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Monatsüberblick Februar 2017: Antisemitismus

Antisemitischer Sprengstoffanschlag 2000 in Düsseldorf: Rechtsextremer Waffennarr verhaftet +++ Mehr als 230 jüdische Einrichtungen in NSU-Adresslisten +++ Ziel des Hasses in Berlin: Mehr antisemitische Vorfälle im Jahr 2016 +++ Welle der Gewalt gegen jüdische Einrichtungen +++ Antisemitismus wächst in Europa und den USA +++ Holocaust-Leugner treffen sich in Dresden +++ Rechtsextreme überkleben Stolpersteine in Dresden +++ Schulbuchverlag druckte antisemitische Grafik +++ Jamlitz-Lieberose: Nach Schändung wird Gedenkstätte erweitert +++ YouTuber "PewDiePie" verliert nach antisemitischen "Witzen" Sponsoren +++ Wieso sind Verschwörungstheorien meist antisemitisch? +++ Hat der Deutsch-Rap ein Antisemitismusproblem? +++ Die Rolle des Antisemitismus in der Theologie +++ Nach Gastprofessur Farid Esacks: Beirat der Universität Hamburg fürchtet um ihren Ruf +++ Antisemitismus-Vorwürfe gegen Deutsche Presse-Agentur +++ "Hitlers "Mein Kampf" hat in der Schule nichts zu suchen" +++ Sicherheitskonferenz: Juden in Europa fordern mehr Schutz +++

 

Zusammengestellt von Simon Raulf

 

Antisemitischer Sprengstoffanschlag 2000 in Düsseldorf: Rechtsextremer Waffennarr verhaftet

Mehr als 16 Jahre nach dem Rohrbombenanschlag an der Düsseldorfer S-Bahn-Station Wehrhahn hat die Polizei den mutmaßlichen Täter gefasst. Ein Spezialeinsatzkommando nahm den 50-jährigen Ralf S. am frühen Mittwochmorgen fest. S. gilt als Waffennarr und war zu Zeiten des Anschlags im Sommer 2000 im Düsseldorfer Stadtteil Flingern als Neonazi bekannt. Er sitzt inzwischen in Untersuchungshaft. (Spiegel)

Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, verwies auf die Bedeutung des Anschlags für die jüdische Gemeinschaft: „Die Festnahme des mutmaßlichen Täters zeigt, dass solche Fälle nicht nach einer gewissen Zeit ad acta gelegt werden dürfen. In Düsseldorf und darüber hinaus in der ganzen jüdischen Gemeinschaft hatte das Rohrbombenattentat für tiefe Verunsicherung gesorgt. Gerade für die damaligen Opfer ist es wichtig, dass der Täter gefasst ist.“ (Jüdische Allgemeine)
 

Mehr als 230 jüdische Einrichtungen in NSU-Adresslisten

Synagogen, Gemeindezentren, Kulturvereine, Schulen - der NSU sammelte offenbar die Adressen von mehr als 230 jüdischen Einrichtungen in ganz Deutschland. Dies legt eine Auflistung des BKA nahe, die im Münchner NSU-Prozess Thema war. Ermittler des Bundeskriminalamts (BKA) sind in den Hinterlassenschaften NSU auf die Adressen gestoßen. Das geht aus einem Vermerk des BKA hervor, der im Münchner NSU-Prozess verlesen wurde. (Tagesschau)

 

Ziel des Hasses in Berlin: Mehr antisemitische Vorfälle im Jahr 2016

Die Berliner Dokumentationsstelle RIAS verzeichnete 470 antisemitische Vorfälle 2016. Das ist ein deutlicher Anstieg – auch weil mehr gemeldet wird. Das sind 65 mehr als noch im Vorjahr, ein Anstieg von 16 Prozent. Die Berliner Polizei hatte Anfang Februar in einer vorläufigen Statistik von 173 antisemitischen Straftaten in der Hauptstadt im Vorjahr gesprochen. Doch in der Zählung der Behörde taucht nur auf, was strafrechtlich relevant ist – die alltäglichen Pöbeleien und Beleidigungen fallen da jedoch oft durchs Raster. (morgenpost)

 

USA: Welle der Gewalt gegen jüdische Einrichtungen

In den USA ist es vergangenen Monat zu einer Welle der Gewalt gegen jüdische Einrichtungen gekommen. In Philadelphia schändeten Unbekannte Hunderte Gräber. Mehrere jüdische Gemeindezentren und Tagesschulen mussten ihre Räume wegen Bombendrohungen evakuieren und durchsuchen lassen. Präsident Donald Trump verurteilte die Bedrohungen und jede Art von Antisemitismus scharf. (Spiegel)

 

Antisemitismus wächst in Europa und den USA

Die Anzahl antisemitischer Vorfälle und Angriffe steigt. Im vergangenen Jahr kam es alleine in Deutschland zu 1300 antisemitischen Straftaten. Die Vorfälle häufen sich aber nicht nur in hier. Auch in Frankreich, Großbritannien und den USA wird ein Anstieg der Anfeindungen und Angriffe gemeldet. Es wird befürchtet, dass die Dunkelziffer noch deutlich höher liegt. (Süddeutsche)

 

Holocaust-Leugner treffen sich in Dresden

Den Jahrestag zur Bombardierung Dresdens 1945 nehmen Neonazis jedes Jahr zum Anlass  für Demonstrationen, um einen deutschen Opfermythos zu etablieren. Eine der vielen Kundgebungen wurde vom verurteilten Holocaust-Leugner Gerhard Ittner organisiert, zu der immerhin 150 Menschen kamen. Unter den Zuhörern befanden sich bekannte Holocaust-Leugner_innen, wie Bernhard Schaub aus der Schweiz und Sylvia Berg. (Jungle World)

 

Rechtsextreme überkleben Stolpersteine in Dresden

Rechtsextreme Aktivist_innen haben in Dresden Stolpersteine überklebt – mit Namen deutscher Bürgerinnen und Bürger, die beim Luftangriff auf Dresden 1945 ums Leben kamen. Die Stolpersteine findet man vor Gebäuden, in denen Juden und Jüdinnen vor ihrer Deportation und Ermordung gelebt haben. Durch solche Aktionen wird versucht einen Opfermythos in Dresden zu erschaffen, der in diesem Fall auf Kosten der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus ausgetragen wird. (Abendzeitung)

 

Schulbuchverlag druckte antisemitische Grafik

Seit 2012 wird das Politik-Schulbuch in der Oberstufe eingesetzt. Doch erst jetzt fiel auf, dass es eine antisemitische Grafik enthält. Ihr Urheber ist der US-amerikanische Künstler David Dees, der auf seiner Homepage noch mehr antisemitische Darstellungen veröffentlicht hat. Darauf weist der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck hin, der über Facebook auf die Grafik aufmerksam wurde. Der Klett-Verlag reagierte schnell. (Tagesspiegel)

 

Jamlitz-Lieberose: Nach Schändung wird Gedenkstätte nun erweitert

Als Reaktion auf zwei rechtsextreme Anschläge im vergangenen Jahr auf den Gedenkort für die Opfer des Arbeitslagers Lieberose wird dieser nun erweitert. Aus Auschwitz wurden jüdische Häftlinge in das Außenlager des KZ Sachsenhausen gebracht, um dort ab 1943 Zwangsarbeit beim Aufbau des NS-Truppenübungsplatzes „Kurmark“ in Brandenburg zu leisten. Im Mai 2016 wurde die Eingangstafel mit einem Sprengsatz demoliert, Tage zuvor hatten Unbekannte Informationsschilder geschändet. Nun werden neue Informationstafeln aufgestellt und die ehemaligen Standorte der Barracken sichtbar gemacht. (Jüdische Allgemeine)

 

YouTuber "PewDiePie" verliert nach antisemitischen "Witzen" Sponsoren

Der erfolgreichste YouTuber "PewDiePie", mit echtem Namen Felix Kjellberg, macht Schlagzahlen, nachdem er Videos mit antisemitischen Inhalten und Nazi-Anspielungen veröffentlicht hat. In seinen Videos sieht er sich in Uniform Hitler-Reden an und es werden wiederholt Hakenkreuze gezeigt. Zudem soll er auf der Online-Plattform "Fiverr" zwei Männer dafür bezahlt haben, ein Plakat mit dem Schriftzug "Death to all Jews" hochzuhalten. Als Reaktion auf seine Ausfälle haben sich mehrere Sponsoren, darunter "Disney" von ihm distanziert und ihre Verträge gekündigt. PewDiePie entschuldigte sich daraufhin über die Plattform Tumblr, drehte danach aber ein Video, indem er sich als Opfer einer Hetzkampagne der Medien darstellt. (Faz)

 

Wieso sind Verschwörungstheorien meist antisemitisch?

Viele Verschwörungstheorien sind antidemokratisch und antijüdisch, sie gehen von einem wahren Volkswillen aus und bösen Mächten, die ihn unterdrücken. Hinter allem lauern finstere Kräfte, am Ende immer eine jüdische Weltverschwörung. Sie richten sich gegen Minderheiten, diese Theorien, sie brauchen Sündenböcke, sie sind oft uralt wie das Lügenbild von den Juden als Verschwörern. „In dieser Welt gibt es keine Ursachenbeseitigung, es gibt nur Schuldige“, sagt Jan Rathje von der Amadeu-Antonio-Stiftung. (berliner-zeitung)

 

Haben Teile des Deutsch-Raps ein Antisemitismusproblem?

Viele Rapper nutzen überspitzte Klischees  in ihren Songs, um eine düstere Stimmung voller Verschwörungen und Intrigen zu erzeugen. Ob die Stereotype übertrieben sind oder sogar auf antisemitische Vorurteile zurückgreifen, ist Anlass der Debatte, die derzeit über Antisemitismus im deutschen Rap geführt wird. Auch das Thema Nahost-Konflikt ist ein immer wiederkehrender Inhalt der deutschen Rap-Szene.  Anlass der Diskussion ist die Ausladung des Rappers "Kollegah" vom Hessentag im Juni vergangenen Jahres nach einer Beschwerde des Zentralrats der Juden und weiterer jüdischer Verbände. (Spiegelnetz-gegen-nazis.de)

 

Die Rolle des Antisemitismus in der Theologie

Bei einer Tagung in der Evangelischen Akademie in Berlin trafen sich Theolog_innen, Soziolog_innen und Historiker_innen um die Rolle des Antisemitismus in der Theologie zu diskutieren. Zwar habe sich die Art des Antisemitismus vom religiösen zu einem säkularen gewandelt, jedoch stammen dessen Spuren und Argumentationslinien aus einer 2.000-jährigen Geschichte antijüdischer Vorurteile in Europa. Die Antisemitismusforschung müsste sich theologischen Fragen öffnen. Und umgekehrt müsste sich die Theologie der Antisemitismusforschung öffnen. So ein Fazit der Tagung. Denn der säkulare Antisemitismus speise sich durchaus auch aus religiösen Wurzeln. (Deutschlandfunk)

 

Nach Gastprofessur Farid Esacks: Beirat der Universität Hamburg fürchtet um ihren Ruf

Nach der umstrittenen Berufung Farid Esacks als Gastprofessor an der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg fürchtet man jetzt um seinen Ruf. Der Beirat der Universität distanzierte sich von der Ernennung, da man Esacks außeruniversitären Aktivitäten kritisch sehe: „Völlig inakzeptabel ist es aus Sicht des Beirats, wenn zu einem umfassenden Boykott Israels aufgerufen wird und damit auch für den Abbruch jeder Zusammenarbeit mit israelischen Universitäten, Kultureinrichtungen und sonstigen Institutionen votiert wird.“ Esack ist Vorsitzender der antiisraelischen BDS-Kampagne, die sich für den Boykott israelischer Waren einsetzt. (Welt)

 

Antisemitismus-Vorwürfe gegen Deutsche Presse-Agentur

Anlässlich der USA-Reise des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu berichteten Korrespondenten der Deutschen Presse-Agentur, dass Donald Trump von "einflussreichen jüdischen Parteispendern auf den Thron gehoben" worden sei. Auch nach einer überarbeiteten Fassung hält die Kritik an dem Text an. (Deutschlandfunk)

 

"Hitlers "Mein Kampf" hat in der Schule nichts zu suchen"

Journalist Mike Samuel Delberg spricht sich gegen die Verwendung von Adolf Hitlers "Mein Kampf" in der Schule aus. Zum einen fragt er sich nach dem Nutzen, den das gemeinsame Lesen und Bearbeiten in der Schule hätte, da die Ideologie des Nationalsozialismus im Geschichtsunterricht auch ohne die Lektüre des Originals vermittelt werden könne. Zum anderen glaubt er, dass sich Jugendliche nicht wirklich für den Text interessieren. (noizz)

 

Sicherheitskonferenz: Juden in Europa fordern mehr Schutz

Juden und Jüdinnen in Europa fühlen sich zunehmend bedroht. Die Gründe dafür sind der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien, der mancherorts aufkeimende Antisemitismus, aber auch Anschläge wie auf einen koscheren Supermarkt in Paris, zwei Tage nach dem Attentat auf das Satiremagazin Charlie Hebdo im Januar 2015. Die gewachsene Gefahr belegten die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion während der Münchner Sicherheitskonferenz am Sonntag mit vielen Beispielen. (Frankfurter Rundschau)

 

Götz Alys neues Buch „Europa gegen die Juden“

Der Historiker Götz Aly skizziert in seiner neuen Studie „Europa gegen die Juden“ ein facettenreiches Panoramabild des Antisemitismus in Europa von 1880 bis 1945. Die Idee, Antisemitismus als europäisches Phänomen von Athen bis Budapest, von Paris bis Berlin zu deuten, ohne den Holocaust direkt in den Mittelpunkt zu rücken, ist originell. Darin nach heimlichen Entschuldungswünschen zu fahnden, ist keinen Gedanken wert, gerade bei einem Historiker, ohne den die hiesige Holocaustforschung um einiges ärmer wäre. Aly versteht es, Quellen und wechselnde Schauplätze geschickt, manchmal suggestiv in kühnen Bögen zu montieren. „Europa gegen die Juden“ changiert zwischen historischem Essay und faktenreicher Studie. Was stört, verdrießt, irritiert, ist, wie stark der Autor das Material formatiert und alles überblendet, was die zentrale These verkleinern und einschränken würde. (taz)

 

Urteil nach Hetze gegen KZ-Überlebende Esther Bejarano

 

In Fulda ist ein Mann wegen Verleumdung der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano in einem Facebook-Post zu 60 Tagessätzen à 30 Euro verurteilt worden. "So infam bin ich bisher noch nicht beleidigt worden", hatte Bejarano NDR.de gesagt, als sie die Anzeige gegen den Facebook-Hetzer im August 2015 aufgab. Der Mann beleidige sie nicht nur persönlich, sondern verunglimpfe "all diejenigen, die in Auschwitz gewesen sind". Es sei eine Schande, dass jemand bei Facebook so etwas einfach schreiben dürfe. (NDR)

 

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