Ist die Messerattacke auf den Passauer Polizeichef eine "völlig neue Dimension der Gewalt", wie der bayerische Innenminister Joachim Herrmann und viele Politiker meinen? Ja und nein.
Von Toralf Staud
Nein, weil das Gewaltniveau unter Rechtsextremisten seit Längerem steigt und Polizisten längst zu den üblichen Feindbildern zählen. Ja, weil sich bisher – bei allem Hass auf den Staat Bundesrepublik – kaum ein Neonazi traute, diesen direkt anzugreifen.
Experten warnen seit Monaten vor der steigenden Brutalität der Szene. Allein im ersten Halbjahr 2008 zählten Sicherheitsbehörden 15 rechtsextreme Brandanschläge, beispielsweise auf ausländische Imbisse (Opferberater nennen regelmäßig noch höhere Zahlen) – gegenüber 2007 war das eine Verfünffachung. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, gab es in diesem Jahr bereits vier Tötungsdelikte mit rechtem Hintergrund.
Auch gezielte Angriffe wie jetzt in Passau haben Rechtsextreme schon öfter begangen. Sie haben alternative Jugendliche oder Punks in ihren Privatwohnungen überfallen, Gewerkschafter oder Journalisten bedroht. Und bereits lange vor Alois Mannichl wurden Polizeibeamte Opfer von Rechtsextremisten: Vor über zehn Jahren erschoss der Neonazi Kay Diesner einen Polizisten, erst im November wurde im mecklenburgischen Teltow ein Streifenwagen attackiert.
Am 1. Mai griffen Teilnehmer einer Neonazi-Demo in Hamburg gezielt Journalisten und Polizisten an. Neu ist lediglich die Kombination der Tatmomente – und die Passauer Attacke auf einen Repräsentanten des Staates wird dazu führen, dass der Staat das Problem ernster nimmt.
Die NPD distanziert sich regelmäßig – am Wochenende stellte der Passauer Kreisverband schnell eine Verurteilung der "feigen Tat" auf seine Internetseite. Doch die Partei schwankt: Einerseits fühlt sie sich in ihrem autoritären Geist der Polizei durchaus verbunden. Parteichef Udo Voigt war selbst jahrelang Bundeswehroffizier. Ein Ruf nach "Law and Order" ist wichtiger Teil des NPD-Programms. Bei Demonstrationen appellieren Parteikader schon mal ans Fußvolk, doch bitte keine Polizisten anzugreifen, weil die ja nur ihre Pflicht täten und momentan den "falschen Herren" dienten. Überhaupt solle man sich durch offen militantes Auftreten nicht zum "Bürgerschreck" machen. Vor Jahren wurde in der Partei gar eine offene Gewaltdebatte geführt – mit dem Ergebnis, dass Terror hierzulande wenig bringen würde.
Andererseits spuckt die NPD Gift und Galle. Mannichl "hat sein Amt wiederholt missbraucht und mithilfe seines Polizeiapparats die nationale Opposition verfolgt", hieß es in einer Erklärung von NPD-Chef Voigt nach der Tat. "Mit seinen Mitteln war er nie zimperlich[…]. Unverhältnismäßige Polizeimaßnahmen waren in Passau an der Tagesordnung. Herr Mannichl hat ständig das politische Klima in seinem Einzugsbereich verschärft und die Eskalation angeheizt." Die Messerattacke wird so zu einem verständlichen Akt der Notwehr umgedeutet. Noch offener kommentiert ein populäres Neonazi-Webportal: "Ein Hund, der immer wieder geschlagen und getreten wird, beißt schließlich auch irgendwann mal zurück."
Wie bei anderen rechtsextremen Straftaten liefert die NPD die theoretische Begründung für die Schläger, mit denen sie offiziell nichts zu tun haben will. Auch wegen dieser Doppelstrategie steht Voigt derzeit innerparteilich unter Druck – der besonders radikale Flügel der NPD und die relativ neue Strömung der "Autonomen Nationalisten" werfen ihm mangelnde Tapferkeit vor. Etliche Neonazi-Kameradschaften verweigern der Partei inzwischen die Gefolgschaft. Bei ihnen hat sich ein regelrechter Hass auf "das System" aufgestaut. Aus diesem – allenfalls – lose organisierten Spektrum dürfte auch der Täter von Passau stammen.