Nach den Rechten sehen: NSU-Skandal: Reißwolf-Affäre weitet sich aus +++ Bückeburg: Nach "Unsterblichen"-Aktion an Schule: Anti-Rechts-Graffiti wieder übersprüht, Polizei findet an der Neonazi-Aktion nichts auszusetzen +++ Cottbus: Rechtsextremer schlägt Schwarzen - aber das hat natürlich nichts mit Rassismus zu tun.
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NSU-Skandal: Reißwolf-Affäre weitet sich aus
Im NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag wurde am Donnerstag über die Vernichtung von Verfassungsschutz-Akten zu Abhörprotokollen auf Anordnung des Bundesinnenministeriums (BMI) wenige Tage nach Bekanntwerden der Zwickauer Terrorzelle NSU getagt. Danach sagte der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy: "Heute ist nachdrücklich klar geworden: Es gab eine Vertuschungsaktion." Der FDP-Abgeordnete Hartfrid Wolff sprach von "Sodom und Gomorrha" im Umgang mit Akten beim Verfassungsschutz. Unions-Obmann Clemens Binninger: "Ich bin fassungslos, wie die Sicherheitsbehörden mit den Akten umgehen und umgegangen sind." (Welt online, taz) Während das BMI noch angibt, es habe sich um Akten gehandelt, die aus allen Bereichen stammten, nicht nur aus dem Bereich Rechtsextremismus, und um keine Akten, die im Zusammenhang mit der NSU standen, berichtet die Stuttgarter Zeitung mit Berufung auf Insider, es habe sich sehrwohl nur um Akten aus dem Bereich Rechtsextremismus gehandelt. Geschreddert wurden laut dem Bericht im November 2011 elf Aktenordner über Observationen gegen Rechtsextremisten, im Dezember zwölf und zuletzt im April 2012 vier und noch im Mai 2012 ein Ordner. Die Akten dokumentierten die Ergebnisse so genannter G-10-Maßnahmen, die nur angewendet werden dürfen, wenn „drohende Gefahren für den Bestand oder die Sicherheit des Landes“ bestehen (Stuttgarter Zeitung). Die Mitteldeutsche Zeitung berichtet, unter den Akten seine Dokumente zu den Neonazis Jan W. und Thomas St. gewesen, die der Zwickauer Terrorzelle nahestanden. Starke soll sogar eine zeitlang mit Beate Zschäpe liiert gewesen sein (mz-web, Welt).
Bückeburg: Nach "Unsterblichen"-Aktion an Schule: Anti-Rechts-Graffiti wieder übersprüht, Polizei findet an der Neonazi-Aktion nichts auszusetzen
Nachdem Schüler*innen am Dienstag in Bückeburg bei einer Anti-Nazi-Graffiti-Aktion von rechtsextremen Aktivist*innen fotografiert und mit einem "Unsterblichen"-Auftritt provoziert und verängstigt worden waren, diskutiert die Stadt nun den Umgang mit dem Vorfall - laut einen Bericht der Landes-Zeitung mit unglaublichen Argumenten. So ist etwa die örtliche Polizei in Person von Kommisariats-Leiter Werner Stedig der Meinung, der Auftritt der "Unsterblichen" sei nicht als Straftatbestand zu werten - schließlich habe er als "spontane Demonstration" auf öffentlichem Grund stattgefunden (wenn auch die Banner offensichtlich professionell produziert und damit vorbereitet waren), habe in friedlicher "Maskerade" stattgefunden (statt die weißen Masken als Vermummung zu werten) und es sei "keine Bedrohung" von den Nazis ausgegangen - die immerhin so dreist waren, auf einer gegen sie gerichteten Aktion aufzulaufen. Offenbar hatten sie aber damit Recht, in Bückeburg keine Konsequenzen befürchten zu müssen. Übrigens wertete der Kommissariatsleiter den Umstand, dass die Schule für die Aktion Polizeischutz angefordert hatte, den sie nur in Form eines Zivilbeamten bekam, so: Man sei von einem "Wandstreichen" ausgegangen, nicht davon, dass die Schüler*innen "neue politische Botschaften" auf die Wand malen wollten. Die Schüler*innen hatten die zuvor gesprayte Nazi-Botschaft "Unsere Farbe lässt sich entfernen, unsere Idee nicht" verändert in "Unsere bunten Farben lassen unseren Ideen Flügel wachsen." Unfassbarerweise bezweifelte der Polizeibeamte, dass solche Botschaften vom Landkreis als Hauseigentümer erwünscht seien. Zumindest trügen sie nicht zur Deeskalation der Lage bei, da sofort neue Aktionen der Gegenseite provoziert würden. Steding: „Schule sollte ein neutraler Ort sein!“ Von Zivilcourage, Demokratielernen oder Menschenrechten hat dieser Polizist wohl noch nichts gehört. Die Rechtsextremen hat es offenbar ermutigt. Sie haben das Graffiti der Schüler*innen inzwischen wieder zerstört (Landes-Zeitung).
Cottbus: Rechtsextremer schlägt Schwarzen - aber das hat natürlich nichts mit Rassismus zu tun
Nein, Rassismus habe mit der ganzen Sache nichts zu tun, beteuerte Patrick K. gleich zu Beginn seines Prozesses vor dem Cottbuser Amtsgericht. Er gab zwar zu, den den schwarzen Asylbewerber Jean Mpaka Manuel ins Gesicht geschlagen zu haben - aber der habe seine Freunding "komisch angeguckt". Die hatte sich zuvor rassistisch geäußert. K. ist unter anderem wegen "Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole" vorbestraft. Zuletzt saß er wegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und räuberischer Erpressung in Haft. Aktuell arbeitet der mehrfach Vorbestrafte beruhigenderweise bei einer Cottbuser Sicherheitsfirma: "Eingesetzt werde ich bei Konzerten und bei Fußballspielen von Energie." Die Richterin wertete dies positiv und verurteilte K. zu einer Bewährungs- und Geldstrafe (Lausitzer Rundschau).
Rassismus nach Urteil zur Gleichstellung von Asylbewerber*innen: Menschenwürde nein danke
Fast zwanzig Jahre lang sind die Sozialleistungen für Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge in Deutschland nicht erhöht worden. Sie liegen bei monatlich 224 Euro. Das sei »evident unzureichend«, urteilte gestern das Bundesverfassungsgericht. Die Höhe sei weder nachvollziehbar berechnet worden, noch sei eine »am Bedarf orientierte und insofern aktuell existenzsichernde Berechnung ersichtlich«. Der BILD-Blog hat eine subjektive, aber relativ repräsentative Auswahl von öffentlichen Wortmeldungen von Mitgliedern der »BILD.de-Community« zu diesem Urteil zusammengestellt - aber bevor es zu viel Arroganz gegenüber BILD-Leser*innen gibt: Es sieht in keinem anderen Diskussionsforum zum Thema besser aus!
Nach Befragung vor Thüringer NSU-Ausschuss: Roewer erstattet Anzeige gegen ehemalige Mitarbeiter
Die Befragung des ehemaligen Thüringer Verfassungsschutz-Chefs Helmut Roewer und zwei seiner früheren Mitarbeiter vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags bekommt nun offenbar ein juristisches Nachspiel. Roewer hat bei der Staatsanwaltschaft Erfurt Strafanzeige gegen die beiden ehemaligen Mitarbeiter wegen Falschaussage erstattet. Sie hatten am 9. Juli vor dem Ausschuss unter anderem von seltsamen Gepflogenheiten ihres damaligen Vorgesetzten Roewer berichtet (MDR, Spiegel online).
Neuer Verfassungsschutzchef Maaßen: "Der Professorentitel ist mir schnurz"
Mit deutlichen Worten hat sich der künftige Verfassungsschutzchef Maaßen gegen Kritik an seiner Person zur Wehr gesetzt. Der Jurist greift die Freie Universität Berlin an, die ihm eine Honorarprofessur verweigerte - und verteidigt entschieden seine Rolle in der Kurnaz-Affäre (Spiegel online).
Regensburg: Neonazis verprügeln Aktivisten
Ein oberpfälzischer Aktivist, der sich für iranische Flüchtlinge einsetzt, ist am Donnerstag in Regensburg mutmaßlich von Neonazis verprügelt worden. Der 26-Jährige wurde am frühen Morgen von zwei Männern angegriffen und mit Schlägen und Tritten traktiert (BR).
Übles Urteil: Gericht sieht Rausschmiss eines NPD-Provokateurs aus Veranstaltung als ungerechtfertigt
Jutta Limbach, ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, spricht im Bürgerzentrum Oranienburg über den Hitlerattentäter Georg Elser. Nach ihrem Vortrag meldet sich der NPD-Kommunalpolitiker Detlef Appel zu Wort, schwadroniert und provoziert. Schließlich wird es dem Versammlungsleiter Burkhard G. zu bunt. Er verweist den Störenfried des Saals. Doch das hätte er nicht gedurft. Appel klagte und das Landgericht Neuruppin verdonnerte Burkhard G. vor einigen Wochen, dem Neonazi 399,72 Euro zu geben, außerdem die Kosten des Verfahrens zu tragen. Zur Begrüundung meinte das Landgericht: Appel schrie nicht herum, seine Äußerungen waren nach Ansicht der Justiz vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt, und dass er jemanden bedroht hätte, war ihm auch nicht nachzuweisen. Die Veranstaltung war öffentlich. Dass ein Werbezettel des Forums gegen Rassismus und rechte Gewalt NPD-Mitglieder ausdrücklich ausgeladen hatte, spielte keine Rolle, weil nicht dieses Forum der Veranstalter war, sondern die Elser-Initiative. Die »politische und gesellschaftliche Stellung« des Kreistagsabgeordneten sei »durch den Saalverweis spürbar beeinträchtigt« worden, befand das Landgericht. Dies sei geeignet, »sich abträglich auf Ansehen und Ehre« des politisch Aktiven in der Öffentlichkeit auszuwirken (ND).
NPD: Ein Flaggschiff geht unter
Nach Vorbild der NRW-Tour von „Pro“ tourt die NPD mit einem Lkw durch Deutschland. Ein Konzept, das nicht aufgeht. Während Pro NRW durch die salafistischen Ausschreitungen im Mai eine Plattform bekam, um ihre rassistische Ideologie auszubreiten, gehen die Parolen der NPD im Gegenprotest unter (Publikative.org). Gestern gab es Proteste in Oldenburg (NWZ-online) und Osnabrück (noz.de). Heute gibt es Proteste u.a. in Bielefeld (Westafalen-Blatt).
Entscheidung zu NPD-Verbotsverfahren noch dieses Jahr
Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) rechnet noch in diesem Jahr mit einer Entscheidung über ein mögliches Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD. «Derzeit wird Material gesammelt, ausgewertet und geprüft. Welches Ergebnis am Ende herauskommt, kann ich nicht sagen. Eine Entscheidung wird für Ende des Jahres angestrebt», sagte er (Welt online).
Überfall auf Erfurter Kunsthaus – Polizei ermittelt doch in der rechtsextremen Szene
Am Freitagabend kam es in Erfurt zu einem gewalttätigen Übergriff einer Gruppe Rechtsextremer auf die Besucher einer Kunstaustellung. Mehrere Besucher der Ausstellung und eine Polizistin wurden dabei teils schwer verletzt. Trotzdem wollte die Polizei zunächst nicht in der Neonazi-Szene ermitteln (ZEIT online).
Neonazi-Liedtexte im Gitarrenkoffer wurden "nicht gebraucht" - und so auch nicht bestraft
Ein Sänger aus Rostock, der auf einem "Liederabend" der NPD in Murnau auftrat, ist vom Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen freigesprochen worden. Er hatte 113 Texte dabei, die u.a. „Lauf, Nigger, lauf“, „Jud Süß schaufelt sein Grab“ oder „Ein Kanak auf Reisen“ hießen. Zwar befand das Gericht, 33 davon seien verboten. Aber da der Liedermacher aussagte, er habe sie nur im Auto dabeigehabt, aber "nicht benötigt", wurde er freigesprochen (Merkur online).
Nazi-Vorwurf gegen Raczek-Burschenschaft
Neuer Ärger für die Burschenschaft der Raczeks: Ein ehemaliger Bundesbruder sitzt derzeit in Haft. Der Vorwurf: Mitgliedschaft in der kriminellen rechtsextremen Vereinigung "Aktionsbüro Mittelrhein". Mindestens sieben weitere Raczek-Burschen sollen Rechtsextremisten nahestehen (Spiegel online).
NS-Kriegsverbrechen: Der rüstige Herr Csatáry blamiert Ungarns Justiz
Die Budapester Justiz hatte schon seit einem Jahr Hinweise darauf, dass der mutmaßliche Kriegsverbrecher László Csatáry in der Stadt lebte - doch sie unternahm nichts. So gaben die Nazi-Jäger vom Simon-Wiesenthal-Zentrum schließlich einem britischen Boulevardblatt den Tipp (Spiegel online).
Anetta Kahane: „Die Arroganz des Verfassungsschutzes macht mir Angst“
Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, erklärt zur heutigen Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes: „Die Art und Weise wie der Verfassungsschutzbericht vorgestellt wurde, legt die Vermutung nahe, dass sich an der Einstellung der Behörde zum Thema Rechtsextremismus nichts geändert hat. Ein Bericht, der ohne eine klare Stellungnahme zu den Fehlern und Versäumnissen auskommt, ist nicht glaubwürdig. Diese Arroganz und Unbedarftheit des Verfassungsschutz macht mir Angst." (Amadeu Antonio Stiftung)
Verfassungsschutzbericht als Existenzbedrohung
Wie wichtig das Wort „widerlegbar“ sein kann, zeigt aktuell das Vorhaben der schwarz-gelben Bundesregierung. Denn geht es nach ihr, soll in Zukunft die bloße Erwähnung in einem Verfassungsschutzbericht reichen, um Vereinen den Status ihrer Gemeinnützigkeit und damit ihre finanzielle Existenz, zu entziehen. Der geringste Verdacht kann das sofortige Aus für viele Demokratievereine bedeuten. Bisher durften die Vereine zunächst klagen - oft genug erwiesen sich die Vorwürfe dann als haltlos (mut-gegen-rechte-gewalt.de).