Rassismus in der Alltags-Sprache: "Wir brauchen eine tiefgehende Veränderung unseres Sprachbewusstseins"

Rassismus drückt sich in der Sprache nicht nur durch Schimpfwörter und Beleidigungen aus, sondern vielmehr etwa durch scheinbar wertfrei gemeinte Verallgemeinerungen und unbewusst ausgrenzende Beschreibungen. Warum das so schwer zu bearbeiten ist und was wir trotzdem dagegen tun können, weiß Adibeli Nduka-Agwu, Autorin und eine der Herausgeberinnen des Buches „Rassismus auf gut Deutsch: Ein kritisches Nachschlagewerk zu rassistischen Sprachhandlungen“, das im April 2010 erschien.

Von Simone Rafael

Auf einem Workshop hörte ich letztens die Diskussion: Brauchen Journalistenschüler Fortbildungen zu sprachlichem Rassismus? Die einhellige Meinung war: Nein, wer sein Handwerk beherrscht, braucht so etwas nicht. Was meinen Sie?

Ich finde die Reaktion ganz typisch. Sie gründet sich auf eine diffuse Angst, nun würde auch noch vorgeschrieben, was gesagt werden darf, oder die Annahme, sowas sei doch nicht notwendig, und auch, wenn mal jemand etwas problematisch-rassistisch ausdrückt, wüssten doch alle, was 'wirklich gemeint' sei. Als ich 16 war, habe ich mich erstmals mit der sprachlichen Repräsentation von Afrika in den Medien auseinandergesetzt. Das Ergebnis war: Sprachlicher Rassismus tritt erschreckend weit verbreitet auf, unabhängig von der aktiven Intention der Autorinnen und Autoren und auch unabhängig vom Niveau der Zeitung. Oft fehlt jedes Gefühl, wie Sprache wirkt, wie sie auch zwischen den Zeilen vieles sagt, die Sensibilität, dass jeder Ausdruck in verschiedenem Kontext ganz unterschiedlich wirken kann, was ich hinterfrage, sehe, beschreibe. Deshalb würde ich sagen: jede Person, die Sprache benutzt, braucht Sensibilisierung zu sprachlichem Rassismus. Und Journalisten und Journalistinnen als potentielle Multiplikatoren ganz besonders - ein Blick in die deutsche Medienlandschaft zeigt sprachlichen Rassismus nur zu deutlich.

Was hieß das konkret?

Beim Afrikabild: eine große Homogenisierung, oft mit negativen Konnotationen. Ständig wird Afrika, der Kontinent, in Verbindungen benutzt wie „In Ländern wie Afrika und Guatemala…“. In der FAZ schrieb ein Autor „Die afrikanische Nacht riecht nach verdorbenen Lebensmitteln, Fäkalien und Angstschweiß.“ Der hatte sicher keine aktiv herabsetzende Intention, sondern suchte einen szenischen Einstieg, aber warum so? Welche unterbewussten Gedanken stehen dahinter und welche Bilder werden damit reproduziert? Der sprachliche Rassismus beschränkt sich aber auf keinen Fall auf Afrika.

Können Sie mir einen üblichen sprachlichen Rassismus nennen, der ständig auftaucht?

Etwa die Formulierung der „Türken mit deutschem Pass“ o.ä. – hier wird sofort das „Deutschsein“ der Beschriebenen hinterfragt, gar geleugnet. Dabei sind das eigentlich Formulierungen, von denen ich gehofft hatte, dass sie im Jahr 2010 längst überwunden wären. Vielen Menschen fehlt aber nach wie vor das Bewusstsein dafür, was Sprache sagt, mit welchen Wendungen sie Dinge anerkennt oder nicht anerkennt.

Weiterhin sind viele Ausdrücke oder Formulierungen rassistisch, die gar nicht als Beleidigung gemeint sind. Wenn etwa jemand formuliert „Wie Adibeli und andere Ausländer finden…“ – da wird mir mal mit einem Handstreich meine Staatsbürgerschaft abgesprochen! Natürlich wurde kein „schlechtes“ Wort gesagt, aber die Ausgrenzung ist da, unabhängig von der Intention.

Wie bekommt man solche eingebürgerten Sprachrassismen wieder heraus, wie bricht man sie auf?

Es ist eine unbequeme Feststellung, dass jedes Wort eine Bedeutung haben kann, die über die hinausgeht, die ich in erster Linie sagen möchte. Damit entsteht eine riesige Verantwortung für jede einzelne Person, sich aktiv mit dem eigenen Sprachgebrauch auseinander zu setzen – und das ist ein lebenslanger Prozess. Aber das Bewusstsein dafür müssen wir schärfen. Ich habe früher immer gehofft, dass mit der nächsten Generation ein Bewusstsein für Rassismus wachsen würde , aber ich führe heute mit Menschen, die Anfang 20 sind, ähnliche Diskussionen wie mit Lehrerinnen und Lehrern in meiner Gymnasialzeit. Offenbar können Menschen von einigen Rassismen, besonders wenn sie über angebliches „Kulturgut“ wie Bücher oder Kinderlieder verbreitet werden, nur sehr schwer lassen. Auch wenn ich mich frage, was sie zu verlieren glauben, wenn man klar rassistische Worte wie das N-Wort mit nicht-rassistischen Begriffen ersetzt. Wir brauchen letztlich eine tiefgehende Veränderung unseres Sprachbewusstseins, eine Anerkennung unserer Verantwortung, aber auch unserer Möglichkeiten, Sprache – und damit unsere Gesellschaft – zu verändern. Dazu kann jede Person einen Beitrag leisten.

Was können wir praktisch tun?

Der Schlüsselpunkt ist: Menschen müssen sich bewusst machen, dass Sprache kein unveränderliches oder neutrales Etwas ist. Es muss uns allen klar werden, dass Sprache sich verändert, und dass man auf die Veränderung bewusst Einfluss nehmen kann – genauso, wie die verwendete Sprache auch Einfluss hat auf die Gesellschaft, in der wir leben. Ich habe im Gespräch schon öfter die Erfahrung gemacht, dass das schwierig sein kann. Oft hilft es konkrete Beispiele zu geben von Begriffen, die wir heute nicht mehr verwenden, und dass man das natürlich auch bewusst steuern kann. Wichtig ist vor allen Dingen, nicht müde zu werden, genau hinzuhören, wenn etwas rassistisch ist, und das deutlich anzusprechen. Dies gilt für natürlich für alle – nicht nur Diskriminierte, ganz im Gegenteil. Langfristig würde ich mir natürlich auch wünschen, dass eine kritische Auseinandersetzung mit Sprache in die Lehrerausbildung aufgenommen und damit auch in Schulen systematisch thematisiert würde.

„Rassismus auf gut Deutsch: Ein kritisches Nachschlagewerk zu rassistischen Sprachhandlungen“ von Adibeli Nduka-Agwu und Antje Lann Hornscheidt. Verlag Brandes & Apsel, 560 Seiten, 44 Euro.
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Adibeli Nduka-Agwu aus Emden studierte Soziale und Politische Wissenschaften am Emmanuel College der Cambridge University und ist seit 2009 McCloy Fellow an der Harvard School of Government in Cambridge, Massachusetts, und Co-Chefredakteurin des Harvard Africa Policy Journals.

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