NSU hatte mehr Helfer - Verdacht auf eine weitere Tat +++ Zentralregister und "Abwehrzentrum Rechts" beschlossen +++ Gedenkveranstaltung und Entschädigungen für Opfer.
Die tägliche Presseschau von netz-gegen-nazis.de
Weitere Tat der Gruppierung "Nationalsozialistische Untergrund (NSU)"?
In Thüringen hat es kurz vor dem Untertauchen der rechtsextremen Zwickauer Terrorgruppe einen weiteren Anschlagsversuch auf Ausländer gegeben. Ermittler hatten am 18. November 1997 einen Sprengsatz in einem Haus in Stadtroda bei Jena gefunden, wie der MDR unter Berufung auf die Jenaer Polizei berichtete. In dem Gebäude waren demnach portugiesische Arbeiter untergebracht. Laut Sender lag der Sprengsatz neben dem Kessel einer Gasheizung. Lediglich eine Störung am Zünder habe eine Explosion verhindert (tagesschau.de).
Zentralregister und "Abwehrzentrum Rechts" beschlossen
Angesichts der Terror-Morde der Thüringer Neonazi-Zelle einigten sich die Innen- und Justizminister von Bund und Ländern am Freitag bei einer Sonderkonferenz in Berlin auf erste Konsequenzen.
Unter anderem soll ein neuer Anlauf für ein NPD-Verbotsverfahren geprüft werden. Der letzte Antrag war 2003 gescheitert, weil die NPD mit Verbindungsleuten des Verfassungsschutzes durchsetzt war. Außerdem einigte man sich auf die Einrichtung eines Zentralregisters, in dem gefährliche Neonazis erfasst werden. Eine solche Datensammlung gibt es bereits über gefährliche Islamisten. Parallel soll ein gemeinsames "Abwehrzentrum Rechts" aufgebaut werden - ähnlich dem Terrorabwehrzentrum in Berlin Treptow (rbb). Das neue Zentrum wird allerdings in Meckenheim bei Bonn sitzen (Weser-Ems.Busines-on.de).
Gedenkveranstaltung und Entschädigungen
Für die Opfer der rechtsterroristischen Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) soll es eine Gedenkveranstaltung geben, die gemeinsam vom Bundespräsidenten, der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag ausgerichtet wird. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kündigte zudem an, Opfer und Hinterbliebene sollten als Zeichen der Solidarität finanzielle Entschädigungen erhalten (F.A.Z.).
Gesucht: ein Kontrolleur für die Nazi-Kontrolleure
Wer schützt uns vor dem Verfassungsschutz? Nach der Enttarnung der Zwickauer Neonazi-Zelle wollen Abgeordnete die Mordserie von einem Sonderermittler püfen lassen. Die Parlamentarier erwarten "schonungslose Berichte" der Sicherheitsbehörden, andernfalls drohe aus einer Vertrauens- eine Staatskrise zu werden (Süddeutsche.de).
Mehr Helfer
Wie zu erwarten war, hatte die NSU HelferInnen und UnterstützerInnen - wie viele, das werden die Ermittlungen ergeben. Die taz spricht von "bis zu 20". Bekannt ist schon Holger G.. Ins Visier der Ermittler geraten sind jetzt unter anderem der Vermieter der Zwickauer Wohnung, Matthias D., und ein Mann, der beim Erstellen der Bekenner-DVD geholfen haben könnte, Andre E. Bis vor Kurzem betrieb er in Zwickau den Online-Versand "Caput Mortuum" (lat. Totenkopf), sein Bruder ist führender Kader der NPD-Jugendorganisation JN in Potsdam. Laut Spiegel benutzten Zschäpe und Böhnhardt auch BahnCards, die auf Andre E. und dessen Frau lauteten. Darüber hinaus kursieren Gerüchte über mögliche Verbindungen zu weiteren Größen in der Kameradschaftsszene und sogar zu ehemaligen Mitgliedern des NPD-Bundesvorstands. Nach Informationen des "Spiegels" soll der thüringische Geheimdienst mindestens drei V-Leute im Umfeld der NSU geführt haben. Laut "Focus" wusste zudem der Militärische Abschirmdienst (MAD) kurz nach dem Verschwinden des Trios über dessen Aufenthaltsort Bescheid (Berliner Morgenpost).
LKA riet Vater, seinen Nazi-Sohn nicht zu suchen
Als Uwe Mundlos († 38) endgültig untertauchte, suchte sein Vater Siegfried auf eigene Faust nach ihm – doch LKA-Fahnder stoppten den Informatikprofessor.
Seine Nachforschungen würden die Ermittlungen gefährden, sagten die Beamten des LKA dem besorgten Vater (BILD).
Wie funktionierte der Doppel-Selbstmord - oder war es ein Doppelmord?
Anwohner in Eisenach hörten keine Schüsse, berichten aber von einer dritten Person, die vom Wohnmobil weggelaufen sei - eines der vielen Rätsel um die NSU-Morde (stern.de)
182 Todesopfer durch rechte Gewalt in Deutschland
Die Zahl der Todesopfer rechtsextremer Gewalt in Deutschland ist weit größer, als Polizei und Justiz bisher einräumen. Während die Bundesregierung auf der Grundlage offizieller Statistiken von 47 Todesopfern im Zeitraum von 1990 bis 2009 ausgeht, zählt die in Berlin ansässige Amadeu Antonio Stiftung für die Zeit von 1990 bis 2011 hingegen 182 Todesopfer. Gut: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich kündigte gegenüber dem „Spiegel“ an, nach der Neonazi-Mordserie die offiziellen Opferzahlen prüfen lassen zu wollen (Welt).
Eva Hermans Visionen: „Döner-Morde“ angeblich von europäischer Geheimorganisation und CIA koordiniert
Der rechtsgerichtete Kopp-Verlag versucht, seinen werktäglich im Internet verbreiteten „Kopp-Nachrichten“ mit der umstrittenen Ex-Nachrichtensprecherin Eva Herman (früher: Eva Hermann) den Hauch von Seriosität zu verleihen. Dass Herman sich von dieser längst verabschiedet hat, belegt ein aktueller Beitrag der Frontberichterstatterin der Kopp-Nachrichten. Unter dem Titel „Döner-Morde: Geheimbund plant Massendeportationen von Migranten“ verliest sie dort einen Text, der unter anderem fabuliert, dass ein vom CIA koordinierter Geheimbund in „fast allen von der Migrationsproblematik betroffenen europäischen Staaten“ die „Massendeportation von Migranten“ vorbereite. Dazu würden rechte Gruppen und „auch deutsche Sicherheitsbehörden“ gezielt unterwandert und infiltriert. „Beobachter gehen davon aus, dass auch die so genannten Döner-Morde von dieser europäischen Geheimorganisation koordiniert werden“, so Herman weiter (bnr.de).
NPD-Funktionär verspottet Opfer der Terrorzelle NSU und fliegt aus Partei
Auf seinem Facebook-Profil postete Rainer Biller, stellvertretender NPD-Kreisvorsitzender in Nürnberg, Bilder aus dem NSU-Video und verhöhnte die Opfer. Nun hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen. Am Donnerstag teilte der bayerische Landesverband der NPD mit, dass der Mann mit sofortiger Wirkung seiner Ämter enthoben und aus der Partei ausgeschlossen worden sei. Als Gründe wurden „seine parteischädigenden öffentlichen Äußerungen“ genannt (Endstation rechts).
Beate Zschäpe: Scheinbar nett in Zwickau, brutal in Jena
Nur sie kennt die ganze Wahrheit über die Morder der Nazi-Killer. Mehrere Zeugen zeichnen ein Charakterbild zwischen Flirten und Hassen (BILD).
Die Angehörigen: "Es ist, als wäre mein Vater ein zweites Mal ermordet worden", sagt Semiya S. (25) über den Schmerz und den Zorn, die seit den Enthüllungen über die rechtsradikalen Mörder in ihr brennen (B.Z.)
Kommentare
Nur ein Mörder-Trio?
Die Verantwortlichen haben lange abgewiegelt: Neonazis? Nicht bei uns. Jetzt reden alle vom Zwickauer Mördertrio. Doch es gibt 182 Opfer rechter Gewalt seit 1990. Kommentar von Anetta Kahane, Amadeu Antonio Stiftung, in der Frankfurter Rundschau.
Rassismus? Alltäglich, auch ohne Nazis
Ein Drittel der Bürger denkt, dass Ausländer hier nicht hergehören. Das braucht die NPD gar nicht erst zu fordern. Kommentar zu Alltagsrassismus und von Mely Kiyak in der Frankfurter Rundschau.
Für Projekte Geld gegen Extremismusklausel, für V-Männer Tausende Euro für unbrauchbare Infos
Hatice Akyün schreibt im Tagesspiegel: "Mein erster deutscher Freund gab mir einen niedlichen Kosenamen: Er nannte mich „meine kleine Döner-Tasche“. Wenn wir früher in der großen Pause über den Schulhof rannten, riefen mir meine deutschen Klassenkameraden „Kümmeltürke“ und „Knoblauchfresser“ hinterher. Die italienische Nachbarstochter nannten sie „Spaghettifresser“. Später, an der Uni, saßen wir einmal mit Kommilitonen in der Cafeteria und einer sagte: „Diese Türkentussis sind echt scharf.“ Seit einigen Tagen denke ich über diese Wörter nach. Normalerweise neige ich nicht zu Pathos. Lieber schreibe ich lustige Kolumnen über Klischees. Doch mir ist der Humor vergangen." und später bemerkt sie äußerst treffend: "Wer Bundesmittel in der Aufklärung gegen die Gefahren des Neofaschismus beantragt, muss einen Gesinnungstest über sich ergehen lassen, während V-Leute sechsstellige Beträge für ihre unbrauchbaren Infos kassieren."
Überblicksbeiträge zu Rechtsextremismus in Deutschland
Visualisierung Rechtsextremismus: So braun ist Deutschland
In den Wahlergebnissen zeigt sich der Osten als rechtsextremes Problemgebiet. Doch rassistische und neonazistische Straftaten sind bundesweit gleichmäßiger verteilt. Interaktive Karten in der taz zu NPD-WählerInnen und Todesopfern.
Nazis in Hamburg: Hamburger Morgenpost
Rechtsextreme Frauen: Süddeutsche.de
Rechtsextreme Musik: F.A.Z.
Reportage: Rechter Alltag in Görlitz
Als die Mauer fällt, sind sie fast noch Kinder. Dann wird Andreas Storr rechtsradikal, Mirko Schultze geht zu den Linken, und Manja Richter will in Ruhe ihren Traum leben. Jetzt führt der rechte Hass die drei in Görlitz zusammen (Spiegel online).
Reportage: Zeitzeuge Nummer 1
Lothar König und seine Junge Gemeinde Stadtmitte warnten bereits in den 90er Jahren vor gewalttätigen Neonazis in Jena. Bis letzte Woche wollte das keiner hören. Jetzt hat er die Hoffnung, dass sich endlich etwas ändert (taz).
Projekte warnen: Falsche Strategien gegen Rechtsextremismus
Video dapd
Und ein Plan: Was jetzt zu tun ist
"Mobile Beratungsteams und Opferberatungsprojekte beraten und begleiten Opfer rechter Gewalt, Kommunen und Zivilgesellschaft. Auch wenn wir seit Jahren vor der Gewalt von Neonazis und rassistischen Gelegenheitstätern warnen, sind wir geschockt von dem Ausmaß an Ignoranz und Verharmlosung staatlicher Stellen angesichts der rassistischen Mordserie. Wir verlangen jetzt eine Zäsur im Umgang mit der extremen Rechten (taz):
1. Eingreifen und einmischen statt wegsehen
2. Mehr Demokratie statt mehr Verfassungsschutz
3. Zivilgesellschaftliche Expertisen anerkennen und nutzen
4. Staatliche Alimentierung der Neonazis beenden, V-Leute abschaffen
5. Lückenlose Aufklärung und Konsequenzen auf allen Ebenen
6. Nebelkerze NPD-Verbot ad acta legen
7. Engagement gegen Rechts braucht Anerkennung und Unterstützung statt Diffamierung und Kriminalisierung
8. “Extremismusklausel” abschaffen
9. Langfristige Planungssicherheit für Projekte gegen Rechtsextremismus und Ausweitung der bewährten Beratungsprojekte in den alten Bundesländer
10. Rassismus endlich beim Namen nennen (http://annalist.noblogs.org)
Staatliche geförderte Projekte haben Finanzierungsprobleme
Auf heute.de berichtet Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung von unserem eigenen Finanzierungsproblem: Wenn Organisationen staatliche Fördermittel beantragen, müssen sie den gleichen Betrag selbst beisteuern. "Ohne Co-Finanzierung bekommen wir keine Fördermittel", sagt Kahane. Eine solche Co-Finanzierung hat die Amadeu Antonio Stiftung erst kürzlich für das Projekt "no-nazi.net", das Jugendliche in sozialen Netzwerken aufklärt, beantragt - vergebens. "Jetzt müssen wir das Projekt 2012 entweder halbieren oder einstellen", sagt Kahane resigniert (heute.de).
Mehrere Kundgebungen gegen Rechtsextremismus
In mehreren Städten fanden gestern Veranstaltungen im Gedenken an die Opfer der Rechtsterroristen und Demonstrationen gegen Rechtsextremismus statt. In Hamburg trafen sich etwa 800 Menschen zu einem Schweigemarsch (ndr.de) In Berlin versammelten sich etwa 2500 Menschen gegen Rechtsextremismus. Sie erinnerten an den vor 19 Jahren ermordeten Hausbesetzer Silvio Meier. Er war in einem U-Bahnhof von einem Neonazi erstochen worden. (rbb-online). Gegen einen Aufmarsch von Neonazis protestierten in Remagen etwa 200 Demonstranten. Sie feierten zunächst einen ökumenischen Gottesdienst, zu dem das "Bündnis Remagen für Frieden und Demokratie" geladen hatte. Anschließend versammelten sie sich zu einer Kundgebung vor der Friedenskirche. Am Umzug der Neonazis nahmen nach Angaben der Polizei etwa 200 Personen teil (tagesschau.de)
NPD-Veranstaltung in Bretzenheim ohne Zwischenfälle
Eine NPD-Veranstaltung am ehemaligen Kriegsgefangenenlager bei Bretzenheim in Rheinland-Pfalz ist am Sonntagmittag ohne Zwischenfälle verlaufen. Die 26 Teilnehmer seien nach einer Stunde wieder abgezogen, berichtete ein Polizeisprecher (Allgemeine Zeitung).
Internationales Symposium zur Situation von Sinti und Roma in Europa
Mit 10 bis 12 Millionen Menschen stellen Roma und Sinti zwar die größte Minderheit in Europa. Gleichzeitig treffen sie wie keine andere Gruppe auf Vorurteile, Diskriminierung und Rassismus.
Mit den historischen Ursachen, der aktuellen sozialen Situation von Sinti und Roma sowie möglichen Strategien gegen den grassierenden Antiziganismus befasste sich ein Internationales Symposium der Allianz Kulturstiftung und der Bundeszentrale für politische Bildung in Berlin, das den bewusst provokanten Titel „Was heißt denn hier Zigeuner?“ erhalten hatte (bnr.de).