Wochenrückblick 48 / 2009: Minarettfeindlichkeit und Bewusstseinsbildung

Was passierte in der Woche vom 28. November 2009 bis zum 04. Dezember 2009 in der rechtsextremen Szene? Die Schweizer stimmen für den Verbot von Minarettneubauten und treten eine europaweite Islamfeindlichkeitsdebatte los.

Gesellschaft

Volksabstimmung in der Schweiz: Die Initiative von zwei rechtspopulistischen Parteien (SVP und EDU) kommt überraschend durch, bekommt eine Mehrheit von 57 Prozent: Es dürfen keine Moscheen mit Minaretten mehr in der Schweiz gebaut werden. Gewertet wird dies als Ausdruck einer Angst vor Bedrohung der "eigenen" Kulturen und Islamfeindlichkeit. Befördert wurde die von einer Plakatkampagne der SVP, in der Minarette wie Raketenköpfe durch die Schweizer Fahne stoßen und stilisierte Burkas eher an Terroristen-Sturmhauben erinnerten. Der Schöpfer dieser Kampagne, der Werbeagentur-Geschäftsführer Alexander Segert, ist übrigens ein eingewanderter Deutscher und seit 14 Jahren Kampagnenchef der SVP. Die UNO moniert, das Verbot sei diskriminierend. Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan, das Verbot stehe für eine "zunehmenden rassistischen und faschistischen Haltung in Europa." In Deutschland wollen sich besonders die "Pro"-Parteien und die Republikaner auf das Thema "Minarett-Verbot" stürzen - beide Gruppierungen haben mit Islamfeindlichkeit bereits Erfahrungen.

Der Prozess gegen John Demjanjuk wegen 27.900fachen Mordes im Vernichtungslager Sotibor beginnt am Montag am Landgericht in München.

Auch das noch: Sänger Pete Doherty singt auf einem Konzert des Jugendradiosenders on3 in München "Deutschland, Deutschland über alles". Er entschuldigt sich hinterher, er habe nichts über den Inhalt und Zusammenhang der ersten Strophe gewusst. Und in den Medien ist wieder die Diskussion, ob man so etwas überhaupt thematisieren muss. Hier die Antwort: Ja.

Rechtsextreme Szene aktiv:

Auch nicht leicht, sich immer wieder zu überbieten - auch nicht für Neonazis. In der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung will ein DVU-Mann der NPD-"Ausländerrückführung" noch eins draufsetzen udn fordert die "Rückführung" von Juden - Anzeige wegen Volksverhetzung.

Rechtsextremismus in Dortmund: Laut einer Studie der Universität Bielefeld agieren "Autonome Nationalisten" dort frech und ungeniert - und stoßen auf Zustimmung, wo fremdenfeindliche Einstellungen stark verbreitet sind, hohe Arbeitslosigkeit herrscht oder man sich allgemein von der Politik verlassen fühlt. Etwa im Stadtteil Eving: fast 40 Prozent der befragten Menschen äußert fremdenfeindliche Einstellungen. Zeitgleich wurde bekannt, dass eine gegen Nazis engagierte Familie, die von Rechtsextreme drangsaliert wurde, nun aufgibt und die Stadt verlässt, während am Amtsgericht Dortmund ein Prozess gegen einen Neonazi stattfindet, der offenbar einem Studenten die Nase gebrochen hat.

Laut Medienberichten begeht der bekannte Holocaust-Leugner Richard L. aus Zossen offenbar Selbstmord - zuletzt war gegen ihn wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern ermittelt worden.

Justiz

Sieben Betreiber des Neonazi-Internetradios "European Brotherhood Radio" werden zu Strafen von einem Jahr auf Bewährung bis zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.

Der Bundesgerichtshof urteilt: Die Kameradschaft "Sturm 34" (Mittweida) ist eine kriminelle Vereinigung. Damit muss der Prozess gegen fünf mutmaßliche Mitglieder von "Sturm 34" in Dresden erneut aufgerollt werden, von denen drei 2008 zwar u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt wurden, vom Vorwurf der Bildung einer "kriminellen Vereinigung" aber freigesprochen wurden, wogegen die Staatsanwaltschaft Revision einlegte.

Gewalt und zukünftige Gewalt

Im bayerischen Geltendorf wird ein rechtsextremes Vater-Sohn-Gespann verhaftet (Vater: räuberische Erpressung, Sohn: Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Verstöße gegen das Waffengesetz, Diebstahl und Sachbeschädigung). Sie haben ein Sprengstoff- und Waffenlager.

In Hildesheim (Niedersachsen) findet die Polizei bei einer Hausdurchsuchung bei einem Neonazi zwei Gewehre, zwei Pistolen und eine Maschinenpistole vom Fabrikat UZI, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz falle.

In Sonneberg (Thüringen) verprügeln Nazis einen Grünen-Kreistagsabgeordneten und dessen Bruder.

Gegenstrategien

Steile Thesen als Folge von Studie des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung zu Rechtsextremismus in Berlin: Nur 15 Prozent der Gewaltdelikte von Neonazis seien politisch-ideologisch motiviert - der Rest sei einfach "Hass" - und insofern auch am besten zu bekämpfen wie "normale" Gewaltkriminalität, ohne politischen Bezug, und müsse auch so bekämpft werden.

Die Innenministerkonferenz debattierte über Umgang mit NPD und will kein neues Verbot, wohl aber alle rechtlichen Mittel gegen rechtsextreme Partei ausschöpfen.

Gehört das zum Thema von netz-gegen-nazis.de?

Professor Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld veröffentlicht seine Langzeitstudie "Deutsche Zustände" und stellt aufgrund der Wirtschaftskrise einen Abbau zentraler Werte der Gesellschaft wie Solidarität und Gerechtigkeit fest, die zu mehr Abwertung schwacher Gruppen führen wird (ausführlicher Artikel hier). Anlässlich dessen sei an Heitmeyers Syndrom der "Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" erinnert, das belegt, dass verschiedene Feindlichkeiten sich gegenseitig verstärken: Wer z.B. rassistisch denkt, neigt auch eher dazu, obdachlosenfeindlich zu denken, usw.

Deshalb berichtet Belltower.news eben auch, wenn es akut ist, etwa über Homophobie oder Sexismus - auch wenn die aus der sogenannten "Mehrheitsgesellschaft" kommen. Berichterstattung über die schwulenfeindlichen Texte des Reggae-Sängers Sizzla und Protest gegen dessen Konzerte wurde entsprechend akzeptiert - aber als die Redaktion in unserem Facebook-Forum die sexistische und gewaltverherrlichende Werbung einer Tattoo-Convention kommentierte, fühlten sich einige ganz schön angepiekt. Gehört auch dazu.

Humor

Zwei Empfehlungen:

Eigentlich nicht zum Lachen - aber praktisch: Extra 3 hat eine Karte erstellt, die die Straftaten bekannter NPD-Funktionäre visualisiert - auch zum Thema "NPD als 'normale' Partei" (Extra 3).

Wissen Sie über V-Männer und -Frauen Bescheid? Quiz (| npd-verbot-jetzt.de/quiz)

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