FES-Tagung - Podium

Rechtsextremismus und Engagement im urbanen Raum

Ist die zivilgesellschaftliche Aufstellung im urbanen Raum groß genug? Welche Besonderheiten bietet die Stadt als Aktions- und Reaktionsraum von Rechtsextremismus und dem Engagement dagegen? Und wie kann die Vernetzung von Initiativen, Stiftungen und Einzelpersonen sowie auch die Zusammenarbeit mit Polizei und Ämtern gestärkt werden? Vor einiger Zeit luden die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) zur Fachtagung "Rechtsextremismus und Engagement im urbanen Raum" ein, um eben diese Fragen zu diskutieren. Seitdem ist einiges passiert.

von Alina Valjent

Anfang des Monats haben die Teilnehmer*innen des Refugee Protest March Potsdam und schließlich Berlin erreicht. Während der Demo in Potsdam kam es – trotz zeitgleich stattfindender NPD-Kundgebung – nicht zu weiteren Zwischenfällen. Im Rahmen der Besetzung der nigerianischen Botschaft hingegen berichteten Aktivist*innen von Polizeigewalt. (Refugeetentaction.net) Auch die fehlende Transparenz seitens der Polizei gab Anlass zu Verärgerung. Der genaue Ort und Zeitpunkt der NPD-Demo wurde - auch auf Anfragen - nicht herausgegeben.

Fehlende Solidarität aus Gesellschaft und Politik

Diese Informationspolitik der Polizei stand auch im Fokus der Kritik vieler Aktivist*innen auf der FES-Tagung. Die Sensibilität für An- und Übergriffe mit rechtsextremem Hintergrund sei einfach viel zu gering. Ein Mitglied der jungen Sozialdemokraten erklärte, dass er und andere Mitglieder der Jugend-Organisation der SPD bereits öfter Opfer rechtsextremer Drohungen und Anschläge geworden seien. So wurden Fenster eingeschmissen, Briefkästen zerstört und Drohungen ausgesprochen. Die Polizei habe sich bei der Aufklärung der Fälle wenig kooperativ verhalten, berichtete der Student aus Berlin-Treptow. Auch in der Gesellschaft und im unmittelbaren Umfeld beklagte er fehlende Solidarität. So habe er sich anhören müssen, dass es doch "ganz natürlich" sei, dass "die Neonazis auf Aktionen gegen Rechtsextremismus so reagieren" würden. Man solle doch einfach die Veranstaltungsdichte reduzieren, um die rechtsextreme Szene nicht "zu provozieren".

Der Anschlag auf Jörg Wanke in Zossen zeigte wenig später erneut, dass Übergriffe auf engagierte Bürger*innen an der der Tagesordnung sind. Die Polizei ermittelte nur wegen Sachbeschädigung - der offensichtlich rechtsextreme Hintergrund wurde zunächst ignoriert. Die Stadt ist anscheinend nicht bereit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Die Bürgermeisterin Michaela Schreiber erklärte, dass es ihr "für Herrn Wanke persönlich leid tue, so wie für jeden anderen auch, der von einer solchen Sachbeschädigung betroffen sei". Allerdings rechtfertige der Anschlag nicht, dass die Stadt durch den Sprecher der Initiative zum wiederholten Mal in der Öffentlichkeit bewusst als "Hort des Rechtsextremismus" dargestellt werde. Jörg Wanke, Sprecher von "Zossen zeigt Gesicht", dazu: "Wir fordern von der Stadt nichts mehr ein, da ist Hopfen und Malz verloren". Auch bei der Nazi-Demo in Göppingen misslang die Kooperation von Ämtern und Zivilgesellschaft.

Reduzierung des Problems Rechtsextremismus auf Rechts-Links-Problematik

Über die Kriminalisierung zivigesellschaftlichen Engagements wusste Robert Andreasch, Mitarbeiter der A.I.D.A München, zu berichten. Diese erschien über Jahre - und trotz vehementer Beschwerden - immer wieder im Verfassungsschutzbericht des Landes Bayern in der Sparte "Linksextremismus". Auch in diesem Streit hat sich seit der FES-Tagung einiges getan. Das geplante Gesetz, nach dem der Verfassungsschutz über die Gemeinnützigkeit von Zivilgesellschaften bestimmen dürfte, wurde revidiert. Die A.I.D.A wurde mittlerweile von dem Vorwurf des Extremismus freigesprochen.

Sowohl bei diesen konkreten Fällen als auch in den Diskussionen während der FES-Tagung wurde klar, dass viele Städte den offenen Umgang mit Problemen im Bereich von Rechtsextremismus und Rassismus konsequent umgehen oder gar verhindern, da sie fürchten, durch negative Berichterstattung in der Presse aufzufallen. Hinzu kommt, dass der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus oft auf einen Grabenkrieg zwichen Rechts und Links stilisiert wird.

Das Internet als Medium für Rechtsextremisten

Das Verbot der Kameradschaft "Besseres Hannover" hingegen ist ein positives Beispiel für konsequentes Handeln von Polizei und Ämtern. Am Beispiel dieser Gruppe lässt sich eine der jüngeren Entwicklungen der rechtsextremen Szene erklären, die auch auf der Tagung diskutiert wurde. Das Maskottchen der Kameradschaft, der "Abschiebär", trat in Online-Videos auf, die über verschiedene Kanäle verbreitet wurden. Die Kameradschaft verfügte über eine Internetseite, Blogs, Youtube- und Twitter-Accounts. Dies ist im Bereich der "Freien Kräfte" und "Autonomen Nationalisten" vermehrt festzustellen.

Rechtsextreme setzen immer stärker auf soziale Netzwerke und Dienste wie Twitter für die Rekrutierung neuer Mitglieder. Dies ist wenig verwunderlich - sie setzen dort an, wo sich viele Jugendliche bewegen: im Internet. Online läuft auch die immer bessere nationale und internationale Vernetzung der rechtsextremen Szene. So können Mobilisierungen effektiv publik gemacht werden und in kurzer Zeit viele Menschen erreichen. Rechtsextreme nutzen Facebook außerdem, um über scheinbar unverfängliche Themen ihre Ideologien offen oder verdeckt in der Diskussion unterzubringen (No-Nazi.net berichtete). Auch wird das Internet zur Verbreitung rechtsextremer Musik genutzt. Als Reaktion darauf vernetzen sich auch Zivilgesellschaften und engagierte Bürger*innen immer stärker und erweitern ihr Online-Angebot. Der Attraktivität rechtsextremer Angebote on- und offline müssen Zivilgesellschaften eigene Mobilisierungen entgegensetzen, um mehr junge Menschen für Demokratie und Toleranz zu begeistern.

Mit Kunst gegen Neonazi-Propaganda

Hier setzte Margarita Tsomou, Kulturwissenschaftlerin und Künstlerin, tätig in Berlin und Athen an. Als Künstlerin und Aktivistin versucht Tsomou Wege zwischen Kunst und Protest zu finden, die sich mit der Kurzlebigkeit und Medienaffinität der heutigen Gesellschaft vereinbaren lassen. Unter anderem stellte sie verschiedene Projekte künstlerischer Intervention vor, die sich aus anderen Bereichen auch auf den Kampf gegen Rechtsextremismus übertragen ließen. So etwa das aus Amerika stammende „Ad busting“: Hierbei werden Werbeposter und Plakate grafisch so manipuliert, dass sich ihre Aussage in das Gegenteil verkehrt. Diese Methode werde auch bereits gegen Nazi-Propaganda eingesetzt.

Um dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach "Spektakel" zu entsprechen, müssten klassische Demonstrationen mehr „Infotainment“-Charakter annehmen. Als positives Beispiel für künstlerisches Engagement erwähnte Tsomou unter anderem die Bustour der Initiative "Held/in Dorf" der Amadeu-Antonio-Stiftung, bei der eine Gruppe Schauspieler während einer Bustour durch kleinere Dörfer in Mecklenburg-Vorpommern an verschiedenen Stationen künstlerische Interventionen durchführten. Ziel der Bustour war es, kleine Initiativen im ländlichen Bereich miteinander zu vernetzen.

Methodisch interessant war die Dokumentation der einzelnen Gesprächskreise während der Tagung. Diese wurden durch "Graphic Recording" während der Diskussionen aufgezeichnet. Beim Graphic Recording handelt es sich um eine Technik aus den USA, die Mindmapping und Zeichentechniken vereint, um Sachverhalte, Verhältnisse und Themen ansprechend und nachvollziehbar darzustellen.

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