Ultras Braunschweig beim Spiel gegen den FC Ingolstadt, 17.11.12
Initative gegen rechte (Hooligan-)Strukturen

Braunschweig: Die Sache mit den Nazis in der Kurve

Was ist los bei Eintracht Braunschweig? Sportlich läuft es rund, doch was ist mit den Neonazis in der Kurve? Wie viele gibt es, wie gefährlich sind sie, was tut der Verein? Eine Suche nach Antworten – bei den Ultras, dem Fanprojekt, der Polizei.

Von Jan Tölva

Eigentlich läuft bei Eintracht Braunschweig derzeit alles nach Plan. Man könnte sogar sagen, mit dem derzeit ersten Platz in der 2. Liga ist das Plansoll momentan deutlich übererfüllt. Schließlich war der niedersächsische Verein erst zur vorletzten Saison nach vier Jahren Drittklassigkeit wieder in die zweithöchste Spielklasse aufgestiegen. Doch seit Anfang Oktober die Initiative gegen rechte (Hooligan-)Strukturen ihre Broschüre "kurvenlage" herausgegeben und darin Überschneidungen zwischen Braunschweiger Fanszene und organisierten Neonazikreisen öffentlich gemacht hat, fragt bei der Eintracht kaum noch jemand nach der sportlichen Situation. Gerade vor dem Hintergrund aktueller Debatten über den offenbar wachsenden Einfluss von Neonazis in einigen Fankurven wie denen von Borussia Dortmund, Alemannia Aachen oder des MSV Duisburg wird nun auch bei Eintracht Braunschweig in Sachen Nazis in der Kurve ganz genau hingesehen.

Mit Kopfverletzungen ins Krankenhaus

Die Anschuldigungen der Initiative sind durchaus schwerwiegend. Sie nennt die Namen von rund 20 Personen und über einem halben Dutzend Fangruppen aus der Braunschweiger Fanszene, die der Neonaziszene zumindest nahe stehen oder standen und listet in einer Chronik mehr als 40 Vorfälle seit 2007 auf, bei denen es teilweise bei Beleidigungen, Drohungen und extrem rechte Parolen blieb, teilweise aber auch zu tatsächlicher physischer Gewalt kam. So wurde am 2. Januar 2008 eine Gruppe junger Migranten von rechten Hooligans als "Scheiß Ausländer" beleidigt und angegriffen. Einer der Angegriffen musste mit schweren Kopfverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die meisten Angriffe richteten sich jedoch gegen die als politisch geltende Gruppe Ultras Braunschweig. Immer wieder sollen Mitglieder verschiedener anderer Fangruppen Mitglieder oder Treffpunkte der Gruppe attackiert haben.

Die Grenzen zwischen fanszeneinternem Konflikt, eventorientierter Hooliganrandale und politisch motivierten Angriffen auf Andersdenkende waren und sind dabei oft fließend, denn die Ultras Braunschweig waren seit ihrer Gründung immer wieder mit anderen Teilen der Braunschweiger Fanszene aneinander geraten. Meistens ging es dabei um den auch in anderen Stadien bekannten Konflikt zwischen Ultrasupport und eher traditionelleren Formen des Anfeuerns. Da aber auch damals wie überhaupt mindestens seit Beginn der 80er Jahre ein nicht unerheblicher Teil der organisierten Eintracht-Fans aus der extrem rechten Szene stammte oder dieser zumindest nahe stand, waren an diesen Konflikten fast immer auch einige Menschen beteiligt, die sich mit Fug und Recht als Neonazis oder zumindest als rechte Hooligans bezeichnen lassen.

Politisierung nach Stadionverbot

Als jedoch ein großer Teil der Ultras Braunschweig im Jahre 2008 Stadionverbote erhielt, verlagerte sich das Problem spürbar. Spätestens jetzt setzte bei der Gruppe, die den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten nun zwangsläufig außerhalb des Eintracht-Stadions setzen musste, ein Prozess des Umdenkens ein. In einer Situation, in der sie sich selbst drastischen Repressionsmaßnahmen gegenüber sahen, begannen die Mitglieder der Gruppe sich auf breiterer Basis mit politischen Themen zu befassen und wurden sich dabei zunehmend der Tatsache bewusst, dass es bei der Eintracht deutliche Überschneidungen zwischen Hooligans und dem Dunstkreis der extrem rechten Szene gab, die sich immer wieder in entsprechenden Parolen, aber auch in der Teilnahme an Neonazidemonstrationen oder dem Besuch von Rechtsrockkonzerten äußerten. Als logische Konsequenz aus dieser Erkenntnis begann die Gruppe, sich eindeutig antifaschistisch zu positionieren und ihre Meinung etwa bei Spielen anderer Abteilungen der Eintracht, die sie nun notgedrungen statt der Fußballspiele besuchten, öffentlich kundzutun.

"Keine zwei Meinungen bei Rassismus"

Ein Gutteil der Braunschweiger Fanszene will den Ultras Braunschweig diesen Sinneswandel jedoch nicht abkaufen und sieht in den Anschuldigungen der Gruppe nur ein Ablenken von dem "eigentlichen Thema", nämlich dem Konflikt zwischen Ultras und Nicht-Ultras. Dass das nicht ganz richtig sein kann, zeigt alleine schon die Tatsache, dass es mit Cattiva Brunsviga bereits seit einigen Jahren eine andere Ultragruppe in Braunschweig gibt, an deren Anfeuerungsgewohnheiten sich offenbar kaum jemand zu stören scheint und die sich kürzlich in ihrem Statement zur "12:12"-Kampagne mit der Feststellung, dass "es bei Rassismus keine zwei Meinungen geben darf", zumindest nach außen ebenfalls eindeutig antirassistisch positioniert hat.

Anders als die Ultras Braunschweig jedoch übt Cattiva keine öffentliche Kritik an der eigenen Szene. Was viele an den Ultras Braunschweig wirklich zu störten scheint, ist, dass diese ihren Finger in eine seit langem offene Wunde der Eintracht legen und damit angeblich ihren eigenen Verein in Verruf bringen. Dass es sich dabei nicht wirklich um "Nestbeschmutzung", sondern vielmehr um ehrlich Sorge um den eigenen Verein geht, den sie nicht einfach – und sei es nur zum Teil – den Nazis und Rassisten überlassen wollen, scheint den meisten nicht in den Sinn zu kommen. Genau hier sehen auch die Ultras Braunschweig den Kern des aktuellen Problems. "Dass die heutige politische Problematik hinter den Fankonflikt gestellt wird, zeigt, dass ein Umdenken erforderlich ist", erklärt ein Mitglied der Gruppe im Gespräch mit "Fussball-gegen-Nazis.de".

"Solange sie uns nichts tun"

In der Tat leugnet niemand, dass es in Braunschweig Nazis in der Kurve gibt. Es scheint jedoch so, als ob viele darin kein Problem sehen, wie Vorsänger Thilo Götz im Interview mit 11 Freunde vielleicht etwas unbeabsichtigt erklärte: "Die sind noch da, und ja, die haben auch rechte Tendenzen. Doch noch einmal: Wir stören uns nicht daran, solange diese Leute uns nichts tun." Offensichtlich ist es so, dass für einen Teil der Braunschweiger Fanszene Nazis durchaus okay sind, solange sie auch zur großen Eintracht-Familie gehören und lediglich andere – zu diesen "anderen" scheinen für viele auch die Ultras Braunschweig zu gehören – angreifen. In gewisser Weise scheint diese Akzeptanz von Nazis und Rassisten in der eigenen Mitte, und nicht deren bloße Anwesenheit in der Kurve, sogar das eigentliche Problem bei der Eintracht zu sein.

Tatsächlich ist nämlich das Ausmaß des Naziproblems bei der Eintracht in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen, was allerdings auch daran liegt, dass es noch vor wenigen Jahren wirklich erschreckend groß war. Ob bei den Magdeburger "Himmelfahrtskrawallen" 1994 oder bei den Ausschreitungen während der WM 1998, bei der der französische Polizist Daniel Nivel schwer verletzt wurde – wann immer rechte Hooligans für Angst und Schrecken sorgten war die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch Teile der Braunschweiger Szene beteiligt waren. Im Vergleich dazu sind die "20 bis 30 Mitglieder der rechten Szene", die der örtlichen Polizei laut deren Sprecher Joachim Grande bekannt sind, in der Tat vergleichsweise harmlos. Alleine von der Aktionsgruppe 38, einer noch relativ neuen Gruppierung innerhalb der Braunschweiger Naziszene, sind Grande zufolge etwa zehn Mitglieder auch in der Braunschweiger Kurve anzutreffen.

Fanprojekt ernsthaft engagiert

Ein entscheidender Schritt im Kampf gegen den großen und vor allem auf Gewaltbereitschaft basierenden Einfluss von Neonazis in der Braunschweiger Kurve war – da sind sich alle einig – die Einrichtung des Fanprojekts und eines hauptamtlichen Fanbeauftragten im Jahre 2007. Braunschweig gehört damit im bundesweiten Vergleich jedoch klar zu den Spätzündern. Die ersten Fanprojekte entstanden in der Bundesrepublik bereits Anfang der 80er Jahre. Im Hinblick auf die damaligen Zustände in Braunschweig wäre es sicher auch dort nicht schlecht gewesen, eine vergleichbare Einrichtung zu haben.

Doch heute gibt es das Fanprojekt und wer mit Karsten König, einem der Mitarbeiter desselben, spricht, nimmt ihm sein ernsthaftes Engagement gegen Rechtsextremismus sofort ab. Er legt jedoch auch Wert auf die Feststellung, dass Braunschweig keine besonders rechte Kurve hat, womit er vermutlich recht hat. Neonazis, oder zumindest deren Umfeld, gibt es derzeit in wohl so ziemlich jeder deutschen Fankurve. Das heißt aber nicht, dass es deshalb okay und kein Problem wäre. Es heißt vielmehr, dass an allen Standorten gemeinsam etwas dagegen getan werden muss. Auch Joachim Grande denkt da ähnlich: "Wir werden das Problem nicht hier in Braunschweig lösen." Es müsse auch und vor allem etwas auf höherer Ebene geschehen. Diese höhere Ebene meint sicher auch Politik und Verbände. Im Endeffekt sind Rassismus und andere extrem rechte Ideologien jedoch ein gesamtgesellschaftliches Problem und müssen auch genau dort gelöst werden.

Holger Apfel ist gern im Stadion

Das entbindet die Menschen vor Ort jedoch nicht von der Verantwortung, auch auf lokaler Ebene aktiv zu werden. Wenn in Braunschweig eine rechte Hooligantruppe wie die "Alten Kameraden" bereits seit 1981 mehr oder minder ungestört ihr Unwesen treiben kann, wenn, wie nach dem Aufstieg 2011 geschehen, bei einem von "Kategorie Braunschweig" angeführten Fanmarsch "Hier marschiert der nationale Widerstand" gerufen wird, wenn sich damit zufrieden gegeben wird, dass die Gruppe "Nord Power Dogs" – kurz NPD – sich nur noch außerhalb mit diesem Namen schmückt, in der Kurve als "Dogs BS" aber immer noch mit Thor Steinar-Klamotten und anderen Insignien der rechten Szene anzutreffen ist, wenn NPD-Chef Holger Apfel relativ regelmäßig und ungestört im Stadion zu Gast ist, wenn all das und noch viel mehr geschieht, dann hat das Gründe und Ursachen. Ganz offensichtlich sind all die tatsächlichen und wohl auch ernst gemeinten Bemühungen von Verein, Fanprojekt und auch einigen Fangruppierungen nicht ausreichend, um ein Klima zu schaffen, in dem sich Neonazis nicht wohl fühlen. Neonazis im Stadion zu dulden, vermittelt diesen ein Gefühl von gesellschaftlicher Akzeptanz für sie und ihre menschenverachtenden Ideologien – das darf nicht sein.

Es liegt jetzt am Verein, bei der Überarbeitung der Stadionordnung und auch anderswo ein deutliches Zeichen gegen Rechts und für ein diskriminierungsfreies Miteinander zu setzen. Alles andere wäre eines Vereins, der bald in der Bundesliga spielen könnte, schlicht unwürdig. Es liegt aber auch an den Fans, die sich fragen müssen, wo ihre Prioritäten liegen und ob sie wirklich bereit sind, Nazis und Rassisten – so wenige es auch im Verhältnis zum Gesamtpublikum nur noch sein mögen – in ihrer Mitte zu dulden. Die vom Verein ausgerufene "Eintracht in Vielfalt" lässt sich mit Menschen, die andere aufgrund von Herkunft, Hautfarbe oder Sexualität ausgrenzen, nicht machen. In eine "bunte Kurve", wie der Verein sie sich wünscht, gehören viele Farben, aber kein Braun.

Mehr auf fussball-gegen-nazis.de:

Mehr im Internet:

drucken