Zahlreiche Fan- und Ultragruppierungen unterstützen die Kampagne "Fußballfans gegen Homophobie".
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"Getrennt in den Farben, vereint in der Sache": Fanclubs gegen Homophobie im Fußball

Vergangene Woche stellte die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld ihre neue Broschüre "Fußball für Vielfalt" vor. Sie dient der Information gegen Homophobie im Sport sowie für sexuelle Vielfalt und schließt an die Berliner Erklärung von 2013 an. Dass diese Aufklärungsarbeit im deutschen Fußball immer noch notwendig ist, zeigt ein Blick auf die aktuellen Entwicklungen. Zwar gibt es bei immer mehr Profivereinen schwul-lesbische Fanclubs und mit Queer Football Fanclubs einen europäischen Dachverband. Aber auf Profiebene besteht das ungeschriebene Verbot von Homosexualität – auch ein Jahr nach Hitzlspergers Coming-Out.

Von Frederik Schindler

"Kroos bei der Ecke. Linienrichter: Ziehen Sie sich mal was über, junge Frau! Sie holen sich ja den Tod in ihrem rosa Fummel!" twitterte das Fußballmagazin @11Freunde_de während dem Champions-League-Spiel Schalke 04 gegen Real Madrid. Die Spanier waren in pinken Trikots aufgelaufen. Mehr als 150 Menschen fanden den Tweet gut, einige beschwerten sich über den sexistischen Inhalt. Während der gesamten CL-Partie waren auf Twitter Entrüstung über die pinken Trikots von Real Madrid zu lesen, das sei "schwul" oder eben keine Farbe für Männer.

Laut der Fußballfanforscherin Almut Sülzle ist für manche Fans "das Fußballstadion der letzte Ort, an dem sie echte Männlichkeit – was auch immer das sein mag – leben können" – und genau diese sehen viele durch pinkfarbene Trikots irritiert. Sülzle sieht Fußball und die von ihr untersuchte Fan- und Ultrakultur als einen "Ort der Männlichkeit", einen "männlichen Raum" der von einer bestimmten Grammatik geprägt ist. Diese "männliche Grammatik" baut auf Ausschluss und Abwertung von Weiblichkeit und Nicht-Heterosexualität auf und zeigt sich beispielsweise in der Bezeichnung von schlechten Spielern als "schwul" oder "Mädchen". Zentral für die Fan- und Ultrakultur als männlich dominierter Raum sind zudem militärische Ideale. Kämpfen – sowohl in Form von Unterstützung der Mannschaft, als auch zum Teil in gewalttätigen Auseinandersetzungen mit anderen Ultra-Gruppen -, Einsatz und Treue für den Verein und die eigene Gruppe sind wichtige Grundsätze vieler Ultras. Die Assoziationen von Fußball und Fankultur mit Kameradschaft und Gewalt sind ebenfalls mit diesem Männlichkeitsideal verbunden. Dass die Aufrechterhaltung der Männervorherrschaft im Stadion auch über die Abwertung von Frauen und Nicht-Heterosexuellen funktioniert, zeigen Ultragruppen immer wieder über sexistische und homophobe Spruchbänder und Choreographien.

Homophobie im Fußball leider nichts Neues

Doch auch Sportlerinnen und Sportler sowie Funktionäre sorgten in der Vergangenheit für ein homophobes Klima in den Stadien. So lange ein ehemaliger Profi wie Jens Lehmann sagen kann, dass er "komisch" auf einen offen schwulen Mitspieler reagiert hätte, da man ja "jeden Tag zusammen duscht", wird Deutschlands Fahndung nach den schwulen Kickern erfolglos bleiben. Lehmann sagte nach dem Coming-Out von Thomas Hitzlsperger über seinen ehemaligen Mitspieler, dass dieser "erstens sehr intelligent ist und zweitens von seiner Spielweise überhaupt nicht den Anlass gegeben hätte, dass man hätte denken können, da ist irgendetwas". In welcher Form es einen Zusammenhang zwischen sexueller Identität, Intelligenz und der fußballerischen Spielweise geben sollte, erklärte er nicht: "Fußball ist eine Männersache, da muss man nicht so viel nachdenken".

Nicht nur Stereotype über Schwule waren in der Vergangenheit von Spielerinnen, Spielern und Funktionären zu hören, gleich mehrere Trainer und Ehemalige leugneten überhaupt die Existenz von schwulen oder bisexuellen Profifußballern. So erklärte beispielsweise der damalige kroatische Nationaltrainer Otto Barić im Jahr 2004, dass er wüsste, dass es in seiner Mannschaft "keine Homosexuellen gibt. Ich erkenne einen Schwulen innerhalb von zehn Minuten, und ich möchte sie nicht in meinem Team haben". Die ehemalige deutsche U20-Nationalspielerin Kristina Gessat wollte mit ihren Bildern im Playboy "dieses Mannweiber-Klischee widerlegen. Die Botschaft ist: Seht her, wir sind ganz normale – und hübsche – Mädels". Und auch der ehemalige deutsche Nationalspieler Mario Basler scheint über schwule Profis zu wissen: "Gibt es nicht, sag ich nix dazu. Gibt es nicht. Es gibt keine schwulen Fußballer" – die dreifache Betonung lässt einen starken Wunsch nach der Richtigkeit dieser Aussage vermuten. Ein negativer Höhepunkt war sicherlich 2008 erreicht, als Christoph Daum erklärte, er würde "den Schutz der Kinder über jegliche Liberalisierung stellen" und dazu aufforderte, "gegen jegliche Bestrebungen, die gleichgeschlechtlich ausgeprägt sind, vorzugehen".

Der Queerpass Bayern wünscht sich mehr Unterstützung von seinem Verein

Schon seit fast 14 Jahren versuchen schwul-lesbische Fanclubs in der Kurve Aufklärungsarbeit gegen Homophobie zu leisten, im August 2001 gründete sich mit den Hertha Junxx die erste dieser Gruppen.

Mario Weiße hat im November 2006 den ersten schwul-lesbischen Fanclub des FC Bayern München namens Queerpass Bayern ins Leben gerufen. Dieser hat mittlerweile 84 Mitglieder in der Südkurve, davon 13 Frauen. Seit der Gründung habe sich im Bereich Homophobie im Fußball einiges getan, meint Weiße im Gespräch  mit Fussball-gegen-nazis.de: "Allgemein ist die Sensibilisierung größer geworden ist, was leider auch mit dem Suizid von Robert Enke zu tun hat – Depressionen und Schwulsein waren beides bis dato Tabuthemen. Und mit Hitzlsperger wurde endlich diese unsägliche Phantomdiskussion beendet, ob es überhaupt schwule Profikicker gibt". Die Unterstützung aus dem Verein sei allerdings gering: "Denen fällt das Thema erst wieder ein, wenn die UEFA gegen sie ermittelt, weil irgendwelche Tiroler Orks im Stadion unsägliche Bettlaken über sogenannte Gay Gunners zeigen. Dann können sie noch schnell im nächsten Stadionmagazin den schwul-lesbischen Fanclub vorstellen, um nach außen zu zeigen, dass sie das Thema auf dem Zettel haben", kritisiert Weiße. Das Engagement gegen Homophobie sei aber nicht Ernst zunehmen, so lange der Verein weiterhin in Katar sein Wintertrainingslager abhält. Dort stehen homosexuelle Handlungen unter Strafe, mehrere Jahre Gefängnis sind möglich – und Menschenrechte werden allgemein mit Füßen getreten. Der Queerpass hat dies mehrfach beim Verein angemahnt, doch dieser reagierte nicht.

So Weiße weiter: "Und weil dann noch ein paar Millionen fließen, kann man auch noch ein Freundschaftsspiel in Saudi-Arabien abhalten, wo 100 Kilometer weiter ein Blogger ausgepeitscht wird, weil er islamkritisch berichtet hatte. Hauptsache, man zeigt sich ein paar Tage vorher solidarisch mit 'Mia san Charlie'". Er wünscht sich vom FC Bayern, dass er sich wegen ein paar Millionen auf dem Festgeldkonto nicht zum Handlanger solcher Despoten machen lässt und sich Aussagen wie "Wir fahren da hin, um Fußball zu spielen und nicht um Politik zu machen" spart. Dankbar ist er für die Unterstützung der Ultras in der Südkurve gegen Homophobie – diese schaffen ein sicheres Umfeld für den schwul-lesbischen Fanclub und überlassen es dem Queerpass nicht alleine, homophobe Sprüche zu skandalisieren und sanktionieren. Doch das ist in anderen Fankurven nicht selbstverständlich.

Queer Football Fanclubs: "Getrennt in den Farben, vereint in der Sache"

Mittlerweile gibt es über 25 schwul-lesbische Fanorganisationen aus Deutschland mit über 1000 Mitgliedern, die sich im europäischen Netzwerk Queer Football Fanclubs zusammengeschlossen haben, seit 2013 ist auch das Bündnis Fußballfans gegen Homophobie mit dabei – allerdings gibt es bislang keine einzige Gruppierung aus Ostdeutschland. Unter dem Motto "Getrennt in Farben, vereint in der Sache" koordiniert die Organisation Aktionen gegen Homophobie im Stadion, unterstützt und vernetzt schwul-lesbische Fanclubs und kommentiert Aktivitäten der Fußballverbände und –vereine. Vom DFB wünschen sie sich dabei mehr Unterstützung im Engagement gegen Homophobie – aktuell werfen sie dem Verband vor, sich hier aus der Verantwortung zu stehlen. So wurde die 2013 veröffentlichte Broschüre "Fußball und Homosexualität" entgegen der Ankündigung nicht an die 26.000 DFB-Vereine versandt, sondern lediglich auf der Homepage zum Download bereitgestellt.

Trotz Berliner und Leipziger Erklärung – kaum Bewegung bei den Verbänden

Auch die Sportwissenschaftlerin und ehemalige Bundesligaspielerin Tanja Walther-Ahrens, die sich gegen Sexismus und Homophobie im Fußball engagiert und an der Broschüre mitwirkte, kritisierte später einen Mangel an thematischer Vertiefung und fehlende Plakataktionen, Internetspots oder Vernetzungstreffen – so werde die Broschüre "lediglich Produkt der aufgesetzten politischen Korrektheit beim DFB bleiben". "Und sind nicht gerade die Jugendbetreuer, Fanprojekte oder Trainer gefragt, wenn eine Änderung in der 'Denke' auf dem Fußballplatz stattfinden soll? Müssen nicht gerade diese Gruppen, die täglich mit jungen Sportlern arbeiten, geschult und sensibilisiert werden?", fragt Queer Football Fanclubs. Ihr Sprecher Dirk Brüllau ist sauer auf die Verbände: Die Aufklärungsarbeit gegen Homophobie werde eher beschnitten, beispielsweise durch die Ankündigung und Nicht-Durchführung von Aktionen gegen Homophobie durch die DFL. "Da reichen auch eine Unterschrift unter die 'Berliner Erklärung' oder gute und flammende Reden gegen Homophobie von Rauball (Präsident der DFL, Anm. d. Red.) nicht. Seit Zwanzigers Weggang fehlen die Visionen beim DFB, der gesellschaftspolitische Auftrag wird nicht angenommen", meint Brüllau zu Fussball-gegen-nazis.de.  "Inzwischen erwarte ich mir nichts mehr von ihnen. Wenn sie etwas hätten verändern wollen, hätten sie es schon länger umsetzen können".

So wurde bereits im Jahr 2007 von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des 1. DFB-Fankongresses die "Leipziger Erklärung" beschlossen, die ebenfalls von zahlreichen Spitzenclubs unterzeichnet wurde und deutlich weitreichender als die 2013 veröffentlichte Berliner Erklärung ist. Der FC Bayern München leistete seine Unterschrift damals nur nach starkem Druck durch Queerpass Bayern. Auch bei der Berliner Erklärung 2013 unterzeichneten zunächst nur vier Erstligavereine – erst nach Hitzlspergers Coming-Out zogen weitere Vereine nach. In der Leipziger Erklärung wird zwar explizit die Einführung von Antidiskriminierungsparagrafen in Stadionordnungen und Vereinssatzungen, die Ernennung von Diskriminierungsbeauftragten in den Vereinen sowie eine kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung der Vereine gefordert. "Doch die Vereine, die die Leipziger Erklärung gezeichnet haben und die man heute danach fragt, wissen nicht, dass sie sie mal unterzeichnet haben", kritisiert Brüllau.

Ausblick: "Der Tag wird kommen"

Was ist ein Jahr nach dem Coming-Out von Thomas Hitzlsperger also wirklich passiert? Als die ARD Recherche-Redaktion Sport vor kurzem von den 36 Erst- und Zweitligatrainern der Männerfußball-Bundesliga wissen wollte, ob homophobe Gesänge im Stadion wahrgenommen werden oder wie sie reagieren würden, wenn sich ein Spieler ihres Teams als schwul outen würde, haben 25 Vereine nicht geantwortet: 14 reagierten überhaupt nicht, 11 sagten die Teilnahme ab. Dennoch gab es auch positive Entwicklungen: Die DFB-Kulturstiftung förderte den Kurzfilm Zwei Gesichter über Homophobie im Amateurfußball und der Song "Der Tag wird kommen" von Marcus Wiebusch wurde mit dem 9-minütigen Musikvideo inkl. Beteiligung verschiedener schwul-lesbischer Fanclubs zum Klickhit auf YouTube. Und laut mehreren schwul-lesbischen Fanclubs ist die Sensibilisierung für das Thema seit dem Coming-Out innerhalb der Kurve nochmal deutlich größer geworden. Dennoch bleiben homophobe Beleidigungen Alltag im Stadion. Erst wenn Fußballfans nicht mehr davon ausgehen, dass ihre Spieler gar nicht schwul oder bisexuell sein können, erst wenn Spielerinnen und Spieler im Amateur- oder Profibereich keine Angst vor negativen Reaktionen auf ein Coming-Out haben müssen und erst wenn ein Coming-Out eines aktiven Profis niemanden mehr interessiert, hat sich wirklich etwas grundsätzliches getan – bis dahin heißt das Problem weiterhin Homophobie.

 

Mehr im Netz:

Fußball für Vielfalt – Eine Initiative der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld

Fußballfans gegen Homophobie –Veranstaltungen und Aktionen gegen Homophobie, Überblick von Spruchbändern nach dem Coming-Out von Hitzlsperger, Bericht bei Fussball-gegen-nazis.de

Queer Football Fanclubs – Netzwerk europäischer schwul-lesbischer Fanclubs

"Mein Gesicht für Zwei Gesichter" Thomas Hitzlsberger spricht über die Schwierigkeiten des Coming-Out im Fußball und bewirbt den neuen Dokumentarfilm "Zwei Gesichter"

Aktion Libero – Sportblogs gegen Homophobie im Fußball, Artikel über die hier nicht erwähnte Homophobie im Frauenfußball

Aktiv gegen Homophobie - Die Berliner Erklärung. Bericht bei Fussball-gegen-nazis.de 

Homophobie in der Bayarena: Leverkusens Coach als "Schwuchtel" beschimpft - Nachricht auf Queer.de

Zum Weiterlesen:

Fußball, Frauen, Männlichkeiten – eine ethnographische Studie im Fanblock von Almut Sülzle

Arena der Männlichkeit – über das Verhältnis von Fußball und Geschlecht, herausgegeben von Eva Kreisky und Georg Spitaler

gender kicks – Texte zu Fußball und Geschlecht, herausgegeben von Antje Hagel, Nicole Selmer und Almut Sülzle

 

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