14.03.2011 ... Nach den Rechten sehen

Vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt: Übergriffe von und Protest gegen Neonazis +++ Baden-Württemberg: Neonazi schießt mit Schreckschußpistole ins Gesicht, Opfer beinah erblindet +++ MV: NPD darf "Thing-Haus" nicht mehr für Veranstaltungen nutzen.

Die tägliche Presseschau von netz-gegen-nazis.de

Zwei Wahlhelfer der NPD haben in der Nacht zu Dienstag einen 32-Jährigen in Klein Ammensleben (Sachsen-Anhalt) brutal zusammengeschlagen. Das Opfer hatte beobachtet, wie die Täter Wahlplakate der NPD an einigen Lichtmasten anbrachten. Im Vorbeifahren fragte der 32-Jährige nach eigenen Angaben sinngemäß: "Was soll das hier?" Daraufhin wurde er kurze Zeit später gestoppt und von den zwei Männern massiv angegriffen. Ein Täter soll mit einer Eisenstange, der andere mit Fäusten auf den jungen Mann eingeschlagen haben. Das Opfer erlitt Verletzungen im Kopf- und Oberkörperbereich. Bevor die Täter mit einem Kleintransporter flüchteten, zerstörten sie noch das Handy des Mannes. Die Polizei konnte die Täter am nächsten Tag ausfindig machen (Volksstimme).

Aus Brettin (Sachsen-Anhalt) meldete die Polizei am Wochenende einen zweiten rechtsextremen Zwischenfall. Dabei hat ein 18-Jähriger einem 15-jährigen Mitschüler ein Hakenkreuz auf die Stirn gemalt. Das Opfer war von zwei anderen festgehalten worden. Der Schulleiter rief die Polizei. Der 18-Jährige hat die Tat gestanden (Volksstimme).

Am Sonntag wandten sich in Sachsen-Anhalt vier Jugendorganisationen gemeinsam an Jung- und Erstwähler. Jusos, Junge Union, Linksjugend und Julis erklärten: "Wir, die jungen Menschen in Sachsen-Anhalt, dürfen nicht zulassen, dass eine Partei, die rassistische, demokratie- und menschenfeindliche Werte vertritt, in den Landtag kommt."(Volksstimme).

In Dessau (Sachsen-Anhalt) stoppten am Sonnabend 300 Bürger des Bündnisses "Gelebte Demokratie" , aufgerufen von Parteien, Kirchen und Verbänden, mit einer friedlichen Sitzblockade einen NPD-Aufmarsch mit 150 Teilnehmern durch die Stadt. Zu gleicher Zeit hielt die NPD ihren Wahlkampfabschluss in Barleben ab. Die Rechtsextremen mussten dabei selbst Essen herbeischaffen. Der Wirt der ansässigen Gaststätte weigerte sich, die Parteigänger zu versorgen (Volksstimme, Mitteldeutsche Zeitung, taz).

Leonberg (Baden-Württemberg): Durch den Schuss aus einer Schreckschusspistole aus nächster Nähe ins Gesicht ist ein 17-jähriger Jugendlicher am Samstag schwer verletzt worden und hat beinahe sein Augenlicht verloren. Der 17-Jährige verließ eine Kneipe in der Leonberger Innenstadt, als er auf eine Gruppe rechtsextremer Jugendlicher traf, von denen einer ihm nach einem Streit ins Gesicht schoß. Das Opfer wurde vom Rettungsdienst in eine Augenklinik gebracht, wo Ärzte in zwei Not-Operationen das betroffene Auge retten konnten. "Seine Sehkraft wird er wohl nie wieder ganz erlangen", sagte ein Mitstreiter des Opfers (Leonberger Kreiszeitung).

In Mecklenburg-Vorpommern versucht die NPD, Emotionen der Bevölkerung gegen Sexualstraftäter für sich zu nutzen. Allerdings bisher mit mäßigem Erfolg: So kamen etwa von zu hunderten in Lübtheen verteilten NPD-Protest-Postkarten zum Thema erst drei im Rathaus an (Schweriner Volkszeitung).

Zu wenig Brandschutz: NPD darf ihr "Thing-Haus" in Grevesmühlen (Mecklenburg-Vorpommern) nicht mehr für Veranstaltungen mit größerer Besucherzahl nutzen, bis die fehlenden Fluchtwege ergänzt wurden. Am vergangenen Sonnabend war deshalb eine NPD-Faschingsfete deshalb vorzeitig beendet worden (Ostsee-Zeitung).

Als die CDU die Regierungsgeschäfte übernahm, sprach sie sich in der Integrationsdebatte noch recht fortschrittlich für den Dialog auf Augenhöhe mit Einwanderern aus. Inzwischen ist sie mit Innenminister Hans-Peter Friedrich und seiner Ansicht, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, auf einem nicht nur rhetorischen Tiefpunkt angekommen - und hat integrationspolitisch keine Linie und kein Konzept mehr, wie die ZEIT darlegt.

Im Interview mit der "Bild am Sonntag" erklärt der Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, sein Erschrecken, dass im aktuellen Integrationsdiskurs
die Juden instrumentalisiert werden sollen, "um eventuell gegen die Muslime in Stellung gebracht zu werden" und will sich nicht entsprechend benutzen lassen. Trotzdem sieht er muslimischen Antisemitismus als Problem in Deutschland und fordert die muslimischen Gemeinden auf, dies zu bearbeiten: "Der Antisemitismus in den muslimischen Communitys ist oft zu stark ausgeprägt, besonders unter männlichen Jugendlichen. Auf Sportplätzen und Schulhöfen hört man das Wort Jude viel zu oft als Schimpfwort." Graumann kritisiert auch deutsche Firmen, die mit dem Iran üppigen Handel trieben, und deutsche Richter, die etwa über Freisprüche wie im Falles des NPD-WM-Planers zu viel Verständnis für Nazis zeigten (Interview auf Bild.de, reißerische Zusammenfassung auf Spiegel online).

Baden-Württemberg: Im Wahlkreis Emmendingen tritt für die Linke eine 35-jährige Kandidatin bei der Landtagswahl an, die zuvor ein Mann und bei der NPD engagiert war (Badische Zeitung, Am Sonntag, Süddeutsche Zeitung).

Übergriffe auf Politikerbüros durch Neonazis: Die Linke in Mecklenburg-Vorpommern wundert sich, dass sie acht Übergriffe durch Rechtsextreme angezeigt hat, aber in einer Antwort der Landesregierung nur vier Übergriffe auf Büros der Linken angeführt werden (taz).

Wilhelmshaven: Vier 16-Jährige rufen Naziparolen und werfen Flaschen aus Wohnungsfenster (NWZ online).

Travemünde (Schleswig-Holstein): 100 protestieren gegen NPD-Mahnwachem it 30 Teilnehmern(Lübecker Nachrichten, Presseportal).

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat am Samstag die Ausstellung "Anwalt ohne Recht" im Gerichtszentrum Minden eröffnet. Damit wird an das Schicksal jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933 erinnert. Die in Minden geborene und aufgewachsene Politikerin rief zu mehr Zivilcourage bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus auf. "Es ist Sache der Gesellschaft, solchen Bestrebungen mit aller Stärke und Überzeugungskraft entgegenzutreten." (Mindener Tageblatt)

Stolberg: Polizisten leiten Verfahren ein wegen Blockade-Trainings vor Neonazi-Aufmärschen, die im April geplant sind (Aachener Nachrichten).

Die NPD plant für den 26. März einen Aufmarsch in Trier. Laut Veranstalter haben zahlreiche Kreisverbände der rechtsextremen Partei ihre Teilnahme zugesagt. Auch NPD-Bundeschef Udo Voigt will sprechen. Anlass für die Demonstration ist nach Darstellung der NPD der Besuch der Bundeskanzlerin am selben Tag (16vor.de).

Ungarn: Am vorletzten Sonntag hielt die rechtsradikale Parlamentspartei Jobbik in der nordostungarischen Gemeinde Gyön­gyös­pata (Komitat Heves) eine Demonstration „gegen den Zigeunerterror“ ab. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur MTI nahmen an der Kundgebung rund 1.000 Personen teil. Anlass war laut Jobbik der Tod eines Mannes in Gyön­gyöspata, der nach Angaben der rechtsextremen Partei Selbst­mord begangen habe, weil er nicht ertragen konnte, dass eine Roma-Fa­mi­lie in seine Nach­barschaft zieht (Budapester Zeitung).

Eine Wanderausstellung der weltweit bedeutenden Anne Frank-Ausstellung wurde am Donnerstagabend im überfüllten Lichthof des Ludwigsluster Rathauses von Bürgermeister Reinhard Mach eröffnet (Schweriner Volkszeitung).

Hörtipp: Vor 50 Jahren wurde dem Naziverbrecher Adolf Eichmann in Jerusalem der Prozess gemacht. Die Philosophin und Publizistin Hannah Arendt hat das Verfahren vor Ort verfolgt. Ihre Charakterisierung Eichmanns als "Banalität des Bösen" löste damals heftige Kontroversen aus. Daran erinnert auch der Audio-Essay von Wolfgang Dreßen zum Auftakt einer dreiteiligen Serie des Deutschlandradios über den Eichmann-Prozess. Auch online zu hören.

In Rußland macht die rechtsradikale Szene gegen Immigranten aus den ehemaligen sowjetischen Republiken mobil. Ein Lagebericht (mut-gegen-rechte-gewalt.de).

Neonazis und Facebook – eine rätselhafte Kombination. So vereint Facebook-Gründer Mark Zuckerberg Eigenschaften, die im “Nationalen Widerstand” eher weniger populär sind: Amerikanischer Jude, erfolgreicher Unternehmer, weltweit tätig. Dennoch sind immer mehr Neonazis bei “Jewbook”, so der Szene-Jargon, unterwegs. Dumm nur, wenn die Rechtsextremen den Überblick verlieren und Freund und Feind nicht mehr unterscheiden können – was bei der rechtsextremen Ideologie elementar wichtig ist (npd-blog.info).

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