtsextremer Aktivitäten auf mehreren Social Networks (futurezone.at).#

Wie Neonazis sich in Mecklenburg-Vorpommern als Kümmerer geben

Lassen sich Menschen wirklich mit Handarbeitsabenden und "Volksbüchereien" für die rechtsextreme Szene begeistern? In Mecklenburg-Vorpommern ist die NPD mit solchen Taktiken erfolgreich (taz).

Holland: Wilders auf Stimmenfang mit Anti-EU-Kurs

Vor der Parlamentswahl in den Niederlanden werden die Brüssel-kritischen Töne lauter. Der Rechtspopulist Geert Wilders versucht damit, den Sinkflug seiner Partei aufzuhalten, am linken Rand baut Emile Roemer die Sozialisten mit ähnlichen Thesen zum Umfrage-Spitzenreiter auf. In Umfragen verliert Wilders' Freiheitspartei PVV stetig; sie ist nur noch viertstärkste Kraft. Wilders versucht, mit radikalen Anti-EU-Parolen den Abwärtstrend seiner Partei PVV zu drehen, weil die Tiraden gegen den Islam nicht mehr ziehen: raus aus der Europäischen Union, raus aus dem Euro und zurück zum Gulden – so lautet seine Hauptbotschaft. "Unser Interesse heißt Niederlande, Niederlande, Niederlande", steht im Wahlprogramm seiner PVV – und Sätze wie: "Wir wollen wieder Chef sein im eigenen Land." Doch Wilders hat einen starken Rivalen am anderen äußersten Rand des Parteienspektrums: Emile Roemer, Spitzenkandidat der Sozialistischen SP. Der 49-Jährige zieht mit den Thesen von Karl Marx und Mao Tse-tung gegen freie Märkte und die EU zu Felde - will aber nicht aus der EU austreten (Rheinische Post).

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