Beim polnischen Fußballverein Radomiak Radom fordern Fans aktuell, die vermeintliche "Islamisierung" Polens zu stoppen. Dahinter verbirgt sich vor allem eins, Rassismus gegen Flüchtlinge.
Screenshot Ultras-tifo.de

Fußball in Polen – Nazis auf den Rängen

Bereits seit Jahren macht der polnische Vereinsfußball eher durch Rassismus und Randale auf den Rängen als durch sportliche Erfolge auf sich aufmerksam. Zuletzt rückten die Fans mit ihrer Ablehnung der Spendenaktion für Flüchtlinge in der Champions League in die Öffentlichkeit. Die Gründe dafür liegen unter anderem in der polnischen Geschichte. Teil 1 einer Serie über Fußball und Fankultur in Polen.

Von Jan Tölva

Fußball in Polen hat eine lange Tradition. Die beiden großen Vereine in Kraków, Wisła und Cracovia, wurden schon 1906 gegründet. In Wrocław, das damals allerdings noch Breslau hieß und zum Deutschen Reich gehörte, fand das erste dokumentierte Fußballspiel sogar bereits 1892 statt, und mit dem FC Breslau, später VfB Breslau, wurde auch eben dort 1898 der erste Fußballclub auf heute polnischem Boden gegründet.

Dennoch spielte der polnische Fußball im Konzert des europäischen Fußballs meist eher eines der Begleitinstrumente. Einzig Legia Warszawa schaffte es zweimal, 1970 und 1991, ins Halbfinale eines europäischen Pokalwettbewerbs vorzudringen. Seither gab es für polnische Clubs nicht viel zu holen. Der letzte Verein aus Polen, der sich für die Gruppenphase der Champions League qualifizierte, war in der Saison 1996/97 Widzew Łódź. In der aktuellen Saison scheiterte Meister Lech Poznań mit zwei Niederlagen mehr als deutlich gegen den FC Basel.

Auch in Polen selbst spielen die polnischen Vereine und die polnische Liga in der öffentlichen Wahrnehmung oft nur eine untergeordnete Rolle. Ein Gutteil der Berichterstattung befasst sich lieber mit den Erfolgen polnischer Spieler_innen im europäischen Ausland, und wer die Gazeta Wyborcza, die größte Tageszeitung des Landes, aufschlägt, kann Pech haben, dass im ohnehin schon mageren Sportteil gleich überhaupt gar nichts über Ereignisse im Fußball zu lesen ist.

Für das polnische Bildungsbürgertum ist es nahezu unvorstellbar sich für Fußball zu interessieren oder gar ins Stadion zu gehen. Das spiegelt sich auch im Zuschauerschnitt der Ekstraklasa wider. Nur fünf von 16 Teams der obersten polnischen Liga hatten in der abgelaufenen Saison einen Schnitt von über 10.000. Ganz im Gegensatz dazu lockt die polnische Männer-Nationalelf bei Heimspielen regelmäßig über 50.000 Menschen ins Stadion Nadorowy in Warschau. Es scheint, dass lediglich der Vereinsfußball auf breites Desinteresse stößt.

In einem völligen Missverhältnis zu den mageren Publikumszahlen steht allerdings die Intensität, mit der diejenigen zu Werke gehen, die dann doch ins Stadion kommen. Im Windschatten der größeren Ligen hat sich in Polen eine durchaus eigenständige Form der Ultrakultur entwickelt, die einerseits für lautstarken Support und anspruchsvolle Choreographien steht, andererseits aber von Gewalt, Hass und extrem rechtem Gedankengut geprägt ist. Infolge des Vorgehens der UEFA gegen Gewalt und Diskriminierung stellt das für den polnischen Fußball in zunehmendem Maße ein Problem dar.

Nation ohne Staat – Ein Blick in die polnische Geschichte

Dass die polnische Fankultur wie die meisten im ehemaligen Ostblock geprägt ist von Nationalismus und einem hohen Maß an Gewaltbereitschaft hat in erster Linie historische Ursachen. Von der dritten Polnischen Teilung 1795 bis zum Ende des ersten Weltkriegs 1918 hat es mit Ausnahme des kurzlebigen Herzogtums Warschau, das kaum mehr war als ein Satellitenstaat des napoleonischen Frankreichs, keinen unabhängigen polnischen Staat gegeben. Der heutige Westen Polens war Teil Preußens und später des Deutschen Reiches, der Süden gehörte zu Österreich-Ungarn und der Rest zum russischen Zarenreich. Das änderte sich erst mit dem Ende des ersten Weltkriegs, als unter anderem auf Betreiben des US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson ein unabhängiger polnischer Staat errichtet wurde, der allerdings deutlich weiter östlich als das heutige Polen lag und auch Teile der heutigen Ukraine, Litauens und Weißrusslands umfasste.

In den folgenden Jahren erlebte Polen, genauer: die Zweite Polnische Republik, eine Zeit gesellschaftlicher, kultureller und wirtschaftlicher Blüte, in die auch die Gründung des Polnischen Fußballverbandes, das erste Länderspiel einer polnischen Auswahlmannschaft und unzählige Vereinsgründungen fallen. Diese kurze Blütezeit fand jedoch ein jähes Ende mit dem Einmarsch deutscher und wenig später auch sowjetischer Truppen im Herbst 1939. Nach gerade einmal etwas mehr als 20 Jahren hatte Polen erneut seine Unabhängigkeit verloren. Mehr noch, dem Krieg, dem Hunger und der Shoah fielen an die sechs Millionen Einwohner_innen zum Opfer; die Hälfte von ihnen waren Jüdinnen und Juden. Das entspricht rund einem Fünftel der damaligen polnischen Bevölkerung. Kein anderes Land musste für das deutsche Streben nach Weltherrschaft einen vergleichbar hohen Blutzoll zahlen.

Gleich zweimal kam es zu größeren Erhebungen gegen die deutsche Gewaltherrschaft. Im Januar 1943 erhoben sich die Bewohner_innen des jüdischen Warschauer Ghettos, der jedoch blutig niedergeschlagen wurde. Im August 1944 folgte der Warschauer Aufstand, im Zuge dessen sich rund 45.000 Mitglieder der Polnischen Heimatarmee sich gegen die Besatzer erhoben, doch auch dieser wurde zerschlagen und am Ende starben mehr als 150.000 Menschen – die meisten von ihnen Zivilist_innen.

Die sowjetische Rote Armee stand zu diesem Zeitpunkt schon vor den Toren Warschaus, doch sie griff nicht ein – eine Tatsache, die sich tief in das polnische Nationalbewusstsein eingeprägt hat und viel dazu beigetragen haben dürfte, dass die kommenden Jahre der neu gegründeten Volksrepublik Polen unter sowjetischer Vorherrschaft von vielen als eine Art erneuter Besatzung empfunden wurden.

Fußballstadien als letzte Orte der Freiheit im Realsozialismus

Als sich dann ab Ende der 1970er verstärkter Widerstand gegen das realsozialistische Regime zu regen begann, waren die Fußballstadien wie anderswo im Ostblock auch Orte, an denen eine dissidente Haltung zum Ausdruck gebracht werden konnte. Beim Fußball war es möglich, sich mit der Polizei als Repräsentant des verhassten Staates zu prügeln,  durch Schlachtrufe und Gesänge seiner Abneigung gegen das System Luft zu machen und dabei – was sicher für viele sogar das Wichtigste war – auch noch jede Menge Spaß zu haben.

Besonders augenfällig wurde die Verbindung zwischen Fußball und Opposition in der Hafenstadt Gdańsk. Auf der dortigen Werft hatte es bereits 1970 einen wilden Streik gegeben, der allerdings blutig niedergeschlagen wurde und 80 Arbeiter_innen das Leben kostete. Ein Mitglied des damaligen Streikkomitees war der Elektriker Lech Wałęsa gewesen, der später zu einer der führenden Persönlichkeiten der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność und zum Gesicht der polnischen Opposition werden sollte.

Wegen seiner Umtriebe wurde Wałęsa 1982 weit entfernt im Südosten des Landes, nahe der sowjetischen Grenze, interniert. Im Jahr darauf durfte er in seine Heimatstadt zurückkehren; er stand allerdings noch vier weitere Jahre de facto unter Hausarrest. Kurz nach seiner Rückkehr besuchte Wałęsa das Europapokalspiel von Lechia Gdańsk gegen Juventus Turin. Als er von einigen Zuschauer_innen erkannt wurde, erschallte sein Name aus den Kehlen Tausender Anhänger_innen des Vereins und auch „Solidarność“ wurde wieder und wieder gerufen.

„Das Fußballstadion war unser Ort der Freiheit“, erzählte Wałęsa Jahre später in einem Interview mit der Zeit. Weil alle dasselbe riefen, war es schwer, Einzelne zu bestrafen. Das galt umso mehr, als all das vor laufenden Fernsehkameras geschah und zu einer Zeit, in der das Regime behauptete, es gäbe in Polen keine Opposition. Der Fußball und seine Fans hatten gezeigt, dass dies nicht mehr als eine Lüge war.

Alte Werte im neuen Polen

Als dann der Eiserne Vorhang fiel und sich Polen auf den langen Weg gen Westen machte, der das Land 1999 in die NATO und 2004 in die Europäische Union führte, hatte sich in den Stadien längst eine Kultur der Widerständigkeit etabliert. In dem Bewusstsein, das Polen über Jahrhunderte hinweg überhaupt nicht als eigenständiger Staat existiert hatte und auch danach wenig mehr als ein Spielball der Großmächte war, war diese Kultur geprägt von einer starken Bezugnahme auf die polnische Nation, die einen fließenden Übergang hin zu einem stark ausgeprägten und oft völkischen Nationalismus fand.

Diese Entwicklung wurde und wird noch verstärkt durch die Tatsache, dass Polen ein Staat mit einer ethnisch sehr homogenen Bevölkerung war und ist. Rund 95 Prozent der Einwohner_innen sind ethnische Pol_innen. Zählt mensch die regionalen Minderheiten der Kaschub_innen und Schlesier_innen hinzu, sind es sogar fast 98 Prozent. Ebenfalls ungebrochen ist die Vormachtstellung der römisch-katholischen Kirche. Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung ist katholisch. Die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft, die Polnisch-Orthodoxe Kirche, kommt dem gegenüber auf gerade einmal ein Prozent.

Eine Öffnung hin zu einer pluralistischen, von ethnischer und weltanschaulicher Vielfalt geprägten Gesellschaft, wie sie für viele Länder Westeuropas prägend war, hat es in Polen also nie gegeben. Es ist daher kaum verwunderlich, dass der polnische Nationalismus in besonders hohem Maße von einem Streben nach Homogenität geprägt ist.

Das zweite prägende Moment für die polnische Fankultur, die ablehnende Haltung gegenüber dem realsozialistischen Regime, wandelte sich nach dem Wegbruch desselben meist in einen militanten Antikommunismus und eine weit verbreitete, ganz grundsätzliche Ablehnung gegen alles vermeintlich Rote oder Linke, wozu in den Augen vieler auch Homosexualität, Feminismus und "Multikulti" gehören.

All das hat selbstverständlich Folgen für die Fußballfankultur. Welche das sind und wie die aktuelle Situation in Polen ist, erfahrt ihr in Teil 2.

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