Der Fanladen St. Pauli ist im Zuge der Rekonstruktionsmaßnahmen aus dem Wohnviertel mit ins Stadion an Millerntor gezogen. Die Räume zahlt der Fanraeume e.V. selbst.
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Fanbetreuung vom FC St. Pauli: "Wir sind unabhängig vom Verein"

Beim FC St. Pauli ist anders, als an anderen Standorten, die Fanbetreuung vom Verein mit dem vereinsunabhängigen Fanprojekt zusammen gelegt. Das sichert den Fanbeauftragten mehr Eigenständigkeit. Wir sprachen mit dem Fanbetreuer Carsten Kupisch über die Fanszene der Braun-Weißen, die traditionell antifaschistisch ist, von ihm jedoch auch als "kritisch und ungemütlich" beschrieben wird. Weiterhin zeichnet sich St. Pauli durch eine offene Haltung gegenüber Gästefans aus. Außerdem sprachen wir über das aktuelle Engagement auf Pauli für Flüchtlings-Themen. 

FgN: Wie lange gibt es bei Euch schon Fanbetreuung?

CK: Dieses Jahr feiern wir das 25jährige Bestehen, mit dem Fanladen. Angefangen hatte das 1989 mit einer Initiative von Fans und einer ABM Maßnahme, über stetige Professionalisierung besteht seit 1994 die Förderung im Sinne des NKSS (Nationales Konzept Sport und Sicherheit, Anm. d. R.). Anders, als an anderen Standorten sind Fanprojekt und Fanbeauftragte hier zusammen gefasst, also bin ich gleichzeitig Fanbeauftragter vom Verein und im Fanprojekt tätig. Damit sind wir hier sehr zufrieden.

Warum ist das so?

Als das Projekt gegründet wurde und Fanbeauftragte für die Vereine noch keine Lizenzauflage waren, wurde die Stelle, damals noch bei Sven Brux, im Fanladen angesiedelt. Aufgrund der Akzeptanz in der Fanszene wäre es Quatsch das jetzt wieder zu trennen. Das ist eine Sonderregelung. Die Fanszene würde wohl auch keine Änderung akzeptieren. Mittlerweile bezahlt der Verein eine Stelle vom Fanbeauftragten über unseren Träger, so ist hier weiter keiner weisungsgebunden. Wir können weiter unabhängig vom Verein und vom Präsidium für die Faninteressen agieren, das ist wichtig.

Ich habe gehört, dass der Fanladen umgezogen ist. Was ändert sich dadurch?

Ja, im Zuge der Rekonstruktion des Stadions sind wir unter die Gegengerade ins Stadion gezogen. Die Räume wurden durch den Fanräume e.V. selbst finanziert, über Jahre wurden dafür Spenden gesammelt.  Wir sind jetzt zwar mit dem Laden nicht mehr im Wohnviertel, dafür sind die Räumlichkeiten hier eine extreme Verbesserung. Der alte Laden war zwar gemütlich, aber einfach zu klein.

Mit welchen fünf Worten würdest du die Fanszene von St. Pauli charakterisieren?

Also... antifaschistsch, kritisch, ungemütlich, innovativ. Und anspruchsvoll.

Ok, dass die Fanszene antifaschistisch ist, dürfte allen klar sein. Aber was meinst du mit "kritisch und ungemütlich"?

Dem Verein gegenüber – in der Vergangenheit gab es einige Marketingverfehlungen oder es sollte ein bargeldloses Bezahlsystem im Stadion eingeführt werden. Da hatten die Fans teilweise Angst, dass ihnen hier Geld aus der Tasche gezogen werden soll. Für all das gab es aus der Fanszene immer wieder viel Kritik am Verein. Daraus hat man gelernt, dass der Verein die Leute abholen muss, wo sie stehen. Überspitzt gesagt wissen die, dass sie eben keine braun-weißen Cheerleader neben´s Tor stellen können , weil das die Wenigsten akzeptieren würden.

Und Kritik ist eigentlich immer da, dadurch wurde schon vieles vorangetrieben. Die wenigsten Fans hier wollen nur sportlichen Erfolg um jeden Preis. Wobei die Ansprüche aus der Fanszene Außenstehende manchmal auch nicht ganz durchsichtig scheinen.

Was meinst du, sind die Fans zu anspruchsvoll?

Naja gerade kämpfen wir um den Klassenerhalt in der zweiten Liga, da kann man auch nicht zu viel vom Verein erwarten. Aber gerade die antifaschistische Fanszene, das ist auch viel Arbeit. Durch die Stadionrekonstruktion wächst die Fanszene stark, es kommen immer mehr neue Leute. Das ist eine Art neuer Aufbruch, aber man muss auch gewachsene Werte verteidigen.

Wie wirkt sich der Stadionneubau in der Fanszene aus?

In den letzten Jahren wurde jede Tribüne einzeln neu gebaut, aktuell die Nordkurve, was immer ein bisschen Aufregung brachte. Ins alte Millerntor sind 16 bis 20.000 Leute gekommen, mittlerweile kommen bis zu 30.000. Auch weil der Verein die Marketingmaschine angeworfen hat. Das sind unterschiedliche Menschen und die Veränderungen sind nicht nur positiv. Besonders Alteingesessene sind unzufrieden mit einigen Neuerungen. Sie haben zum Beispiel die Befürchtung, dass St. Pauli einen zu großen bzw. ausschließlichen Partycharakter bekommt und Leute kommen, denen egal ist, was hier über Jahre aufgebaut wurde.

Wo im Stadion steht so die aktive Fanszene?

Also das ist schön, weil es sich im Stadion verteilt. Gut ist auch, dass es keine Ultra-Gruppe gibt, die als einzige den Ton angibt. Ultras Sankt Pauli (USP, Anm. d. R.) steht in der Südkurve, ebenso gibt es auf der Gegengerade "englischen" Support u.a. vom dortigen Support Block. Da sind viele Alteingesessene, die spielbezogen unterstützen und naja, auch nicht immer pro Ultras sind. Die Nordkurve teilt sich auf. In einem Teil sind auch viele  Alteingesessene und die organisierte Gruppe "Nordsupport". Im zweiten Teil der Nordkurve stehen die Gäste. Und dann gibt es natürlich noch unseren Familienbereich, den "Kuchenblock".

Stichwort Gästefans: ich habe gehört, dass sich St. Pauli dadurch auszeichnet, dass sich Gästefans am Spieltag unbehelligt auf St. Pauli bewegen können, anders als an anderen Standorten. Ist das so?

Das ist eine Thematik zwischen den Fangenerationen. Es ist schon möglich als Gästefan hier eine schöne Zeit zu haben. Es gibt aber auch Orte, an denen sich einige Gästefans nicht so wohl fühlen können. Insgesamt gibt es aber vergleichsweise wenig Ärger.

Jeder ist hier willkommen, solange alles vernünftig abläuft. Also es wäre auch ein Widerspruch, wenn man einen antirassistischen Anspruch hat und dann Gästefans pauschalisiert würden.

Was sind Projekte und Gruppen aus der Fanszene, die Euch gerade am Herzen liegen?

Am Herzen liegen uns alle Fans, die mit uns zu tun haben möchten. Wichtig sind gerade die Refugees-Geschichten. USP Antirazzista sammeln seit Jahren Kleider, die gehen dann nach Horst in Mecklenburg-Vorpommern in ein Flüchtlingsheim. Regelmäßig gibt es da auch einen Kleinbus, der Leute aus dem Heim abholt, um mit uns die Heimspiele zu sehen. Das Engagement hat hier Normalität.

Dann gibt es noch die Lampedusa Gruppe in Hamburg, die wird aus der Fanszene unterstützt und auch aus der Frauenfußball-Abteilung des Vereins. Letztes Jahr fand das antirassistische Fußballturnier, zu dem auch immer internationale Mannschaften eingeladen werden, das erste Mal im St. Pauli Stadion statt, was auch ein Zeichen für ein gutes Verhältnis mit dem Verein ist. Es waren zeitweise ca. 1200 Zuschauer da, rund herum gab es Workshops und Begegnungen, das war eine große Aktion.

Außerdem haben wir mit den U18 Fans eine unserer Hauptaufgaben, mit denen gibt es immer wieder pädagogisch begleitete Aktionen, auch Treffen mit Spielern.

Wow, das klingt doch alles sehr rosig!

Zu rosig, irgendwie. Es gibt schon auch Differenzen, aber Themen in der Fanszene werden hier meist auf hohem Niveau verhandelt. Insgesamt, nicht nur weil ich St. Pauli Fan bin (lacht), ist der Standort schon sehr angenehm zum Arbeiten. Andere Standorte haben andere Problematiken, da denkt man schon manchmal "Wow, hart" und gut, dass man sich damit nicht auseinandersetzen muss.

Das ist doch ein schönes Schlusswort. Danke für das Interview!

Das Interview führte Laura Piotrowski

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