Der deutsche Fußball erinnert an die Opfer des Nationalsozialismus

Vertrieben, ermordet, vergessen: Das gilt für eine ganze Reihe deutscher Fußballspieler, -funktionäre und –journalisten, die wegen ihrer jüdischen Abstammung von den Nazis ab 1933 ins Exil gezwungen oder ermordet wurden. Viele waren nach 1945 in Vergessenheit geraten. Auch deshalb erinnert der deutsche Fußball, von der Bundesliga bis hin zu Amateurklubs, rund um den 27. Januar an Menschen wie Julius Hirsch, Gottfried Fuchs, Kurt Landauer und Walther Bensemann.

Von André Anchuelo

"Ursprünglich kam die Idee zu einem Erinnerungstag im Fußball aus Italien", erzählt Klaus Schultz im Gespräch mit Fußball-gegen-Nazis. Der 56-Jährige ist Diakon der Evangelischen Versöhnungskirche Dachau, die sich auf dem Gelände der dortigen KZ-Gedenkstätte befindet. "Wir stellten die Idee bei einem Gottesdienst vor", berichtet Schultz. Schnell sei der Wunsch entstanden, etwas Ähnliches in Deutschland zu machen. Die Gottesdienstbesucher baten in einem Brief die Verantwortlichen der Deutschen Fußball-Liga (DFL) und des Deutsche Fußballbunds (DFB), diese Initiative auch im deutschen Fußball aufzunehmen.

Das war im Jahr 2004. Inzwischen findet unter dem Motto "Nie wieder!" bereits zum neunten Mal der "Erinnerungstag im deutschen Fußball" statt. Es ist eine dezentrale Aktion, jeder Verein, jede Faninitiative kann über die Teilnahme und die Art der Veranstaltung selber entscheiden.

In vielen Stadien wird aber vor Anpfiff ein mit DFB und DFL abgestimmter Text verlesen. Darin heißt es: "Am 27. Januar 1945 wurden die geschundenen Häftlinge des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau befreit. Dieser Befreiungstag fordert auf, in Anteilnahme und Respekt derer zu gedenken, die aufgrund ihres Glaubens, ihrer Herkunft und ihrer Überzeugung vom nationalsozialistischen Terrorregime in den Todeslagern und an anderen Orten ermordet wurden. Unter ihnen waren viele aus der Fußballfamilie."

Aus der Geschichte lernen

So etwas dürfe nie wieder geschehen. "Aus dieser Geschichte lernen, heißt heute: Im Stadion und im Alltag entschieden gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Widerstand zu leisten." Die erschreckenden und empörenden Übergriffe der Neonazis in den vergangenen Jahren zeigten, wie notwendig und geboten das sei.

Natürlich sei das vor allem symbolische Politik, räumt Klaus Schultz ein. "Trotzdem nehmen es die Menschen wahr und lesen den Aufruf." Das stärke vor allem die Gruppen, die sich dauerhaft gegen Rechtsextremismus und Rassismus engagieren. "Ganz stark" sei zum Beispiel, was die "Löwenfans gegen Rechts" in diesem Sinne leisteten. Die Initiative war 2005 genauso wie der jüdische Sportverein TSV Maccabi München mitbeteiligt am Start von "Nie wieder!".

"Kick it like Kurt"

Auch beim Erzrivalen des TSV 1860 München, dem FC Bayern, wird an diesem Tag viel getan: Neben Sonderführungen zum Thema "Der FC Bayern und der Nationalsozialismus" liest der Autor Dietrich Schulze-Marmeling aus seinem "Der FC Bayern und seine Juden". Außerdem wird der Film "Kick it like Kurt" gezeigt. Dieser vom Kreisjugendring München in Kooperation mit dem NS-Dokumentationszentrum Dachau entwickelte Dokumentarstreifen über den ehemaligen jüdischen Bayern-Präsidenten Kurt Landauer wurde 2011 mit dem Münchner Bürgerpreis gegen Vergessen und für Demokratie ausgezeichnet. Angesichts des guten Programms ist auch zu verschmerzen, dass die Veranstaltungen in der "Erlebniswelt" stattfinden – ein Begriff, der im Zusammenhang mit der Nazigeschichte deplatziert wirkt.

Auch beim Deutschen Meister Borussia Dortmund gibt es ein Programm. So würdigt das BORUSSEUM, das Vereinsmuseum des BVB, den Gedenktag zum dritten Mal durch eine Veranstaltung. Im Mittelpunkt steht diesmal Franz Hippler, der am 19.2.1945 von der Gestapo festgenommen und später ermordet wurde. Hippler war damals Vorsitzender der Handballabteilung des Vereins und im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Der FC Schalke 04 will mit einer Gedenktafel an ehemalige jüdische Mitglieder und Förderer des Vereins erinnern. Sie zeigt die Namen neun ehemaliger Vereinsfreunde, die während des Zweiten Weltkriegs ermordet worden sind.

Gedenken auch in Nürnberg und Hamburg

Der 1. FC Nürnberg gedenkt Jenö Konrad. Der einstige ungarischer Nationalspieler war im August 1930 nach Nürnberg gekommen, um die in die Jahre gekommene Meistermannschaft des 1. FCN zu verjüngen. Im August 1932 machte das antisemitische Hetzblatt Der Stürmer negative Stimmung gegen den jüdischen Trainer: "Der 1. FCN geht am Juden zugrunde." Jenö Konrad erkannte die Zeichen der Zeit, dass man als Jude in Deutschland nicht mehr in Sicherheit war, und verließ noch in der Nacht vom 5. auf den 6. August 1932 mit seiner Frau Grete und seiner dreijährigen Tochter Evelyn die Stadt Nürnberg in Richtung Wien – zum starken Bedauern der Vereinsführung.

In Hamburg startet am Samstag, 26.1., von der Annenstraße/Ecke Clemens-Schulz-Str. (in der Nähe des Millerntor-Stadion des FC St. Pauli) ein Schweigemarsch. Er führt zur Gedenktafel auf dem Südkurvenplatz. Dort wird ein Kranz niedergelegt und Publikative.org-Redakteur Patrick Gensing hält eine Rede. In Mönchengladbach veranstaltet das Jugendzentrum "De Kull" am 25. Januar, um 16 Uhr in Kooperation mit der Theo-Hespers-Stiftung eine historische Stadtrundfahrt.

Selbst Klaus Schultz kennt nicht alle geplanten Aktionen und Veranstaltungen. So sei das eben bei einem dezentralen Erinnerungstag, sagt der Diakon. Angesprochen auf die wieder größere Sichtbarkeit von Nazis auch in den Kurven von Bundesligavereinen, betont Schultz: "Der Rechtsextremismus war nie aus den Stadien verschwunden". Die Frage sei vor allem, wie viel Raum man ihm lasse. Mit dem Erinnerungstag wollen die Initiatoren und Veranstalter jetzt erneut ein starkes Zeichen gegen heutige Nazis in der Kurve setzen.

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