21.02.2011 ... Nach den Rechten sehen

Dresden am 19. Februar: Gut: Wenige Nazis, viele Gegendemonstranten, schlecht: Viel Gewalt +++ Bürgerschaftswahl Hamburg: NPD unter 1 Prozent +++ NPD mobilisiert in Berlin-Lichtenberg spontan 200 Anhänger zu Mahnwache wegen brutalem U-Bahn-Übergriff.

Die tägliche Presseschau von netz-gegen-nazis.de

Am 19. Februar 2011 wollten Neonazis wie in den letzten Jahren zum "größten Neonazi-Aufmarsch Europas" nach Dresden laden. Doch die Proteste und Blockaden der vergangenen Jahre sowie die terminliche Spaltung zwischen 13. und 19. Februar haben den Rechtsextremen offenbar ihre Vorzeigeveranstaltung vermiest: Schließlich waren "nur" wenige tausend Neonazis in Dresden (Augenzeugen: 1.500, Polizei: 3.000, erwartet waren 4.000-6.000) und standen damit in keinem Verhältnis zu den 20.000 Gegendemonstranten (Polizei: 12.500, davon 3.500 "Linksextreme") die ihre potenziellen Routen füllten. Wermutstropfen: Die Polizei agierte unsicher und füllte den Freiraum mit unverhältnismäßig hartem Durchgreifen.

Unser Bericht zum 19.02.2011:
| Neonazis in Dresden 2011: Rückzug statt Umzug - aber Gewalt
| Unsere Bilderschau zu Dresden

Weitere Reportagen:

| Eiszeit für Neonazis (mut-gegen-rechte-gewalt.de, Fotoreportage)

| Dresden 2011: Trauerspiel statt Trauermarsch (Störungsmelder)

| Blockade geglückt - Dresden auch 2011 nazifrei (Endstation rechts)

| Mehr als 20.000 Gegendemonstranten verhindern größtenteils friedlich den Nazi-Marsch (DNN)

| Die Dresdener Neuesten Nachrichten haben online eine große Spezialseite zum Thema mit vielen Berichten und Fotogalerien

| BILD berichtete den versuchten und ebenfalls verhinderten Neonazi-Folgeaufmarsch in Leipzig aus Sicht der Polizei

Videos zum 19.02.2011 in Dresden:

| Neonazis greifen ein alternatives Projekt in Dresden-Löbtau an - die Polizei sieht zu
| Spiegel online hat noch einen Videobericht dazu mit Augenzeugen
| Polizei setzt bei Blockade-Auflösung Geschosse gegen Demonstranten ein
| Polizei geht mit Wasserwerfer auf laufende Gegendemonstranten los

Aktuelle News zu Dresden:

Die taz berichtet, dass viele Rechtsextreme gar nicht erst zum Veranstaltungsort kamen. Allerdings sei in Dresden-Plauen eine Gruppe von rund 800 Rechtsextremen unter Führung von Kameradschaftsaktivist Thomas "Steiner" Wulff aggressiv durch die Straßen gezogen, unter ihnen NPD-Funktionäre Udo Pastörs und Holger Apfel. Die Polizei habe sie nur mit Mühe unter Kontrolle bekommen - und dann zumindest bis zum S-Bahnhof "marschieren" lassen.

Polizeibilanz aus Dresden: Insgesamt 78 Festnahmen und mehr als 60 Strafbefehle - bei den Festgenommenen handelt es sich bisher 23 an Menschen aus dem rechtsextremen, 40 an Menschen aus dem linksextremen Spektrum. Die Zahlen müssen allerdings vorläufig sein. So hatte die Polizei zuvor gemeldet, allein in Dresden-Plauen 24 Neonazis festgenommen zu haben. Zudem werden sich etwa 200 Gegendemonstranten auf der Kreuzung Fritz-Löffler-Straße / Reichenbachstraße wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz verantworten müssen. (DNN)

Die Polizei will einen Angriff von Rechtsextremisten auf ein alternatives Wohnprojekt im Dresdner Stadtteil Löbtau aufklären. Am Rande der Neonazi-Aufmärsche hatten am Samstag Dutzende Rechtsextreme das Gebäude mit Steinen beschossen. Im Internet wurden Videos dazu veröffentlicht. Darauf sind auch zwei Polizeiwagen zu sehen, die in Sichtweite warten und nicht unmittelbar eingreifen. Polizeichef Dieter Hanitsch kündigte am Sonntag eine Prüfung an (Bild.de).

Die taz kommentiert: Dass die Polizei in der Zivilgesellschaft Schuldige sucht, weil sie selbst das Demonstrationsrecht der Nazis nicht durchsetzen konnte, ist ein Skandal.

Der Kommentator der Sächsischen Zeitung fragt sich: Muss eine Gesellschaft solche Auseinandersetzungen wie in Dresden aushalten? Und findet: Ja, das muss sie. Die Demonstrationsfreiheit ist für eine demokratische Gesellschaft elementar.

Linke-Parteichef Klaus Ernst hat sich für ein grundsätzliches Verbot von Neonazi-Aufmärschen ausgesprochen. Es sei "ein unerträglicher Zustand, dass Rechtsstaatsfeinde den Rechtsstaat nutzen, um gegen Demokraten vorzugehen", sagte Ernst am Samstag der Nachrichtenagentur dapd (Boulevard Baden). Auch Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) will über das Versammlungsrecht diskutieren (dnews).

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann hat sich erneut für ein Verbot der rechtsextremen NPD und aller Neonazi-Organisationen ausgesprochen. Die Verbotsmöglichkeit im Grundgesetz sei dafür da, angewandt zu werden, sagte der SPD-Politiker am Samstag bei einer Sitzung der Gewerkschaft ver.di im Vorfeld des Neonazi-Aufmarschs in Dresden (t-online Nachrichten).

Die stellvertretende Bundesvorsitzende der Links-Partei, Katja Kipping, hat im nachhinein Kritik an der Verwaltungsgerichtsentscheidung zur Zulassung der Neonazi-Aufmärsche in Dresden geübt. Dresden habe allen Grund gehabt, den tausenden friedlichen Blockieren Respekt zu zollen, so Kipping. "Das Verwaltungsgericht hätte die Naziaufmärsche niemals genehmigen dürfen". "Zehntausende", so die Linken-Politikerin, "wurden an der Ausübung ihres Demonstrationsrechts gehindert." Das Recht auf friedliche Blockaden gegen Rechtsextreme müsste den Bürgern zudem eingeräumt werden (Berliner Umschau)

Innenstaatssekretär Wilhelm forderte eine Fortschreibung des "Wunsiedel"-Urteils. 2009 hatte das Bundesverfassungsgericht Aufmärsche von Neonazis am Geburtstag von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß verboten. Eine Einschränkung des Demonstrationsrechtes lehnte er aber ab (Märkische Allgemein).

Der Jenaer Oberbürgermeister Albrecht Schröter, der selbst bei den Protesten dabei war, schildert die Polizei als überfordert und empört sich über die Kriminalisierung de Protestes (Jenapolis).

Weitere News:

Der NPD in Nordrhein-Westfalen drohen Verfahren wegen der Verbreitung elektronischer Raubkopien des Bestsellers „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin. Aus E-Mails der rechtsextremen Partei gehe hervor, dass Mitglieder für die Verbreitung Parteistrukturen nutzten (Welt).

Berlin-Lichtenberg: Die NPD hat am Freitag nach der brutalen Attacke von vier Jugendlichen aus Einwandererfamilien auf zwei 30-Jährige am U-Bahnhof Lichtenberg eine Mahnwache abgehalten, zu der sie rund 200 Menschen mobilisieren konnte. Am Rande einer Protestkundgebung gegen die NPD-Mahnwache ist eine Bezirksverordnete der Linken angegriffen worden. Ein Angreifer aus der rechtsextremen Szene schlug der 59-Jährigen mit der flachen Hand auf den Hinterkopf, als diese auf einem S-Bahnsteig an Passanten Flyer des Lichtenberger Bündnisses für Toleranz und Demokratie verteilte (Berliner Morgenpost).

Hamburg: NPD bei Bürgerschaftswahl bei unter 1 Prozent - dann gibt es keine Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung(Endstation rechts).

Sachsen-Anhalt: Einer Emnid-Umfrage für FOCUS zufolge käme die NPD bei der kommenden Landtagswahl nach den aktuellen Umfrageergebissen auf fünf Prozent. Unter den 18- bis 24-Jährigen beträgt der Anteil potentieller Rechtsaußen-Wähler der 21 Prozent.

Rund 1500 Menschen sind am Samstagabend in Landshut gegen Rechts auf die Straße gegangen, initiiert vom "Runden Tisch gegen Rechts Straubing". Hintergrund der Lichterkette war Medienberichten zufolge, dass der Rechtsextreme Martin Wiese im Herbst nach Landshut gezogen war. (tz).

Die Jüdische Gemeinde im niedersächsischen Hameln hat wieder eine eigene Synagoge. Nach neun Monaten Bauzeit wurde das neue Gebetshaus am Sonntag feierlich eingeweiht. Es handele sich deutschlandweit um den ersten Synagogenneubau einer liberalen Gemeinde seit dem Holocaust, sagte die Gemeindevorsitzende Rachel Dohme (Boulevard Baden).

Nach den Tumulten im Nürnberger U-Bahn-Schläger-Prozess soll gegen den angeklagten 24 Jahre alten Neonazi nun in einem kleineren Gerichtssaal verhandelt werden. um Auftakt des U-Bahn-Schläger-Prozesses war es am Donnerstag zu Tumulten gekommen. Zwei Zuhörerbänke waren aus ihrer Verankerung gerissen, eine Tür beschädigt worden. Die dem linken Spektrum zugerechneten Zuhörer hatten dagegen protestiert, dass der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer Plätze für zu spät aus der Mittagspause kommende Vertreter der rechten Szene freihalten wollte. Das Gericht ließ den Saal räumen (frankenfernsehen.tv, Kanal 8).

drucken