Von den Nazis verfolgt, von Ultras geehrt: Richard "Little" Dombi
Commando Cannstatt

Ultras mit Geschichtsbewusstsein

Der Erinnerungstag im Fußball zeigte erneut: Oft sind es Ultragruppen, die in ihren Vereinen die Aufarbeitung der Nazivergangenheit einfordern, anschieben oder gleich selbst übernehmen.

Von André Anchuelo

Fußball und Nationalsozialismus – das war lange ein Thema, das vor allem unter dem Gesichtspunkt der Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung jüdischer Sportlerinnen und Sportler betrachtet wurde. Und selbst unter diesem Gesichtspunkt hat es lange gedauert, bis etwa der Deutsche Fußball-Bund (DFB) sich seiner Geschichte unterm Hakenkreuz gestellt hat.

Dass es heute oft die Ultragruppen sind, die in ihren Vereinen die Aufarbeitung der Nazivergangenheit einfordern, anschieben oder gleich selbst übernehmen, verwundert viele. Schließlich fällt den meisten Menschen zu Ultras vor allem ein: "Das sind doch diese randalierenden zündelnden Schreihälse", wie Christoph Ruf in einer wunderbaren Glosse im Neuen Deutschland schreibt.

Fans in Nürnberg drangen auf Aufarbeitung der braunen Vergangenheit

Rufs Redakteur habe "irgendwo gelesen, dass es in Nürnberg Fans, ja sogar: Ultras, waren, die darauf drangen, dass der Leib- und Magenverein sich doch einmal um seine braune Vergangenheit kümmere. Der Mann ist völlig geplättet. Die Nachricht las sich für ihn so, als habe die katholische Bischofskonferenz gefordert, das Thema Sexueller Missbrauch müsse nun endlich ernsthaft aufgeklärt werden."

Natürlich gilt das nicht für alle Ultragruppen, und es ändert nichts an kritikablen Aspekten der Ultrakultur, die es auch gibt. Dennoch ist bemerkenswert, wie am vergangenen Spieltag der Fußball-Bundesliga zum Erinnerungstag im deutschen Fußball 2013 an vielen Orten Ultras erneut ihr Geschichtsbewusstsein zeigten, nicht nur in Nürnberg.

So veranstalteten Fans des FC Bayern München beim Auswärtsspiel in Stuttgart eine große Choreographie zu Ehren des Trainers der FCB-Meistermannschaft von 1932, Richard "Little" Dombi, der kurz nach dem Triumph wegen seiner jüdischen Herkunft vor den Nazis fliehen musste.

"Wir können uns von der Verantwortung nicht lossagen"

Das Münchner "Südkurvenbladdl" schrieb dazu: "Bei uns in München sind mittlerweile Namen wie Kurt Landauer, Richard 'Little' Dombi, Otto Beer oder Oskar 'Ossi' Rohr präsent. Die Erinnerung an einzelne Schicksale soll aber nicht den Blick auf die Millionen Opfer und die Einmaligkeit dieser Katastrophe verstellen. Der Fußball als gesellschaftliche Institution trägt Verantwortung. Der Fußball, WIR, können uns von dieser Verantwortung nicht lossagen."

 

Aber nicht nur Ultragruppen werden sich immer mehr der NS-Geschichte bewusst. Ronny Blaschke berichtete anlässlich des Gedenktages in einem empfehlenswerten Feature für Deutschlandradio Kultur: "Über Jahrzehnte passte Sport als Thema nicht in die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vernichtungsindustrie. Doch immer mehr Wissenschaftler weisen nach: In den Konzentrationslagern wurde fast überall Sport getrieben, ob Fußball, Boxen oder Turnen." Dabei sei es aber, wenig überraschend, vor allem um Bestrafungen und Erniedrigungen für die Häftlinge oder Propaganda für das Regime gegangen.

Astrid Rawohl sprach für den Deutschlandfunk mit Professor Lorenz Peiffer von der Universität Hannover und Professor Diethelm Blecking von der Universität Freiburg. Die beiden sind Sportwissenschaftler und Historiker, die mit zahlreichen Publikationen und Forschungsprojekten zum weitgefassten Thema Juden und Sport Licht ins Dunkel der Vorgänge nicht nur zwischen 1933 und 1945 bringen.

Sport und Politik lassen sich nicht trennen

Jim G. Tobias hat mit anderen Historikern die Bedeutung des Sports in Displaced-Persons-Camps erforscht: Auf dem Fußballplatz konnten jüdische KZ-Überlebende wenigstens ansatzweise die Grauen der Shoa vergessen.

All diese Beispiele zeigen: Sport und Politik lassen sich nicht trennen. Und das ist auch gut so.

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